Was wir lesen

Cover Expedition Arktis
Bildrechte: Prestel Verlag

Wissen, was wir lesen Expedition Arktis. Die größte Forschungsreise aller Zeiten

20. Dezember 2020, 19:55 Uhr

Dieses Buch ist wie eine Naturgewalt. Ein fesselndes Abenteuer, dass uns in eine raue, unwirkliche und immer kleiner werdende Welt entführt – die Arktis. Ein Ort, an dem man den Klimawandel unmittelbarer erleben kann als sonst auf der Welt. Dabei haben wir gerade erst begonnen, ihn zu verstehen, sagt MDR WISSEN Redakteur Gerald Perschke

Ein Mann steht neben seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer und schaut lächelnd in die Kamera.
Bildrechte: Gerald Perschke

Worum geht es?

Menschen aus 20 Nationen, von 80 Forschungseinrichtungen, 500 Wissenschaftler, Technikerinnen, Köche, Piloten, Sicherheitsexpertinnen, Biologinnen oder Eisbärenwächter auf einem Schiff, ein Jahr festgefroren auf einer Eisscholle. Es geht um MOSAiC, die größte Expedition der Neuzeit, unterwegs in einer schwindenden Welt, der Arktis. Denn nirgends, so Expeditionsleiter Markus Rex im Vorwort zu diesem Bildband, ist der Klimawandel augenfälliger.

Drei Personen mit Stirnlampen im Dunkeln. Wegen des Gegenlichts aus einem Strahler sind nur ihre Silhouetten zu erkennen. Sie stehen auf einem schneebedeckten Boden neben einem "Handlauf" aus drei Leitungen, die den Weg markieren.
Bildrechte: Esther Horvath 2020

Man braucht hier keine hochgenauen Messgeräte oder ausgefeilte Statistik, um den Klimawandel nachzuweisen, man muss nur die Augen aufmachen.

Markus Rex, MOSAiC Expeditionsleiter

Wie schafft es das Buch, mich zu fesseln?

In den vergangenen Jahren habe ich viele Berichte über den Klimawandel gelesen, Videos gesehen, Bilder angeschaut. Vieles hat sich wiederholt, immer wieder die gleichen – wichtigen – Botschaften. Dann kommt die Arktis, die ich jeden Tag auf Google Maps anschauen kann, von der ich NASA-Videos kenne,  die zeigen, wie die Eisfläche mit jedem Jahr kleiner wird. Und dann stelle ich beim Lesen fest, was ich alles nicht weiß oder bisher nur geahnt habe.

Das Schiff Polarstern wird bei Tageslicht in der Arktis entladen. Im Hintergrund das im Eis festsitzende Schiff. Davor fünf Forscher*innen, die Equipment enladen haben und auf zwei Schlitten platzieren, die von Schneemobilen gezogen werden.
Die Polarstern, eingefroren in der Eisscholle, Fix- und Ankerpunkt für der Crew. Bildrechte: Esther Horvath 2020

Und so geht es auch den Forschern mit ihren vielen Fragen. Wie funktioniert das Leben auf und unter dem Eis in ewiger Polarnacht? Wie beeinflusst das Phytoplankton, das die Hälfte des Sauerstoffs der Erde erzeugt  – und ganz nebenbei Unmengen CO2 bindet – das Wetter? Was passiert in der Atmosphäre, wenn gigantische Mengen minus 1,5 Grad kaltes Wasser plötzlich verdampfen, weil sie auf noch viel kältere Luft (minus 40 Grad) treffen, wenn die Eisschollen aufbrechen, weil z.B. die Gezeitenkräfte des Mondes an ihnen zerren?

Inmitten eines Forschungszelts sitzt eine Forscherin in roter Schutzhose, Strickpulli und -mütze. Sie hält ein Klemmbrett und ein Walkie Talkie in der Hand und blickt zu einem großen Loch im Holzboden, unter dem offenbar Untersuchungen stattfinden.
Bjela König ist eigentlich die Sicherheitsexpertin der Expedition. Hier pumpt sie Wasser durch einen Filter, der bei späteren Analysen u.a. zeigen könnte, wie viel Mikroplastik im arktischen Meerwasser schwimmt. Bildrechte: Esther Horvath 2020

Wer hat's geschrieben?

