Ein Transportflugzeug Airbus A400M der Luftwaffe startet am Fliegerhorst Wunstorf zu einem Hilfsflug
Wegen fehlender Nahrung, Medikamente und Unterkünfte im Gazastreifen ist ihre Lage ist katastrophal. Die EU richtet nun eine humanitäre EU-Luftbrücke für die Zivilgesellschaft im Gaza ein. Bildrechte: picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Nahost-Konflikt EU richtet Luftbrücke für Hilfslieferungen nach Gaza ein

17. Oktober 2023, 01:48 Uhr

Vor der erwarteten israelischen Bodenoffensive gegen die Hamas sind nach Angaben von UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths inzwischen etwas eine Million Menschen vom nördlichen Gazastreifen in den Süden geflohen. Wegen fehlender Nahrung, Medikamente und Unterkünfte ist ihre Lage ist katastrophal. Griffith plädiert, Hilfsgüter in den palästinensischen Küstenstreifen zu bringen. Die EU richtet nun eine humanitäre EU-Luftbrücke für die Zivilgesellschaft im Gaza ein.

Die EU richtet eine humanitäre EU-Luftbrücke für die Zivilbevölkerung in Gaza ein. Wie die EU-Kommission am Montag in Brüssel mitteilte, finden die ersten beiden Flüge noch in dieser Woche statt. Geplant ist, überlebenswichtige Güter wie Notunterkünfte, Medikamente und Hygienesets des UN-Kinderhilfswerks Unicef nach Ägypten zu transportieren.

Von dort sollen sie zu humanitären Organisationen nach Gaza gebracht werden. Die Operation wird nach den Angaben aus Brüssel über europäischen Zivilschutz organisiert. Es seien weitere Hilfsgüter aus den EU-Notfallvorräten verfügbar, die auf Anfrage an humanitäre Partner in der Region geliefert werden könnten, hieß es.

Eine Million Menschen laut UN vor Bodenoffensive aus Nord-Gaza geflohen

Aus Angst vor Israels erwarteter Bodenoffensive im Gazastreifen gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas suchen Hunderttausende Menschen unter katastrophalen Bedingungen Schutz im Süden des hermetisch abgeriegelten Küstenstreifens. Nach mehreren Evakuierungsaufrufen an die Zivilbevölkerung sind UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths zufolge inzwischen etwa eine Million Menschen auf der Flucht. Die Versorgungslage der dicht gedrängten Menschenmassen ist dramatisch – es fehlt an Wasser, Nahrung, Medikamenten und Unterkünften.

Griffiths wichtigstes Anliegen sei es deshalb, Hilfsgüter in den palästinensischen Küstenstreifen zu bringen. Es gelte, den Menschen zu helfen, die noch auf der Flucht seien, und die schon im Süden angekommen seien. "Sie kommen nämlich nicht aus Gaza raus", sagte der UN-Diplomat über das Gebiet, das von Israel nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas abgeriegelt wurde.

Die eingetroffenen Hilfsgüter aus mehreren Ländern stauen sich derzeit am Grenzübergang Rafah im Süden des Gazastreifens und Ägypten und werden nicht durchgelassen. Nach Angaben mehrerer ägyptischer Augenzeugen hatten die Hilfskonvois am Montag noch nicht die Stadt al-Arisch verlassen, die sich etwa 40 Kilometer östlich von Rafah befindet. Griffiths will am Dienstag nach Kairo reisen, um mit hochrangigen Vertretern Ägyptens über die Öffnung der südlichen Grenze zu Gaza für Hilfslieferungen zu verhandeln.

Israel weitet Bewaffnung von Zivilisten aus

Die israelische Polizei bewaffnet weitere Zivilisten. Wie der Polizeipräsident Kobi Schabtai und der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir am Montag mitteilten, würden die "unter der Schirmherrschaft der Polizei arbeitenden First-Responder-Einheiten" auf alle Städte ausgeweitet. Die "347 neuen Einheiten" sollten mit 13.200 Freiwilligen besetzt werden, "die angeworben werden und ein Gewehr und eine Schutzausrüstung erhalten". Die israelischen Grenzgemeinden unterhalten seit Jahren solche Einheiten, die sich aus Armee-Veteranen zusammensetzen.

Israel setzt Angriffe auf die Fluchtwege in den Süden des Gazastreifens aus

Die israelische Armee verkündete am Montagvormittag, ihre Angriffe auf die Fluchtwege in den Süden des Gazastreifens auszusetzen. Der Armeesprecher, Avichay Adrae, schrieb auf der Plattform X, die Menschen sollten die Zeit nutzen, um sich vom Norden und der Stadt Gaza in den Süden zu begeben. Nach eigenen Angaben wartet das Militär auf eine "politische Entscheidung" für den Beginn der Bodenoffensive. US-Präsident Joe Biden warnte Israel vor einer Besatzung des Gazastreifens. Dies wäre "ein großer Fehler", sagte er dem Sender CBS. Er unterstützte aber eine Invasion zur "Ausschaltung der Extremisten" von der Hamas.

