Gothaer Bibliotheksstipendium Wie historisch korrekt muss ein Roman sein, Emma Braslavsky?
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26. November 2024, 13:14 Uhr
Die Frage, wie faktentreu historische Literatur sein muss, beschäftigt Deutschlands Literaturszene spätestens, seitdem die 1992 geborene Charlotte Gneuß ihren Roman "Gittersee" über die DDR veröffentlichte und teils vehemente Kritik erntete. Auch die Thüringer Schriftstellerin Emma Braslavsky treibt diese Frage gerade um. Sie arbeitet an einem Roman über Charles Goodyear, den Erfinder des Gummis. Für historische Recherchen hält sie sich in der Forschungsbibliothek Gotha auf Schloss Friedenstein auf und kommt mit Besucherinnen und Besuchern ins Gespräch.
- Um ihren Roman über den Erfinder Charles Goodyear möglichst realitätsnah zu schreiben, recherchiert die Schriftstellerin Emma Braslavsky derzeit in der Forschungsbibliothek Gotha.
- Ein Stipendium gibt der gebürtigen Erfurterin die Möglichkeit, der Frage nachzugehen, was Menschen im 19. Jahrhundert antrieb.
- Dienstagabend lädt die Autorin in die Forschungsbibliothek Gotha auf Schloss Friedenstein, um mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen.
Harry Potter ganz nah – es weht ein Hauch von Hogwarts durch die langen Gänge der Forschungsbibliothek Gotha. Deckenhohe Regale aus dunklem Holz reihen sich aneinander. Sie sind voller historischer Bücher mit Leder- oder Stoffeinbänden.
Beflügelnd, findet Emma Braslavsky: "Ich habe extra eine Führung bekommen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, woraus ich meine Literatur nehme. Und das habe ich die ganze Zeit im Kopf – selbst wenn ich am Computer sitze."
Stipendium der Thüringer Kulturstiftung ermöglicht Recherchen
Einen Monat lang hält Braslavsky sich im Rahmen eines Stipendiums der Thüringer Kulturstiftung in der Forschungsbibliothek auf Schloss Friedenstein auf. Sie durchsucht den besonderen Bestand der Gothaer Bücherei, vor allem historische Bücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
Die Autorin will der Gedankenwelt von Charles Goodyear näher kommen, der Hauptfigur ihres neuen Buchs. Goodyear entwickelte 1839 die Vulkanisierung von Kautschuk und erfand damit das Gummi, das aus unserer heutigen Welt nicht mehr wegzudenken ist.
Wer war Charles Goodyear?
Dabei war Goodyear kein ausgebildeter Chemiker, sondern Amateurforscher, wie Braslavsky schildert: "Er war eine Art Science-Punk und hat sich von Gott berufen gefühlt. Mit diesem Bild, diesem Mindset, hat er seine Familie 20 Jahre ins Elend gestürzt. Viele Kinder sind gestorben, um diese Entwicklung hinzubekommen."
Dabei sei Goodyear mit seinen unkonventionellen Methoden doch zum Ziel gekommen, so Braslavsky – als Erster und Einziger.
Erfindung des Gummis: ein Familienprojekt
Ein Theoretiker war Goodyear nicht. Das fand Emma Braslavsky bereits während eines anderen Forschungsstipendiums in der Villa Aurora in Los Angeles heraus. Bei den Goodyears habe immer irgendein Gummi-Gemisch auf dem Herd geblubbert, neben dem Brei für die Kinder. "Und seine Ehefrau Clarissa hat mitgemacht, sie hat aus den Gummi-Experimenten Kleidung für die Kinder genäht. Die mussten sie dann anziehen und damit zur Erprobung in die Schule gehen", so Braslavsky.
Für die Kinder oft eine wenig erfreuliche Angelegenheit. Manchmal hätte alles an ihren Haaren und an ihrer Haut geklebt: "Es war eine große Entbehrung, die die Familie durchmache musste. Dafür, dass wir jetzt eines der größten Umweltprobleme haben: nämlich den Abrieb von vulkanisiertem Gummi."
Bücher zu Protestantismus und Natur
Die Fakten hat Braslavsky bereits recherchiert. Ihr Aufenthalt in Gotha dreht sich um das, was den gläubigen Charles Goodyear und viele andere Menschen während des 19. Jahrhunderts antrieb: "Wie war das Verhältnis des Protestantismus zur Natur? Das ist die Frage, die ich hier hauptsächlich untersuche", erklärt Braslavsky.
Wir war das Verhältnis des Protestantismus zur Natur?
Die Schriftstellerin hat sich einen riesigen Stapel Originalbücher in der Bibliothek geben lassen. Sie recherchiert aber vor allem in den Online-Beständen. Die größte Herausforderung sei es, sich zu beschränken, sagt sie, schließlich schreibe sie kein Sachbuch.
Fiktion, aber glaubwürdig
Zu wissen, wie die Figuren sprechen, sei ihr dennoch wichtig. Durch Bezüge zur Realität sei das Ganze authentischer und auch verständlicher. So, sagt Braslavsky, werde Geschichte plausibel, "Teil unserer Welt" und nicht "irgendwas Zusammengesponnenes."
Emma Braslavsky bleibt noch bis Ende November in der Forschungsbibliothek. Erst danach möchte sie mit dem tatsächlichen Schreiben ihres neuen Romans beginnen.
Am Dienstagabend spricht die Autorin vor Ort über ihre Buchprojekt rund um die schillernde Figur Charles Goodyear. Das Gespräch findet um 17 Uhr in der Forschungsbibliothek Gotha auf Schloss Friedenstein statt. Der Eintritt ist frei.
Quelle: MDR KULTUR, redaktionelle Bearbeitung: ts
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 26. November 2024 | 12:10 Uhr