Europawahl So funktioniert die europäische Gesetzgebung
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19. Mai 2024, 05:00 Uhr
Ob ein gemeinsamer Migrationspakt, ein Lieferkettengesetz oder einheitlicher Schutz für Frauen gegen Gewalt: Im europäischen Parlament werden Gesetze beschlossen, die die gesamte europäische Gemeinschaft betreffen und einheitliche Maßstäbe setzen soll. Doch wie entstehen Gesetze in der EU und welche Institutionen sind daran beteiligt? Welchen Einfluss haben die EU-Bürger auf den Gesetzgebungsprozess? Ein Überblick.
Das sind die Organe der EU-Gesetzgebung
Die Europäische Union wird von drei Institutionen gelenkt: dem EU-Parlament, dem Rat der Europäischen Union (Ministerrat) und der Europäische Kommission. Diese sind unter anderem für die Gesetzgebung in der EU verantwortlich. Hinzu kommt der Europäische Rat, der aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten besteht. Er kommt vier Mal im Jahr zu einem EU-Gipfel zusammen.
Alle fünf Jahre können EU-Bürger direkt Abgeordnete in das Europäische Parlament wählen. Deren Hauptaufgabe dort ist es, Gesetze zu beschließen. Das kann das Parlament jedoch nur gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union (Ministerrat) – nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat.
So beteiligen sich Bürger an der EU-Gesetzgebung Bürger können sich durch eine Initiative für einen Gesetzesentwurf einsetzen. Sie können alle fünf Jahre direkt die Zusammensetzung des EU-Parlaments wählen. Außerdem können sie durch nationale Wahlen die Minister der Mitgliedstaaten in den EU-Rat indirekt bestimmen.
Dem Rat der EU gehören die jeweiligen Fachminister der 27 Mitgliedsländer an. Er wird deshalb auch Ministerrat genannt. Sie werden von den Landesregierungen in den Rat geschickt. So kommen etwa die Außenminister der Mitgliedsländer zusammen, oder die Finanzminister, oder die Umweltminister. Mit dem Rat der EU haben die EU-Bürger indirekten Einfluss auf die europäische Gesetzgebung, da sie über die von ihnen gewählten Regierungen bestimmt werden.
Der Ministerrat
Der Ministerrat kann in zehn verschiedenen Ausformungen auftreten:
• Allgemeine Angelegenheiten
• Auswärtige Angelegenheiten
• Wirtschaft und Finanzen
• Justiz und Inneres
• Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
• Wettbewerbsfähigkeit
• Verkehr, Telekommunikation und Energie
• Landwirtschaft und Fischerei
• Umwelt
• Bildung, Jugend, Kultur und Sport
Rat und Parlament können zusammen Gesetze beschließen, aber nicht selbst vorschlagen. Das kann nur die Europäische Kommission, die dritte wichtige Kraft in der EU. Jedoch kann die Kommission vom Parlament aufgefordert werden einen Gesetzesentwurf zu schreiben. Auch der Ministerrat und der Europäische Rat können die EU-Kommission auffordern, tätig zu werden. Dem muss sie dann nachkommen. In Sonderfällen kommt der sogenannte Vermittlungsausschuss zum Tragen. Er besteht zur Hälfte aus Mitgliedern des Ministerrats und Parlaments.
Die EU-Kommission achtet neben den Gesetzesentwürfen auch darauf, dass sich die Mitgliedstaaten und Unternehmen an die europäischen Gesetze und Verträge halten. So kann sie Mahnungen aussprechen, Bußgelder verhängen und vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen.
Europäische Kommission Die Europäische Kommission ist sowas wie die deutsche Bundesregierung, nur für Europa. Jedes Land stellt in der Kommission einen Kommissar oder eine Kommissarin. Diese sollten unabhängig von ihren Herkunftsländern im besten Sinne Europas handeln. Jeder Kommissar besitzt ein eigenes Aufgabengebiet. Die Kommission fällt Entscheidungen aber gemeinsam. Das Gesetzesinitiativrecht liegt allein bei der Kommission.
So funktioniert EU-Gesetzgebung
Der Prozess des ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beginnt bei der EU-Kommission. Sie kann aus Eigeninitiative, auf Vorschlag von EU-Institutionen oder einer Bürgerinitiative einen Gesetzentwurf vorlegen. Dieser wird dann abwechselnd von Rat und Parlament in "Lesungen" bearbeitet.
Der Entwurf geht zunächst ins Parlament, wo die Abgeordneten über den Vorschlag beraten. Sie können dabei auch Änderungsvorschläge einbringen. Das Parlament schickt die überarbeitete Version dann zum EU-Rat, wo die erste Lesung stattfindet. Auch hier wird wieder über den Entwurf beraten.
Nimmt der Rat die Version des Parlaments an, gilt die Version als beschlossen. Nimmt er jedoch Änderungen vor, wird diese in einer zweiten Lesung im Europäischen Parlament beraten. Hier kann der Gesetzesentwurf entweder angenommen, abgelehnt oder geändert werden. Ist Letzteres der Fall, geht die Änderung wieder zurück zum Rat und wird dort erneut besprochen. Auch hier kann die Version angenommen oder abgewandelt werden.