Israel wies am Montag Berichte über eine Waffenruhe zurück. Derzeit gebe es weder eine Feuerpause noch humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen im Austausch für die Ausreise von Ausländern, erklärte das Büro von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu am Montag. Hamas-Medienchef Issat al-Rischk bestätigte, dass "keinerlei Wahrheit" in den Medienberichten stecke.

Guterres: Naher Osten steht am Rande des Abgrunds

UN-Generalsekretär António Guterres hatte zuvor erneut vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten gewarnt. Die Region stehe am Rande des Abgrunds, so Guterres. Mitarbeitern der Vereinten Nationen müsse es dringend möglich gemacht werden, lebenswichtige Güter wie Lebensmittel, Wasser und medizinisches Material in den Gazastreifen zu bringen. Guterres rief die Hamas auf, alle Geiseln sofort freizulassen.

Baerbock: Bisher kein Kontakt zu deutschen Geiseln

Nach Angaben der israelischen Armee hat die Hamas seit ihrem Angriff auf Israel mittlerweile 199 Geiseln genommen und in den Gazastreifen verschleppt. Am Sonntag hatte Israel die Zahl der verschleppten Geiseln noch mit 155 angegeben. 

Dem Auswärtigen Amt zufolge haben nach derzeitigem Stand acht Fälle einen Bezug zu Deutschland. Die Bundesregierung hat laut Außenministerin Annalena Baerbock weiter keinen Kontakt zu deutschen Geiseln der Hamas im Gazastreifen. Das Thema habe sowohl bei ihren Besuchen in Israel und Ägypten sowie bei ihrem Treffen mit dem Emir von Katar in Berlin im Mittelpunkt gestanden, sagte Baerbock am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Anne Will". Gerade Katar und auch die Türkei verfügten über Möglichkeiten, mit der Hamas zu sprechen. Diese Kanäle müssten jetzt aktiviert werden.

Weitere Bundeswehrmaschine mit Passagieren aus Israel in Deutschland

Am frühen Montagmorgen landete eine weitere Bundeswehrmaschine des Typs A400M mit Passagieren aus Israel auf dem Militärflugplatz im niedersächsischen Wunstorf. Das teilte das Einsatzführungskommando auf X mit. An Bord waren 60 Deutsche. Bisher habe die Bundeswehr 222 Personen aus Israel nach Deutschland ausgeflogen, hieß es. Es ist die vierte Bundeswehr-Maschine, die Deutsche aus Israel holte.

Nach Angaben der Bundesregierung sind bislang mit den von ihr organisierten Möglichkeiten etwa 3.000 deutsche Staatsangehörige aus Israel ausgereist. Zudem teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes, dass etwa eine "vierstellige Zahl" von Deutschen Israel bereits mit kommerziellen Flügen verlassen habe. Der Sprecher wies darauf hin, dass die Kapazitäten zur Ausreise per Flugzeug mit kommerziellen Airlines und mit der Bundeswehr, mit Bussen oder Fährverbindungen bei Weitem nicht ausgeschöpft seien. Nach Worten von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius steht die Luftwaffe auch für weitere Evakuierungsflüge bereit.

Abbas: Hamas repräsentiert nicht Palästinenser

Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas distanzierte sich von der im Gazastreifen herrschenden Hamas. Die Hamas repräsentiere nicht das palästinensische Volk. Die einzige legitime Vertretung der Palästinenser sei die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO, sagte Abbas laut einer palästinensischen Nachrichtenagentur in einem Telefonat mit Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro. Er lehne es ab, wenn Zivilisten getötet werden, egal von welcher Seite. Um die Besatzung Israels zu beenden, müsse es friedlichen Widerstand geben.

Mehrere westliche Politiker hatten Abbas wiederholt aufgefordert, den Angriff der Hamas auf Israel zu verurteilen. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einem beschämenden Schweigen. Medienberichten zufolge will Scholz am Dienstag zu einem Besuch nach Israel reisen.

Zahl der Toten steigt weiter

Radikal-islamische Hamas-Terroristen hatte vor einer Woche einen Großangriff auf Israel gestartet. Auf israelischer Seite wurden nach vorläufigen Angaben mehr als 1.400 Menschen getötet, bei den folgenden Angriffen der israelischen Armee auf den Gazastreifen starben nach Angaben der Hamas-Behörden bisher mehr als 2.750 Menschen. Das waren binnen einer Woche schon mehr als bei dem letzten großen Gaza-Krieg von 2014, der 50 Tage dauerte.

dpa,KNA,AFP (dkn,kar)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 15. Oktober 2023 | 20:00 Uhr

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