Mittwoch, 13.10.2021: An der roten Ampel

An der Ampel sehen wir uns alle wieder. Dieser Spruch ist zu meinem inneren Mantra geworden, wenn ich meine täglichen Wege hier in der Stadt auf meinem alten Hollandrad erledige. Ständig stört sich irgendwer daran, dass ich nicht schnell genug bin. Da wird geklingelt und geflucht, abgedrängt und rechts überholt. Am schlimmsten ist es, wenn mich meine Hündin am Rad begleitet, denn dann sind wir noch etwas gemütlicher unterwegs. Während sie einem inneren Metronom zu folgen scheint, ihr Tempo auch über weite Strecken exakt beibehalten kann und sich von nichts aus der Ruhe bringen lässt, stressen mich die Gestressten schon.

Doch nicht nur ich bin den Flitzern ein Dorn Auge. Niemand ist ihnen zügig genug, die langsame Oma, die sich mit ihrem Rollator gerade über den Zebrastreifen Richtung Bäcker schleppt: nervt. Der Vater, dessen Kind gerade die ersten Tage alleine mit dem Rädchen in die Kita fährt: nervt. Die Flitzer lassen sich offensichtlich nicht berühren von dem kleinen Kopf unter dem riesigen Fahrradhelm, dem Schalk im Nacken und den stolzen Augen des Kindes. Nein: nervt. Der Senior auf seinem gestützten Drei-Rad, auf dem Weg zur Frühgymnastik: nervt. Und überhaupt wäre die Großstadt besser ohne Menschen. Genau diese Atmosphäre ist es, die da in der Rush Hour über die Dresdner Radwege weht.

Und dann, dann sehen wir uns an der nächsten roten Ampel in der Regel alle wieder. Der Vater mit seinem Kita-Kind, der Senior auf seinem Dreirad, ich auf meinem alten Hollandrad. Das ganze Überholen und Gezeter, das Drängeln und Rasen führt selten dazu, dass man schneller am Ziel ist.

Ich frage mich dann immer, warum sich Menschen schon morgens so getrieben fühlen und vor allem: von wem? Denn eines stelle ich auch fest: Oft sind es die gleichen Personen, erst gestern haben sie sich dieses Rennen mit ihrer inneren Uhr geliefert und heute schon wieder. Erst gestern haben sie doch festgestellt, dass wir an den roten Ampeln immer wieder neben- bzw. hintereinanderstanden und heute wieder. Warum? Wie muss es sich anfühlen, so extrem gehetzt am Arbeitsplatz anzukommen? Trägt sich die Unruhe dann durch den Tag, oder tritt Erleichterung ein, wenn man geschwitzt im Bürostuhl zum Sitzen kommt?

Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit Ruhe und Zuversicht in diesen neuen Tag starten können.

Das Wort zum Tag sprechen in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Prof. Dr. Julia Enxing

Prof. Dr. Julia Enxing

Jahrgang 1983 | Professorin für Systematische Theologie und Direktorin des Instituts für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dresden | Theologie und Philosophie in Mainz, Münster und Frankfurt a. M. studiert | Themen: Wie kann heute von Gott gesprochen werden? Was heißt Christ:in-Sein in Kirche und Gesellschaft? Was bedeutet es, die Schöpfung zu bewahren?

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.