Eine junge Frau in blauem Krankenschwester-Kittel mit roter Haube steht hinter einem Tresen und hält einen Stift in der Hand. Sie lächelt in die Kamera. Hinter ihr stehen Regale mit Krankenhausutensilien. Bildunterschrift: Maria Görlitz während Ihres Freiwilligendienstes in Nischni Nowgorod.
Maria Görlitz an ihrem Arbeitsort im Krankenhaus. Bildrechte: Maria Görlitz

Welttag der Kranken Russland: Warum Ärzte Höflichkeitskurse brauchen

11. Februar 2020, 10:36 Uhr

Mehr Kommunikation und persönliche Ansprache: In Höflichkeitskursen lernen Moskauer Ärzte seit 2018 einen freundlicheren Umgang mit ihren Patienten. Dringend notwendig, findet eine deutsche Freiwillige, die in einem russischen Krankenhaus gearbeitet hat.

Eine unerwartete Spritze, maulfaule Krankenschwestern und wenig Privatsphäre - den Beginn ihres Freiwilligendienstes in einem Krankenhaus im russischen Nischni Nowgorod hat Maria Görlitz als recht ruppig in Erinnerung. Sie selbst erlebt ihn zunächst aus der Perspektive einer Patientin. Denn vor Beginn ihrer Arbeit musste sie sich selbst untersuchen lassen.

Zuerst wurde sie geröntgt. "Ich musste mich obenrum freimachen und dann haben sie ein Bild von mir gemacht", erzählt Maria. "Zwischendurch kam dann nochmal jemand rein, also Privatsphäre war da nicht so." Nach der Untersuchung wartete sie dann noch auf eine Reaktion des Personals. "Sie haben gar nichts gesagt, also habe ich mich wieder angezogen und bin gegangen."

Krankenpflegerin mit russischem Hintergrund

Auch bei der Blutuntersuchung habe die Krankenschwester kaum mit ihr kommuniziert, sagt Maria. "Ich habe ein bisschen in der Gegend herumgeguckt und war total unvorbereitet, als sie mich auf einmal ohne Vorwarnung gestochen hat." Das habe sie etwas kalt erwischt, obwohl sie wusste, wie eine Blutentnahme funktioniert.

Denn die 26-Jährige hatte vor ihrem Jahr in Russland bereits selbst Erfahrung mit der Arbeit im Krankenhaus. Sie ist ausgebildete Krankenpflegerin und arbeitete drei Jahre auf einer Intensivstation in Münster. Über ein Austauschprogramm einer deutschen Organisation aus Essen kam sie nach Nischni Nowgorod. Sie wollte nach Russland, um dort wieder nach ihren Wurzeln zu suchen. Maria stammt ursprünglich aus dem sibirischen Omsk. Als sie sechs Jahre alt war, zog sie mit ihrer Familie nach Deutschland.

Zu viel Höflichkeit gilt als Schwäche

Drei Personen in Anoraks laufen auf einem teilweise vereisten Fußweg. Links ist eine schneebedeckte Fläche zu sehen, auf der viele Birken stehen. Im Hintergrund ist ein roter unscheinbarer Neubau. Bildunterschrift: Das Semaschko-Krankenhaus in Nischni Nowgorod.
Das Semaschko-Krankenhaus in Nischni Nowgorod. Bildrechte: Maria Görlitz

Obwohl sie die russische Mentalität kennt, musste sich Maria zunächst an den Umgangston im Krankenhaus in Nischni Nowgorod gewöhnen. "Am Anfang habe ich oft Wendungen wie 'Könnten Sie' oder 'Würden Sie bitte' gebraucht", sagt sie. "Da hatte ich oft das Gefühl, dass die Patienten mich nicht ernst genommen haben."  Später habe sie mehr Erfolg gehabt, als sie bestimmter aufgetreten sei. Zu viel Höflichkeit werde in Russland mit Schwäche assoziiert.

Trotzdem wünschen sich offenbar inzwischen viele Patienten einen anderen Umgang im Krankenhaus. Wie die russische Zeitung Wedomosti berichtet, bietet eine Moskauer Klinik bereits seit 2018 Höflichkeitskurse für Ärzte an. In Rollenspielen lernen sie, wie sie Patienten höflich ansprechen, ihnen aktiv zuhören und Diagnosen mit einfachen Worten erklären. An den Kursen nehmen nicht nur Ärzte teil, sondern sämtliches Personal der Klinik: Krankenpfleger, Sanitäter und Mitarbeiter aus der Verwaltung.

