Proteste im Iran Auflösung der "Sittenpolizei"? Fachleute vermuten Ablenkungsmanöver

05. Dezember 2022, 18:50 Uhr

Zwei Monate nach Beginn der Proteste im Iran hat das Regime die Auflösung der "Sittenpolizei" bekanntgegeben. Neben Hoffnung gibt es aber auch Kritik: Beobachterinnen und Beobachter sprechen von einem Ablenkungsmanöver. Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die "Sittenpolizei" war Auslöser für die landesweiten Proteste.

Mehr als zwei Monate nach Beginn der Proteste im Iran ist die sogenannte Sittenpolizei nach Justizangaben aufgelöst worden. "Die Sittenpolizei hat nichts mit der Judikative zu tun und wurde von denen, die sie geschaffen haben, abgeschafft", sagte Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri am Samstagabend nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Isna in der zentraliranischen Stadt Ghom.

Beobachterinnen und Beobachter sehen iranische Ankündigungen kritisch

Die Bekanntgabe wird als Geste gegenüber den Demonstrierenden gewertet, die seit Wochen überall im Land auf die Straße gehen. Auslöser dieser Proteste war der Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die "Sittenpolizei" Mitte September. Sie soll gegen die Kleiderordnung für Frauen verstoßen haben, die Frauen das Tragen eines Kopftuchs in der Öffentlichkeit vorschreibt. Seit Beginn der Proteste tragen immer mehr Frauen kein Kopftuch mehr. Vielerorts verbrannten Frauen ihre Kopfbedeckung und riefen Parolen gegen die Regierung. 

Viele Beobachterinnen und Beobachter sehen die Ankündigung der Staatsführung allerdings skeptisch. Die ARD-Journalistin Natalie Amiri sagte dem "Tagesspiegel", es könne sich um ein PR- und Ablenkungsmanöver des Regimes handeln: "Verstöße sollen weiter geahndet werden. Es bleibt also bei einer Diskriminierung der Frauen." Auch der im Iran geborene FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sprach von einem Ablenkungsmanöver: "Die Mehrheit der Menschen kennt die Lügen der Führung und lässt sich nicht beirren", sagte Djir-Sarai der Funke-Mediengruppe.

Die Mehrheit der Menschen kennt die Lügen der Führung und lässt sich nicht beirren.

Bijan Djir-Sarai FDP-Generalsekretär

Regimekritikerinnen und -kritiker weisen zudem darauf hin, dass die Abschaffung der "Sittenpolizei" den Versuch einer Besänftigung vor einer weiteren Protestwelle ab Montag darstellen könnte. Dann sind landesweit neue Demonstrationen und auch Streiks geplant, die in Protesten bei einem öffentlichen Auftritt von Präsident Ebrahim Raisi am kommenden Mittwoch münden sollen.

"Sittenpolizei" wurde 2005 eingerichtet

Die "Sittenpolizei" wurde 2005 unter dem ultrakonservativen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad eingerichtet. Männer in grünen Uniformen und Frauen im schwarzen Tschador patrouillieren seitdem in Minibussen mit verdunkelten Scheiben in den Straßen, um das seit 1983 verpflichtende Tragen von Kopftuch und langen Kleidern durchzusetzen. Nach Angaben von Regimekritikerinnen und -kritikern kommt es immer wieder zu schweren Misshandlungen durch die Einheiten.

Die iranische Staatsführung kündigte am Wochenende außerdem die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses an, der die Gründe für die seit mehr als zwei Monaten andauernden Proteste im Land klären soll. Allerdings sollen weder Demonstrierende oder Systemkritikerinnen und -kritiker noch andere politische Parteien daran teilnehmen, erklärte Innenminister Ahmad Wahidi laut Nachrichtenagentur Ilna. Bei den Protesten sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen bislang 470 Demonstranten ums Leben gekommen.

dpa/AFP/Reuters/MDR (jan)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 04. Dezember 2022 | 16:00 Uhr

Mehr aus Politik

Nachrichten

ATACMS-Raketen werden gezündet mit Video
Die USA haben der Ukraine Kurzstreckenraketen vom Typ ATACMS mit größerer Reichweite geliefert. Laut Außenministerium sind die Raketen Teil eines Hilfspakets aus dem März. Bildrechte: IMAGO/Avalon.red
Venedig kostet erstmals Eintritt 1 min
Venedig kostet erstmals Eintritt Bildrechte: Reuters
Zerstörtes Krankenhaus im Gazastreifen 1 min
Zerstörtes Krankenhaus im Gazastreifen Bildrechte: Reuters
1 min 24.04.2024 | 11:53 Uhr

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert, dass die Menschenrechte so bedroht seien wie seit Jahrzehnten nicht.

Mi 24.04.2024 09:40Uhr 00:46 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/video-amnesty-menschenrecht-bericht100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
Der US-Senat stimmt dem Hilfspaket zu 1 min
Der US-Senat stimmt dem Hilfspaket zu Bildrechte: Reuters
1 min 24.04.2024 | 09:33 Uhr

Das milliardenschwere US-Militärpaket für die Ukraine hat die letzte Hürde genommen. Der Senat stimmte den Hilfen von 57 Milliarden Euro zu. Präsident Biden kündigte an, noch diese Woche Waffen und Ausrüstung zu liefern.

Mi 24.04.2024 08:50Uhr 00:48 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/video-us-senat-ukraine-milliarden-militaer-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Mehr aus der Welt

Flügel der Moulin-Rouge-Mühle abgefallen 1 min
Flügel der Moulin-Rouge-Mühle abgefallen Bildrechte: Reuters
1 min 25.04.2024 | 11:02 Uhr

Am Varieté Moulin Rouge in Paris sind die Windmühlenflügel abgebrochen. Die Ursache ist noch unklar. Verletzt wurde niemand. Das Moulin Rouge wurde 1889 eröffnet; im selben Jahr wie der Eiffelturm. 

Do 25.04.2024 10:32Uhr 00:38 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/panorama/video-moulin-rouge-fluegel-paris100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Nachrichten

Die Akkropolis auf einem Hügel mit rotem Himmel. 1 min
Eine feine Schicht aus Sahara-Sand und -Staub hat sich in Athen und anderen Teilen Griechenlands über Stadt und Land gelegt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
1 min 25.04.2024 | 09:38 Uhr

Eine feine Schicht aus Sahara-Sand und -Staub hat sich in Athen und anderen Teilen Griechenlands über Stadt und Land gelegt. Doch das rötlich schimmernde Naturschauspiel hat seine Nachteile.

Mi 24.04.2024 16:29Uhr 00:34 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/panorama/video-griechenland-athen-sahara-staub-atembeschwerden-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
Mehr als hundert Wale stranden in Westaustralien 1 min
Mehr als hundert Wale stranden in Westaustralien Bildrechte: Reuters
Proteste gegen Bildungskürzungen in Argentinien 1 min
Proteste gegen Bildungskürzungen in Argentinien Bildrechte: AP