Ein dunkelhaariger Mann und eine Frau mit Brille sitzen mit einer Katze auf einer Couch
Viele Warschauer haben mit den enorm steigenden Preisen in der boomenden polnischen Hauptstadt zu kämpfen. So auch das Paar Ivàn Farías und Deniz Yarali aus Mexiko. Bildrechte: Olivia Kortas

Polen Wohnungswahnsinn in Warschau: 89.000 Euro für eine Bruchbude

10. Januar 2020, 13:28 Uhr

In der boomenden polnischen Hauptstadt Warschau will jeder eine Wohnung kaufen. Die daraus entstehende Blase sorgt für horrende Preise, selbst für Bruchbuden. Ein Ende des Baubooms ist jedoch nicht in Sicht.

Als Klaudia Belcik und ihr Freund in ihre Zweizimmerwohnung eingezogen sind, weinte Klaudia. "Ich rief einen Monat lang immer wieder meine Mutter an, weil ich unter solchen Bedingungen nicht leben wollte", sagt die 27-jährige Schauspielerin. Das Linoleum in Holzoptik rollt sich an den Seiten auf, vor den Fenstern sind Gitter, wenn Nachbarn vorbeilaufen, gucken sie dem Paar in die Küche und die Fliesen im Bad haben einen Gelbstich. Doch genau diese Wohnung wollen Klaudia Belczik und ihr Freund nun kaufen.

Schlechter Zustand als Preisvorteil

Denn für ihre 33 Quadratmeter große Wohnung in zentraler Lage zahlt das Paar umgerechnet rund 520 Euro warm. Bei einem Durchschnittseinkommen von etwas mehr als 1.000 Euro sind solche Mietpreise für viele der 1,8 Millionen Einwohner der polnischen Hauptstadt kaum noch zu bezahlen. Im Vergleich dazu lohnt sich das Kaufen auf Pump, selbst wenn die Wohnung einem zum Weinen bringt.

"Innerhalb weniger Monate wird jede neue Wohnung verkauft", sagt Magdalena Topolska-Ziemak. Die Immobilien-Expertin beobachtet seit 15 Jahren den Warschauer Immobilienmarkt. Leerstand gibt es in der polnischen Hauptstadt nicht. "Bauunternehmer haben gerade eine gute Zeit in Warschau. Sie bauen und verkaufen sofort", sagt Topolska-Ziemak. Die Preise sind so hoch wie nie zuvor und steigen immer weiter.

Eingangsbereich heinen Wohnkomplexes
In diesem schmucklosen Wohnkomplex wohnen Klaudia Balcik und ihr Freund. Die Wohnung wollen sie trotz vieler Nachteile unbedingt kaufen. Sie treibt die Angst vor immer weiter steigenden Preisen in Warschau. Bildrechte: Olivia Kortas

Auch deshalb freuen sich Klaudia Belcik und ihr Freund, dass ihre Vermieterin ihnen die Wohnung jetzt zum Kauf anbietet. Renovierte Wohnungen kosten in ihrem Viertel mindestens 3.000 Euro pro Quadratmeter. Doch für Wohnungen wie ihre, in die man viel Geld für Sanierungen stecken muss, zahlt man bis zu einem Drittel weniger. Belcik hat zwar von der Investorenblase in Warschau gehört, lässt sich davon aber nicht abschrecken:

Ich hoffe, dass wir unsere Wohnung für 89.000 Euro bekommen. Für uns macht es immer noch Sinn, Geld in etwas Eigenes zu stecken.

Schauspielerin Klaudia Belcik

Wohneigentum als gesellschaftliches Ideal

Grafi kzeigt die Wohneigentumsquote in den Ländern der Europäischen Union.
84 Prozent der Polen verfügen über Wohneigentum. damit steht das Land EU-weit auf Platz 6. Das führt aber auch zu einem überhitzten Mietmarkt und steigenden Preisen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Durch den anhaltenden Wirtschaftsboom nehmen viele Polen langfristige Kredite auf, in der Erwartung, dass das Wachstum und ihre Einkommen stabil bleiben. Aber laut Prognosen könnte das Wirtschaftswachstum bald stoppen." Dann könnten auch die Preise wieder fallen. Expertin Topolska-Ziemak sieht daher die Gefahr einer Immobilienblase: "Die Warschauer kaufen, um gleich wieder zu verkaufen. Sie verdienen daran Geld, solange das Wachstum anhält." Dezeit kostet der Quadratemeter in Warschau nach Angaben der Polnischen Nationalbank durchschnittlich etwa 2.400 Euro. Damit stiegen die Preise seit 2006 um circa 50 Prozent.

