Bewerbung für Kulturhauptstadt Magdeburg kann von Chemnitz lernen: politischer und näher an den Menschen

31. Oktober 2020, 09:44 Uhr

Die Enttäuschung war am Mittwoch in Magdeburg deutlich spürbar: Chemnitz ist Kulturhauptstadt Europas 2025. Magdeburg hat den Titel verpasst. Nach der ersten Trauer folgten ehrliche Freude und Anerkennung für Chemnitz. Jetzt muss der Blick nach vorne gehen. Denn Chemnitz hat manches besser gemacht, von dem Magdeburg lernen kann. Dazu gibt es vielversprechende Ansätze. Eine Einschätzung.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Jubel in Chemnitz, enttäuschte Gesichter in Magdeburg: Als die Jury am Mittwoch verkündete, dass Chemnitz die neue Kulturhauptstadt Europas 2025 werden wird, war mit Händen greifbar, was Magdeburg da für eine Chance verpasst hat. Der Titel hätte der Stadt extrem gut getan. Was aber auf die erste Ernüchterung nun folgen muss, ist der Blick nach vorne: Was kann Magdeburg von Chemnitz lernen? Was sind die nächsten Schritte? Was kann die Stadt verbessern? Denn eins ist klar: Gerade mit den erheblichen Beschränkungen öffentlichen Lebens, die am Montag in Kraft treten, ist es wichtiger denn je, das kulturelle Potenzial Magdeburgs zu bewahren und zu stärken.

Magdeburg hatte das meiste Potenzial der Bewerberstädte, was eine kulturelle Entwicklung angeht. Dieses Potenzial hat Magdeburg durch die erste Bewerbungsphase getragen und auch in der zweiten für viele Pluspunkte gesorgt. Allerdings hätte die Stadt aus diesem Potenzial noch mehr herausholen können. Letztendlich dürften am Ende Kleinigkeiten den Ausschlag gegeben haben.

Kulturhauptstadt Chemnitz
Chemnitz feiert seinen Titel Kulturhauptstadt. Bildrechte: Harry Härtel

Was Chemnitz besser gemacht hat

Zunächst einmal: Chemnitz hat diesen Titel verdient! So sehr ich enttäuscht bin, so sehr Magdeburg Sieger der Herzen sein mag, hat Chemnitz großartiges geleistet. Das muss man anerkennen. Chemnitz hatte eigentlich sehr schwierige Voraussetzungen für den Titel als europäische Kulturhauptstadt. Gerade die rassistischen Hetzjagden gegenüber vermeintlich Fremden 2018 haben die öffentliche Wahrnehmung, aber auch das Lebensgefühl in der Stadt, stark geprägt. Dennoch hat Chemnitz einiges geschafft, was Magdeburg ein wenig fehlte.

Erstens: Chemnitz ist es besser als Magdeburg gelungen, die breite Masse der Bevölkerung für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt zu begeistern. Auch Menschen, die sehr skeptisch waren und eigentlich keinen Bock auf Kultur hatten. Während bei Magdeburg die Kulturschaffenden erst im zweiten Bewerbungsbuch stärker in den Bewerbungsprozess einbezogen wurden, hat Chemnitz vor allem auch die freie Kulturszene und Bürgerinnen und Bürger von Anfang an sehr konsequent und transparent aktiv in den Bewerbungsprozess involviert. Dadurch ist eine große Energie und Entschlossenheit in der Stadt gewachsen, sowie ein spürbarer Zusammenhalt der verschiedenen Akteure. In Magdeburg ist diese Involvierung erst später gewachsen und war ein Prozess, der stärker von oben gesteuert wurde. Dadurch wirkt die Bewerbung von Chemnitz etwas lebendiger.

Zweitens: Chemnitz hat, wohl auch durch die Geschehnisse 2018 bedingt, eine klare politische Haltung in der Bewerbung zur Kulturhauptstadt entwickelt, die sehr konkret für Weltoffenheit und ein Engagement der gesellschaftlichen Mitte eintritt. Das ist in vielen kleinen Projekten, wie etwa 3.000 zu Kreativwerkstätten umgebauten Garagen, spürbar. Auch Magdeburg vertritt eine europäische und weltoffene Haltung in seiner Bewerbung, aber etwas kopflastiger und theoretischer, mit Bezügen zum Magdeburger Recht und europäischer Bedeutung. Zudem hat Chemnitz bei der Bewerbung große Transparenz und die direkte Konfrontation mit eigenen Schwächen gezeigt, und dabei nicht nur Entschlossenheit, sondern auch viel Humor bewiesen. Wieder hatte Magdeburg ein ähnliches Konzept: Leicht selbstironisch mit dem eigenen Leerstand werben. Aber es wirkte etwas verkrampfter und kalkulierter als bei Chemnitz.

