Frau im Auto zeigt den Mittelfinger
Der Protest wurde ins Auto verlegt, um Covid-Maßnahmen einhalten zu können. "Lasst die Motoren warm laufen", appellieren die Mitglieder des "Frauenstreiks" an Autodemonstrantinnen in ganz Polen. Bildrechte: imago images/Eastnews

Entscheidung Verfassungsgericht Polen: Kommt ein absolutes Abtreibungsverbot?

22. Oktober 2020, 05:00 Uhr

Heute entscheidet das polnische Verfassungsgericht darüber, ob ein neues, restriktives Abtreibungsgesetz verfassungskonform ist. Es ist ein seit Jahren geführter politischer Streit, der damit einen Höhepunkt erreicht.

Es hat schon fast Tradition in Polen: Wenn Frauen für ihre Rechte demonstrieren, dann ziehen sie sich schwarz an, spannen einen schwarzen Regenschirm auf und ziehen zu Tausenden auf die Straßen. In diesem Jahr aber ist durch strenge Corona-Auflagen wegen Rekordzuwächsen an Neuinfektionen alles anders: Der "Schwarze Protest" findet nicht zu Fuß in der Masse, sondern vereinzelt im Auto statt. Frauen (und Männer) machen sich mit Fahnen und Plakaten an ihren Autos und mit Hupkonzerten sichtbar.

Aufgerufen haben Frauenrechtlerinnen, denn heute steht eine der wichtigsten Entscheidungen seit Jahren an: Das höchste Gericht, das Verfassungsgericht, entscheidet darüber, ob Abtreibung in Polen ohne Ausnahmen illegal wird.

Große Plastikvagina vor dem Verfassungsgericht in Warschau. Aufschrift: "Ich bin nicht nur zum gebären da."
Das dürfte den konservativen Richterinnen und Richtern am Verfassungsgericht in Polen gar nicht gefallen: Aktivistinnen haben eine riesige Plastik-Vagina an den Zaun vor dem höchsten Gericht gehängt. Darauf steht: "Ich bin nicht nur zum Gebären da". Bildrechte: imago images/Eastnews

Abtreibungsgesetz jetzt schon eines der schärfsten Europas

Bereits jetzt gilt in Polen ein besonders restriktives Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen: Abtreibung ist offiziell nur bei Lebensgefahr für die Mutter, bei Vergewaltigung oder bei Fötusschäden erlaubt. Falls die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes vom Verfassungsgericht bestätigt wird, müssten Frauen auch Kinder austragen, die durch eine Vergewaltigung gezeugt worden sind oder keine Überlebenschance nach der Geburt hätten. Das begründet der Vorsitzende der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), Jarosław Kaczyński, so: Diese Kinder könnten wenigstens im katholischen Sinne "getauft und beerdigt werden, und sie könnten einen Namen bekommen".

Bis 1993 konnten sich Frauen in Polen völlig unproblematisch für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Inzwischen ist das polnische Abtreibungsrecht neben dem in Irland und Malta eines der restriktivsten in Europa.

NGOs fordern das Recht auf Abtreibung

Kamila Ferenc arbeitet als Juristin für den Verband für Frauen und Familienplanung (Federacja na rzecz Kobiet i Planowania Rodziny). Sie fordert mit ihrer Organisation, dass Frauen selbst über ihren Körper entscheiden können. Viele Frauen würden sich an sie wenden, weil sie keine Ärzte finden, die Abtreibungen nach festgestellten Fötusschäden durchführen. "Es ist oft enormer Stress für Frauen", sagt Ferenc.

Grund dafür: Viele polnische Ärzte haben eine Gewissensklausel unterschrieben, mit der sie sich verpflichten, keine Abtreibungen durchzuführen. Damit fehlen nicht nur Beratungsangebote, es gibt auch entsprechend wenige Schwangerschaftsabbrüche. Offiziell werden jährlich rund 1000 Abtreibungen registriert. Die Dunkelziffer dürfte laut Frauenrechtlerinnen weitaus höher sein. Wer es sich leisten kann, fährt in eine Klinik nach Deutschland, Österreich, Tschechien oder in der Slowakei. Sollte das Abtreibungsgesetz verschärft werden, wäre dies der "endgültige Eintritt von Fundamentalisten ins Private", so die Frauenorganisation.

Abtreibung wird politisch instrumentalisiert

Doch Abtreibung ist in Polen bereits jetzt schon längst keine Privatsache mehr. Sie ist zum Politikum geworden. Seit rund 30 Jahren wird immer wieder erbittert über Abtreibung gestritten. Nach Protesten Hunderttausender Frauen in ganz Polen fiel das Gesetz "Stoppt Abtreibung" im Oktober 2016 durch. Doch die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes war damit immer noch nicht vom Tisch: 2018 wurde der Gesetzesentwurf erneut eingebracht, "verharrte" aber zur weiteren Beratung in Ausschüssen. Jarosław Kaczyński wollte erneute Frauenproteste vermeiden und die PiS beließ es dabei.

2019 nahm die regierenden PiS das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in ihr Wahlprogramm auf und brachte einen Gesetzesentwurf direkt nach ihrem Wahlsieg auch erneut ins Parlament ein. Anfang des Jahres schaffte es die Verschärfung der Abtreibungsregeln dann mit Stimmen der regierenden PiS, der rechten Konfederacja sowie Teilen der konservativen Bauernpartei durch den Sejm. Nun wird das Verfassungsgericht entscheiden.

Amnesty International und andere internationale Organisationen haben angekündigt unabhängige Beobachter zur bevorstehenden Anhörung im Verfassungsgericht zu schicken.

(adg)

TV | 23.03.2018 | 17:45 Uhr

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