Der Immobilienboom begann aber bereits Mitte der 1990er-Jahre. Damals wurden die zu kommunistischen Zeiten fast ausschließlich kommunal verwalteten Wohnungen privatisiert. Viele Polen kauften zu Spottpreisen eine Eigentumswohnung. Durch das lückenhafte polnische Sozialsystem gilt sie in der Gesellschaft bis heute als beste Altersvorsorge. Deswegen wachsen auch junge Polen mit der Prämisse auf, so schnell wie möglich eine Wohnung zu kaufen. Oft verschulden sie sich dafür schon zu Beginn ihres Studiums oder der Berufsausbildung.

Warschauer wohnen gerne alleine

Dem 33-jährigen Ivàn Farías bereitet der Immobilienmarkt in Warschau Sorgen. Der Politologe aus Mexiko und seine Freundin Deniz Yarali leben seit gut einem Jahr in der Stadt und wollen eine Wohnung kaufen. "Ich habe Angst, etwas zu kaufen, das seinen Preis nicht wert ist", sagt Farías: "Momentan geht es der polnischen Wirtschaft gut, Warschau wächst, es kommen hunderttausende Ukrainer zur Arbeit." Aber das könne isch auch ändern.

Bis vor kurzem wohnten Ivàn Farías und seine Freundin Deniz Yarali in einer der typischen Warschauer Einzimmerwohnungen. "Mein ganzes Erspartes ging dafür drauf", sagt Deniz Yarali und ihr Freund Ivan Farías stimmt zu: "Die Warschauer kennen keine Wohngemeinschaften und leben lieber alleine, deshalb sind kleinere Wohnungen kaum bezahlbar." Ivan Farías und seine Freundin Deniz Yarali wollen nun in einen Neubau ziehen, von denen gerade unzählige in ganz Warschau entstehen.

Die Wohnungen sind komplett neu und wir bekommen sie billiger, wenn sie nicht ausgebaut sind und wir das selber machen müssen.

Wohnungssuchende Deniz Yarali

Denn der Kauf von Neubauten bietet meist ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis als Bestandwohnungen. Das liegt auch an der niedrigen Mietquote in Polen. Nur 16 Prozent der Polen wohnen zur Miete. In Deutschland sind es 48,5 Prozent. Die Mieten für die wenigen freien Wohnungen sind daher bereits sehr hoch, der daraus resultierende Kaufpreis dann auch. Bei Neubauten fällt dieser Effekt weg.

Trend zur abgeschotteten Gemeinschaft

Mit dem Wunsch nach einer Eigentumswohnung in einem Neubaukomplex liegen Ivàn Farías und seine Freundin Deniz Yarali ganz im Trend, sagt Immobilen-Expertin Magdalena Topolska-Ziemak. Denn Immobilieninvestoren stampfen überall in Warschau neue Wohnungskomplexe aus dem Boden. In denen gibt es moderne Wohnungen, Tiefgaragen, Spielplätze und mitunter eigene Cafés im Inneren.

Innenhof eines mehrstöckicken Wohnkomplexes
In diesem Neubaukomplex wohnen der Politologe Ivàn Farías und seine Freundin Deniz Yarali. Gerade solche Neubauten entstehen überall in Warschau. Bildrechte: Olivia Kortas

Da diese Komplexe oft umzäunt sind und eigene Sicherheitsdienste haben, gilt Warschau mittlerweile als europäische Stadt mit den meisten sogenannten Gated Communities, mehr als 400 gibt es schätzungweise. "Die Menschen wohnen darin alleine, fühlen sich aber dennoch als Teil einer Gemeinschaft", sagt Topolska-Ziemak. "Die Investoren reagieren so dynamisch auf die neuen Bedürfnisse der Käufer. Deshalb platzt die Blase erstmal nicht."

Terminabsagen im Minutentakt

Auch Klaudia Belcik und ihr Freund sehen keine Alternative zum Kaufen. Auch aus Angst, dass es eher noch schwieriger wird. Als das Paar von Krakau nach Warschau ziehen wollte, legte es fünf Besichtigungen auf einen Tag und nahm den ersten Zug in die Hauptstadt, erinnert sich Belcik:

Als wir losfuhren, kam der erste Anruf: "Die Wohnung ist vergeben, ihr braucht nicht mehr kommen." Und als wir drei Stunden später am Warschauer Hauptbahnhof ankamen, hatten wir keinen einzigen Termin mehr.

Schauspielerin Klaudia Belcik

Ihre jetzige Wohnung sei daher ein Glücksgriff. Belciks Freund erinnert sich noch an eine Warschauer Wohngemeinschaft, in der Kunstrasen auslag und deren Wände mit altem Kork verkleidet waren. "Eine Tragödie!", sagt er und Klaudia Belcik stimmt zu: "Im Vergleich zu den Wohnungen, die wir besichtigen konnten, ist unsere ein Wellness-Hotel." 

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 11. Januar 2020 | 07:15 Uhr

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