Drittens: In den Prioritäten der Stadtpolitik ist nicht immer erkennbar, dass die Stadt Magdeburg den Wert der Kultur in dem Maße erkennt und fördert, wie es die Bewerbung erklärt und verspricht. Obwohl sich die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Stadt und Kulturszene erkennbar verbessert haben, wurden zuletzt auch einige kulturelle Akteure verprellt. Viele fühlen sich in der Corona-Pandemie allein gelassen, manche haben gar das Gefühl, vor allem als Vorzeigeschild für die Bewerbung gedient zu haben. Bisweilen wirkt es so, als sei in der Stadtpolitik immer noch nicht so richtig angekommen, dass Kultur sowohl für das soziokulturelle Klima der Stadt, als auch für Integrationsprozesse und Dialog, als auch für die Attraktivität der Stadt und schlussendlich dadurch auch für die Wirtschaft eine enorme Bedeutung hat. Dass es oft die Kultur und die Stimmung einer Stadt sind, die junge Arbeitskräfte halten. In Chemnitz, so wirkt es, hat man die "normalen Menschen" und die "einfache Kulturszene" noch stärker ins Zentrum gestellt, und auf gewisse Weise ernster genommen. Das hat sich ausgezahlt.

Jetzt nicht aufgegeben!

Hinterher schlau reden ist natürlich einfach. Und hinterher meckern sowieso. Das soll jetzt aber nicht mein Kern sein. Vielmehr sollen die Punkte eine Ermutigung sein, nach Chemnitz zu schauen, auf Magdeburg zu schauen, und von den Prozessen zu lernen. Denn eins muss man festhalten: Magdeburg hat in den vergangenen Jahren und Monaten unheimlich viel entwickelt, gestaltet und geschafft und große Fortschritte erzielt. Die Stadt hat sich mutig und mit weitsichtigen Konzepten beworben und ist nur ganz knapp gescheitert. Ein Grund, stolz zu sein, und tausend Gründe, an diesen Entwicklungen und Konzepten festzuhalten. Denn auch ohne den Titel braucht die Stadt eine starke Kulturszene und ebenso eine starke europäische Anbindung.

Die Bewerbung zur Kulturhauptstadt und die angestoßenen Projekte dürfen keine Eintagsfliege bleiben, sondern müssen viel mehr als Grundstein für die Zukunft begriffen werden. Die Bewerbung und der damit verbundene Fokus auf Magdeburgs Kultur haben gezeigt, wie vielfältig und kraftvoll die Stadt sein kann, wenn sie ihre Kräfte bündelt. Wie viele engagierte Menschen es gibt, die bereit sind, ihre Energie da rein zu investieren, die Stadt für alle lebendiger und lebenswerter zu machen. Die vielen Menschen aus der Kulturszene, die trotz Nebenjobs, Sicherheitskonzepten und größten Anstrengungen vor Existenznöten stehen, und trotzdem an dieser Stadt festhalten und ihre Projekte nicht aufgeben.

Ich wünsche mir, dass alle positiven Entwicklungen weitergehen. Dass weiterhin Kommunikation forciert wird. Dass sich das Bewerbungsbüro vielleicht nicht einfach in Luft auflöst, sondern als Schaltzentrale bestehen bleibt und die gerade gepflanzten Ansätze und Kontakt pflegt. Dass die Stadt, trotz wirtschaftlich angespannter Situation, Geld in die Hand nimmt, und die Kulturszene in klugen Konzepten dort stützt, wo es sinnvoll und nötig ist. Auch ohne Titel bleibt der Fakt: Magdeburg hat größtes, bisher nicht abgerufenes Potenzial. Und Magdeburg hat super Ansätze. All das wegzuwerfen, nach dem ganzen Aufwand, wäre die schlimmste Verschwendung. Stattdessen gilt es jetzt, auch ohne große internationale Aufmerksamkeit, weiterzumachen. Und ja, auch von Chemnitz zu lernen. Genauso wie Chemnitz von uns lernen kann. Gemeinsam schaffen wir das.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Leonard Schubert arbeitet seit Februar 2020 in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Interessensschwerpunkte sind Politik, Umwelt und Gesellschaft. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Charles Coleman Verlag, für das Outdoormagazin Walden und beim ZDF.

Nebenher arbeitet er an seinem Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Über den Umweg Leipzig kam der gebürtige Kölner 2016 nach Magdeburg, wo er besonders gern im Stadtpark unterwegs ist. In seiner Freizeit steht er mit großer Leidenschaft auf den Poetryslambühnen Sachsen-Anhalts oder sitzt mit einem Eisbärbier am Lagerfeuer, irgendwo in Skandinavien.

Quelle: MDR/ls

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Oktober 2020 | 17:30 Uhr

2 Kommentare

Nikolausi am 01.11.2020

Grunsätzlicher Fehler von Magdeburg - hier gibt es keine Karl Marx Büste zu bestaunen........vielleicht hätte Herr Trümper eventuell noch vorhandene alte Denkmäler wieder aufstellen sollen z.B Lenin , Stalin , Ulbricht usw. .......
....oder bin ich der Einzige der beim Anblick kommunistischer Symbole Bauchschmerzen bekommt !?

jackblack am 31.10.2020

Was MD lernen kann- Boote vom Dom werfen, Autos im Mittag See oder ein Darm am Ulrichsplatz- Danke NEIN !!!

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