Werden erneut Änderungen vorgenommen, kommt der Vermittlungsausschuss zum Einsatz. Können sich die Mitglieder letztlich nicht einigen, ist das Verfahren endgültig gescheitert. Gibt es eine Einigung, geht der Entwurf in eine dritte Lesung – zunächst ins Parlament und dann erneut in den Rat. Allerdings können beide ihn dann nicht mehr ändern. Es gibt nur die Möglichkeit, den Entwurf anzunehmen oder abzulehnen.
Gesetze, Verordnungen, Richtlinien
Gesetze, wie sie aus der deutschen Gesetzgebung bekannt sind, gibt es auf europäischer Ebene nicht. Die Juristin und Professorin für Europa- und Völkerrecht an der Universität Leipzig, Stephanie Schiedermair, erklärt im Gespräch mit MDR AKTUELL, dass sie "untechnisch die verschiedenen möglichen Rechtsakte, die in Art. 288 AEUV geregelt sind, beschreiben". Demnach können die Organe Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen verabschieden.
Bei dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren entstehen EU-Verordnungen. Sie sind geltendes Recht, treten unmittelbar zu einem angegebenen Datum in Kraft und gelten überall in der EU gleich. Sie müssen nicht weiter ins deutsche Gesetz umgesetzt werden. Schiedermair zufolge unterscheidet sich die EU durch dieses "supranationale Element" von allen anderen internationalen Organisationen weltweit.
Richtlinien sind hingegen nicht direkt geltendes Recht, sondern wie der Name bereits sagt, eine Richtlinie. Sie legen gemeinsame Ziele der Mitgliedstaaten für ein bestimmtes Anliegen fest. Schiedermair definiert sie als einen Kompromiss "zwischen dem Wunsch nach einer gemeinsamen Regelung einerseits und dem Respekt vor der Vielfalt der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen andererseits". Dabei ist es Sache der einzelnen Länder, eigene Rechtsvorschriften zur Verwirklichung dieses Ziels zu erlassen.
Die Europäische Union liefert lediglich ein Rahmengesetz, das als Grundlage für die rechtliche Bearbeitung dient. Richtlinien müssen bis zu einem bestimmten Datum in nationales Recht umgesetzt werden und damit anders als Verordnungen noch das deutsche Gesetzgebungsverfahren durchlaufen.
Schiedermair zufolge dauert ein solches Verfahren in der Regel circa 19 Monate, könnte aber – je nach politischer Strittigkeit der Materie – deutlich länger oder auch vereinzelt kürzer dauern. Werden die Bestimmungen der Richtlinie übernommen, müssen die Staaten die Kommission davon in Kenntnis setzen.
Wann eine Richtlinie, wann eine Verordnung?
Was zu einer Verordnung oder einer Richtlinie wird, hängt der Leipziger Juristin zufolge davon ab, inwiefern die Mitgliedstaaten eine weitgehende Vereinheitlichung bei einem Thema anstreben. So gibt es beispielsweise Verordnungen, die gemeinsame Standards für den Warenimport regeln. Solche uniformen Bestimmungen seien für den Binnenmarkt unabdingbar, erklärt Schiedermair.
Im Gegensatz dazu würden Verbraucherschutzrechte und der Arbeitsschutz individuell über Richtlinien realisiert. Beide Formen kämen daher häufig vor. Auch gäbe es keine Rangordnung.
Aber Richtlinien können Verordnungen werden. Zum Beispiel ersetzte die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) die vorangegangene Datenschutz-Richtlinie. Sie soll für einen einheitlicheren Datenschutz-Standard in der EU sorgen und so Verbraucherrechte in Zeiten einer sich schnell änderten digitalen Welt stärken.
Steht EU-Gesetz über deutschem Recht?
Generell ist das Verhältnis zwischen EU-Recht und deutschem Grundgesetz nicht eindeutig definierbar und schwankt aufgrund der Rechtssprechung.
Marion Walsmann, EU-Abgeordnete für die Thüringer CDU, beschreibt das Verhältnis als sehr komplex. Walsmann, die sich unter anderem für Verbraucherschutz auf EU-Ebene einsetzt, sagte MDR AKTUELL, dass "die EU nur dort handelt und Recht setzt, wo es ihr in Einklang mit dem Lissaboner Vertrags vertraglich zugewiesen wird".
Hier genieße das europäische Recht einen Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht. "Das bedeutet, deutsches Recht bleibt zu diesen spezifischen Regelungsbereichen zwar gültig, es wird aber anstelle des deutschen Rechts europäisches Recht angewendet." In vielen anderen Regelungsbereichen habe Deutschland wiederum alleinige, souveräne Zuständigkeiten.
Europarechtlerin Schiedermair bekräftigt, dass trotz der supranationalen Regelungen die Souveränität des deutschen Rechts gelte. Zwischen der deutschen Verfassungsordnung und der europäischen Unionsordnung besteht also kein Über- oder Unterordnungsverhältnis. Allerdings: Das Bundesverfassungsgericht habe das Verhältnis zwischen deutschem Verfassungsrecht und EU-Recht differenziert ausgestaltet unter der Prämisse, dass es die Letztentscheidungskompetenz besitzt.
Heißt nach Worten der Juristin: Die EU werde von "unten nach oben" aufgebaut. Sie könne selbst keine Zuständigkeiten an sich ziehen, sondern sei darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten ihr diese im Einzelnen übertragen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 09. Mai 2024 | 10:25 Uhr