Wenig Kommunikation im Krankenhaus

Zuvor hatten Psychologen und andere Wissenschaftler die Arbeit des medizinischen Personals unter die Lupe genommen und Patienten befragt. Die wünschten sich einen persönlicheren Umgang, so ein Ergebnis der Untersuchung. Sie wollen mit ihrem Vor- und Familiennamen angesprochen werden. Außerdem wollen die Patienten, dass Ärzte künftig die Behandlung besser erklären.

Genau daran krankt auch das Ärzte-Patienten-Verhältnis im Krankenhaus von Nischni Nowgord, findet Maria. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Patient wenig oder überhaupt nicht in seine Therapie einbezogen wurde", sagt sie. Oft würden Infusionen durchgeführt und Medikamente verabreicht, ohne zu erklären, worum es sich genau dabei handelt. "Das ist total entmündigend, weil der Patient gar nicht die Möglichkeit hat zu sagen, dass er so eine Behandlung nicht will."

Misstrauen gegen Ärzte groß

Dass Patienten in Russland mit ihren Ärzten wenig zufrieden sind, belegen auch aktuelle Zahlen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WCIOM haben 41 Prozent aller Russen sich schon einmal eine Zweitmeinung zur Diagnose eingeholt, weil sie ihrem Arzt nicht vertraut haben.

Manchmal gehen Misstrauen und Unzufriedenheit auch so weit, dass Ärzte angegriffen werden. In einem Krankenhaus in Rschew ging vor kurzem ein Mann auf einen Arzt los und schlug so stark auf ihn ein, dass der Arzt selbst krankenhausreif war. Der Mann war offenbar der Meinung, dass der Arzt seine Frau in der Vergangenheit nicht gut genug behandelt hatte. Es ist kein Einzelfall. Laut Statistik des russischen Gesundheitsministeriums gibt es jedes Jahr landesweit etwa 1.000 Fälle gesetzwidrigen Verhaltens gegenüber dem medizinischen Personal.

Russische Patienten sind leiderprobt

Angriffe auf das Personal und viele Beschwerden hat Maria nicht erlebt. Viele Patienten seien es eher gewohnt, Behandlungen einfach stumm zu ertragen. "Viele sind der Meinung, dass Ärzte das Fachwissen haben und wissen, was das Beste für die Patienten ist. Der Patient soll möglichst ruhig sein und die Anordnungen ausführen, ohne zu murren."

Das führe dazu, dass manche Patienten sich selbst bei Schmerzen nicht äußern, sagt Maria und erzählt von einer Begegnung mit einem Patienten nach einer OP. "Er lag mit seinen ganzen Drainagen auf dem Rücken. Jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeiging, lag er in der exakt gleichen Pose da und starrte nur an die Decke". Als sie ihn fragte, ob es auf die Dauer nicht unbequem wäre, so dazuliegen, reagierte er überrascht. "Er meinte: Ich wusste nicht, dass ich das darf. Das hat mir keiner gesagt."

Russische Ärzte beherrschen Untersuchungen mit der Hand besser

Dafür würden russische Patienten dankbarer reagieren, wenn das Krankenhauspersonal ihnen etwa Schmerzmittel, Getränke oder eine zweite Decke gibt. Deutsche Patienten wären da etwas verwöhnter, meint Maria, weil sie diese Dinge bereits als Standard einer guten Versorgung wahrnehmen.

Auch wenn russische Ärzte in puncto Freundlichkeit und Kommunikation ihrer Meinung nach von deutschen Kollegen lernen könnten, auf einem Gebiet sind sie besser als das Krankenhauspersonal in Deutschland, findet Maria. "Abhören mit dem Stethoskop, Untersuchungen mit den Fingern - bei diesen Grundlagen sind russische Ärzte einfach geschulter. Dadurch, dass es in Russland viel zu teuer ist, so viele Untersuchungen zu machen, ist man in der Diagnostik einfach gezielter als in Deutschland."

Während sich manche Ärzte in Deutschland stark auf Laborwerte oder Computerergebnisse verlassen würden, spielen klassische Untersungsmethoden in Russland noch eine größere Rolle, sagt Maria. Auch weil oft das Geld fehlt, um entsprechende Technik anzuschaffen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 22. Februar 2020 | 07:15 Uhr

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