Montag, 17.01.2022: Ganz banal: Alltag

Schlägt man im Duden das Wort "banal" nach, findet man als eine der ersten Bedeutungen: durchschnittlich. Und davor die Anmerkung des Dudens: abwertend. Schon seltsam, dass wir die Bezeichnung "durchschnittlich" als abwertend empfinden. Immerhin bedeutet das ja einfach: so wie die meisten anderen. So wie meistens. Durchschnittlich eben. 

Noch schlimmer als die Bewertung "banal" für einen Gedanken oder eine Idee, ist wohl das Gefühl, ein ganz banales Leben zu führen. Ein Durchschnittliches. Ohne Heldentaten, ohne Auszeichnungen, ohne ganz großen Abenteuer.

Eine, die das überhaupt nicht so empfand, war Madeleine Delbrel. Sie gilt als eine Mystikerin der Straße. Als eine also, die Gottes Geheimnis auf der Straße fand. Sie lebte Mitte des 20. Jahrhunderts in der kleinen Stadt Ivry-sur-Seine nahe Paris mit einer kleinen Gemeinschaft von Frauen. Mit ihnen versuchte sie gemeinsam christliches Leben zu gestalten - mitten im Alltag. Sie schreibt:
"Brecht in den Tag auf ohne vorgefertigte Idee,
ohne eingeplante Verdrossenheit,
ohne Projekte für Gott, ohne Erinnerung an ihn,
ohne Euphorie,
ohne Bibliothek -
brecht auf zur Begegnung.
Brecht auf ohne Straßenplan, um ihn zu entdecken - ihr wisst doch, dass er auf dem Weg ist und nicht in den Worten.
Versucht nicht ihn mit besonders originellen Rezepten zu finden, sondern lasst euch von ihm finden, in der Armut eines ganz banalen Lebens."

Zugegeben. So ganz durchschnittlich war Madeleines Leben nicht: Sie war Katholikin und arbeitete mit der kommunistischen Stadtverwaltung zusammen. Sie stritt mit dem Papst - und wurde um Mitarbeit im zweiten vatikanischen Konzil gebeten. Doch sie selbst schreibt diesen Text aus der Perspektive ihres Alltags. Da stand sie früh auf und ging zur Arbeit. Begegnete sie Kollegen, Freunden, Bekannten und Unbekannten. Sprach mit ihnen, hörte zu, tröstete. Wie die meisten von uns. Sie entschied sich bewusst für dieses  Leben der meisten anderen – und  genau so fand sie ihren Gott – in der Armut eines ganz banalen Lebens.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Elisabeth Muche

Elisabeth Muche

Leiterin der Kontaktstelle für Lebens- und Glaubensfragen der katholischen Kirche in Leipzig. Ordensschwester in der Kongregation der Helferinnen.

Geboren am 11.06.1990 in Chemnitz | Aufgewachsen in Chemnitz| Journalistische Ausbildung am Institut für publizistische Nachwuchsförderung (ifp) 2011-2013 | Studium der Psychologie in Leipzig 2011 - 2016 | Ignatianische Ordensausbildung in Cergy, Frankreich und Wien, Österreich 2017 - 2019 | Erstprofess 2019 | seit September 2019 in der Leitung der Kontaktstelle in Leipzig

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.