Die Texte stammen von Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuder, das Vorwort hat Markus Rex, der Leiter der MOSAiC-Expedition geschrieben, dessen Logbuch wir bereits vorgestellt haben. Und Ester Horvath gibt in einem Interview Auskunft über ihre Fotoerfahrungen in Kälte, Dunkelheit und Licht, einem besonderen Licht, in das sie sich verliebt hat, wie sie selbst gesteht. Diese Fotos sind es auch, die das Buch prägen. Viel Schwarz, viel Weiß und auch jede Menge Rot, dazwischen viele Arten von Grau und Blau.

Zwei Eisbären an zwei roten Markierungsfahnen im Lichtkegel. Der rechte untersucht eine der beiden Fahnen; der linke bewegt sich von der Fahne weg.
Sicher eines der bekanntesten Bilder der Expedition. Denn für diese Aufnahme der Eisbären bekam Esther Horvath den World Press Photo Award in der Kategorie Umwelt. Bildrechte: Esther Horvath 2020
Cover Expedition Arktis
Bildrechte: Prestel Verlag

Die Daten zum Buch Esther Horvath, Sebastian Grote, Katharina Weiss-Tuider: Expedition Arktis. Die größte Forschungsreise aller Zeiten. Prestel Verlag 2020, 288 Seiten, 50 €, ISBN: 978-3-7913-8669-0

Wie ist es geschrieben?

Es beginnt sehr persönlich mit dem Blick des Expeditionsleiters auf eine Welt, deren Veränderung man in der Arktis mit bloßem Auge sehen kann. Die meisten Texte sind sachlich und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – aufrüttelnd. Denn sie erzählen vom Schwinden einer Welt, die wir gerade erst richtig kennenlernen, wozu die Expedition ihren Beitrag leisten soll, indem sie die Arktis erstmals grundlegend erforscht. Die Texte sind kurz, manche Themen tauchen mehrfach auf, was in der Forschungsarbeit begründet liegt.

Eine Grafik erklärt das Zusammenspiel von Wetter und Eis, Das Meer ist als Polygon dagestellt, in dessen Mitte die größte Eisscholle mit dem eingefrorenen Schiff zu sehen ist, gerahmt von kleineren und größeren weiteren Eisschollen. Darüber und darunter zeigen Pictogramme die Wetterkreisläufe.
Die einzige Grafik im Buch erklärt das Zusammenspiel der verschiedenen Teile des Klimasystems der Arktis. Bildrechte: Alfred-Wegener-Institut/Eventfive

Was bleibt hängen?

Für viele der 500 Teilnehmer dieser riesigen Expedition ist der Bildband vielleicht ein wenig das Familienalbum 2020. Für uns ist es ein Einblick in eine raue und trotzdem fragile Welt. Jedes Mal, wenn man den schweren Wälzer zur Hand nimmt und aufs Neue die Fotos ansieht, kann man das Gefühl der Ehrfurcht vor der Natur teilen, über das die Expeditionsmitglieder berichtet haben, angesichts der Weite, der Kälte, der Stürme, des strahlenden Eises, als nach dem langen, dunklen Winter zum ersten Mal die Sonne aufging und der majestätischen Eisbären, die die Fahrt der Polarstern auf der Eisscholle begleitet haben.

Und es bleibt die große Spannung, was wir alles erfahren, wenn die Forscherinnen und Forscher ihre Terabyte an Daten ausgewertet haben – und was wir mit diesem neuen Wissen anfangen werden.

Ein Mann steht neben seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer und schaut lächelnd in die Kamera.
Bildrechte: Gerald Perschke

Der Rezensent Ist bei MDR WISSEN für den Onlinebereich zuständig – und liebt es, nachts in den Himmel zu schauen. Vor allem im Sommer und wenn die ISS über den Saalekreis fliegt.

0 Kommentare