Arbeit im Kuhstall
Nach der Förderschule absolvierte Simon Hübler ein Praktikum auf dem Bauernhof, unterstützt vom Sozialen Förderwerk Chemnitz. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Soziales Förderwerk Chemnitz vermittelt junge Menschen mit Behinderung Alternative zur Werkstatt: Simon Hübler braucht frische Luft

12. November 2022, 04:00 Uhr

Von der Förderschule direkt in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung? Simon Hübler wollte lieber an die frische Luft. Von Kindesbeinen an half er auf dem Hof seines Opas. Heute kümmert sich der 22-Jährige auf dem Hof von Familie Pauly im sächsischen Eppendorf bei Augustusburg um die Kühe. Das Soziale Förderwerk Chemnitz unterstützte ihn, diese Alternative zu finden.

Morgens um 6 Uhr geht es los im Kuhstall. Simon Hübler stört das nicht, im Gegenteil. Der 22-Jährige würde heute in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten, wäre da nicht seine Liebe zu den Kühen. Schon als Kind hatte er auf dem Hof seines Opas geholfen.

Alternative zur Werkstatt: Arbeit auf dem Bauernhof

Arbeit im Kuhstall
Vom Füttern übers Melken bis zum Ausmisten lernte Simon Hübler die Abläufe kennen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Er weiß, wie man die Kühe von der Weide holt und zum Melken in den Stall bringt. Genauso gehört es zu seinen Aufgaben, den Mist der Kühe im Stall wegzuräumen. Vermittelt wurde er von einem sogenannten Alternativen Leistungsanbieter, dem Sozialen Förderwerk Chemnitz e.V.. Für SFW-Chef Daniel Wiener besteht die Aufgabe des Vereins darin, dafür zu sorgen, dass Unternehmen und Menschen mit Behinderung zusammenfinden. Dazu gehört es auch, vor Ort zu analysieren, wie die Arbeitsaufgaben und -abläufe aussehen können, welche Hilfsmittel dabei nötig sind. Beraten wird auch zu Fördermöglichkeiten, um die Ausstattung zu verbessern. Wer so wie Simon gern in der Landwirtschaft arbeiten möchte, sollte das auch tun können, betont Daniel Wiener. Das sei das Wahlrecht der Klienten. "Laut seines Gutachtens wäre Simon eigentlich in die Werkstatt gekommen.

Wir haben versucht, ein Unternehmen zu finden, wo Simon sich wohl fühlt.

Daniel Wiener Soziales Förderwerk Chemnitz e.V.

Entlastung für Landwirt Pauly

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Landwirt Andreas Pauly Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Für den Landwirt Andreas Pauly bedeutet Simons Arbeit inzwischen eine Entlastung. Damit er beispielsweise im Stall selbstständig loslegen könne, sei eine elektrische Schubkarre angeschafft worden: "Kot und Stroh aus dem Stall zu holen, das wäre wegen der Gewichtsbeschränkung für Simon mit der normalen Handschubkarre nicht machbar gewesen. Seine Mutter kam auf die Idee, eine elektrische anzuschaffen. Da haben wir uns dann gekümmert." Mit Hilfe des Sozialen Förderwerks wurde ein Förderantrag auf das Hilfsmittel gestellt.

Arbeit im Kuhstall
Mit einer elektrischen Schubkarre als Hilfsmittel kann Simon Hübler beim Ausmisten helfen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Simon Hübler wurde über 27 Monate hinweg in zwei Kuhställen ausgebildet. Er lernte, wie man die Liegeboxen und Tränken der Tiere reinigt, einkalkt oder ausmistet. Am liebsten bringt er die Tiere zum Melkkarussel. Dafür musste er sich einprägen, in welcher Reihenfolge die Tore geöffnet bzw. geschlossen werden. Andreas Pauly erinnert sich, "wie hektisch Simon anfangs wurde, wenn ein Tor nicht richtig gestellt war und die Kuh falsch gelaufen ist oder die Kälber nicht so wollten wie Simon": "Mittlerweile funktioniert das ganz gut. Er hat einen ruhigen Umgang mit den Tieren. Er macht das alleine, er hat noch keine vergessen und alle mitgebracht, auch wenn's finster ist", sagt Pauly. Für Simon ist das Lob Motivation:

Da versteht man, dass man gebraucht.

Simon Hübler Über seine Arbeit auf dem Bauernhof

27 Bildungsmonate mit Persönlichem Budget, Paten und Bildungszielen

Arbeit im Kuhstall
Die Kühe von der Weide holen, auch das gehört zu den Aufgaben. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wie in einer Werkstatt gibt es 27 Bildungsmonate, beantragt wird dazu das Persönliche Budget für Ausbildung, das Eltern oder Bildungsbegleiter bei der Agentur für Arbeit beantragen. Für die Zeit wird vom Betrieb ein Ansprechpartner als Pate benannt. Einmal pro Woche begleiten die Mitarbeitenden des SFW die jungen Leute direkt bei ihrer Tätigkeit, um den Betrieb bei der Wissensvermittlung oder der Suche nach passenden Aufgaben zur Entlastung von Fachkräften zu unterstützen. Außerdem werden Bildungsziele definiert, dazu gehören das Wissen über Brandschutz, Erste Hilfe oder Hygiene genauso wie spezielle Themen, die für den Betrieb wichtig sind und den Fähigkeiten der Jugendlichen entsprechen.

Perspektive im Betrieb

Arbeit im Kuhstall
Daniel Wiener vom Sozialen Förderwerk Chemnitz, das in Kooperation mit Betrieben Alternativen zur Arbeit in einer Werkstatt aufzeigt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Zum Job der Bildungsbegleiter gehört es außerdem, die Agentur für Arbeit regelmäßig über die Entwicklung zu unterrichten, technische Hilfsmittel zu beantragen sowie die Jugendlichen aber auch das Unternehmen über Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung zu beraten. Simon Hübler konnte auch nach den 27 Monaten auf dem Hof der Paulys bleiben. Seitdem ist er beim Sozialen Förderwerk beschäftigt, einmal im Moment kommt ein SFW-Begleiter zu ihm auf den Hof. Für Geschäftsführer Daniel Wiener bietet das Modell des SFW als alternativem Leistungsanbieter die Chance, "den mittlerweile etwas ausgelutschten Begriff von der Inklusion" mit Leben zu erfüllen":

"Inklusion muss gelebt werden, nicht nur von den Betroffenen und Leistungsträgern, sondern von der ganzen Gesellschaft, sprich also auch von den Arbeitgebenden. Das ist ein langer Prozess, aber wir bohren, wo wir können."

Stichwort: Soziales Förderwerk e.V. & Alternative Leistungsanbieter Das Soziale Förderwerk Chemnitz (SFW) ist ein Verein, der Schülerinnen und Schüler im Erzgebirgskreis mit geistiger Behinderung in der Berufsorientierung unterstützt.

Diese Berufsorientierung erfolgt in Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Behinderung in den letzten Schuljahren. Dabei sollen Neigungen, Stärken und Wünsche herausgefunden werden.

Entsprechend der Ergebnisse und auf Wunsch der Schülerinnen und Schüler bzw. Eltern gehen die SFW-Berater auf die Suche nach Praktikumsstellen bei Unternehmen in der Umgebung, da es keine eigegen Produktionsstätten besitzt. So entstehen erste Kontakte und die Möglichkeit, sich praktisch auszuprobieren.

Dabei sollen die jungen Leute auch herausfinden, ob sie künftig lieber im geschützten Raum einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden wollen.

Dafür können die Eltern oder Betreuenden bei der Agentur für Arbeit ein Persönliches Budget beantragen. Damit kann unmittelbar nach dem Ende der Schulzeit der so genannte Bildungszeitraum begonnen werden, der 27 Monate dauert. Bezahlt wird die Tätigkeit wie ein Werkstattplatz. Alternative Anbieter wie das SFW argumentieren, Menschen mit Behinderung könnten dort sehr viel selbstständiger und integrierter arbeiten.

Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt, MDR Selbstbestimmt

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 13. November 2022 | 08:00 Uhr

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