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Ein Geldstück fällt in eine aufgehaltene Hand. Als Wasserzeichen die Zahl Zehn. 9 min
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Große Fragen in zehn Minuten Gibt es Zufall?

Gibt es Zufall?

Na klar gibt es den Zufall – wir begegnen ihm doch jeden Tag! Oder wissen wir nur nicht genug, um zu erkennen, dass es Zufall gar nicht gibt?

Mi 06.03.2024 12:00Uhr 08:44 min

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Podcast Die Welt um uns herum ist für uns voller Zufälle

06. März 2024, 13:58 Uhr

Kann ein Schmetterling wirklich einen Hurrikan auslösen? Oder ist das Zufall? Gibt es überhaupt Zufälle oder bilden wir uns sie nur ein? Darum geht es im aktuellen Podcast "Die Großen Fragen in zehn Minuten" von MDR-WISSEN-Redakteur Karsten Möbius.

MDR Wissen Redakteur Karten Möbius
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Ich stehe irgendwo in Afrika in der Wüste, am Grill einer kleinen Lodge. Und plötzlich steht mein Nachbar Thomas neben mir. Wir starren uns ungläubig an und rufen gleichzeitig: "Das gibt's doch nicht, was für ein Zufall! Wir beide völlig unabgesprochen auf der anderen Seite des Planeten, am selben Ort, zur selben Zeit!"

Ist das wirklich Zufall? Oder sind wir einfach nicht in der Lage, die lange Kette von Ursachen und Wirkung die uns beide hier am Abend zusammengeführt hat, zu überblicken?

Zufall in der Mathematik ein Vorgang mit mehreren möglichen Ergebnissen

Unsere Reise zum Zufall beginnt also in der namibischen Wüste. Wenn ich wissen will, ob das wirklich ein Zufall war, müsste ich also herausfinden, wie dieses extrem unwahrscheinliche Treffen zustande kam: War es wirklich völlig unvorhersehbar? Hätte alles auch ganz anders kommen können?

"Von Zufall spricht man in der Mathematik bei Vorgängen, die mehr als ein mögliches Ergebnis haben und man nicht voraussagen kann, welches Ergebnis tatsächlich passieren wird", erklärt Christian Hesse, Professor für Mathematische Statistik an der Universität Stuttgart.

Welt der Elementarteilchen ein Zufallszoo

Es gibt den Zufall, soviel schon mal vorab. Wissenschaftler begegnen ihm in der Welt der kleinsten Teilchen, im atomaren Bereich. Dort können wir oft keine eindeutige Ursache einer Wirkung zuordnen. "Da gibt es den absoluten, unhintergehbaren Zufall, der durch noch so viel Wissen nicht verschwindet", so Hesse. "Die Welt der Elementarteilchen ist also ein Zufallszoo. Und die physikalische Theorie, die für diese extrem kleinen Teilchen gültig ist, ist eine Theorie von zufälligen Wahrscheinlichkeiten und nicht von absoluten Sicherheiten."

Okay, das hätten wir geklärt – modernes Grundlagenwissen sozusagen. Aber zurück in die namibische Wüste. Auch hier werden Thomas und ich wahrscheinlich niemals wissen, wieso wir uns in der Wüste getroffen haben. "Das gibt's doch nicht, was für ein Zufall!" Um das auszuschließen, müssten wir herausfinden, wie es dazu gekommen ist.

Viele erleben Zufälle in ihrem Leben

Das fängt schon damit an, dass wir klären müssten, wie und warum Thomas mein Nachbar wurde. Wieso er nach Namibia wollte, und gerade in diesem Jahr. Es wird für unser Gefühl immer ein unglaublicher Zufall bleiben. Ob es tatsächlich einer war, steht auf einem ganz anderen Blatt. Denn wenn es eine gemeinsame noch so verwobene und komplizierte Ursachenkette gibt, wäre es im echten Sinne eben kein Zufall – weil es unter den gegebenen Umständen so kommen musste.

Ob es in der echten Welt Zufall gibt? Da gibt es Menschen, die so sagen und Menschen, die so sagen

Albrecht Beutelsbacher, Mathematiker

Also für die meisten – ich spreche, glaube ich, vielen aus der Seele – gibt es auch in der echten erlebbaren Welt den Zufall. Beispiele dafür sind: Die Bahn verpasst, dadurch die eigene Frau kennengelernt. Einen Kredit beantragt und in einen Bankraub geraten. In die Wüste gefahren, Nachbarn getroffen. Oder auch Lotto gespielt, Millionär geworden

Theoretisch könnte man alles deterministisch vorherberechnen

"Der größte Zufall in meinem Leben passierte schon am allerersten Tag meines Lebens, meinem Geburtstag, einem 2. August", erzählt Beutelsbacher. "Ganz ungeplant und rein zufällig hat meine Mutter den gleichen Geburtstag. Aber nicht nur das. Auch mein 86-jähriger Onkel und meine inzwischen verstorbene Tante haben diesen Geburtstag. Und, wie sich viele Jahre später dann ergab, auch mein bester Freund. Wenn man sich die Wahrscheinlichkeit dafür ausrechnet, dann ist die noch kleiner als die für einen Jackpot im Lotto."

Kennt ihr den französischen Mathematiker Laplace? Der hat sich ziemlich viele Gedanken über das Phänomen gemacht. Der hätte darüber nur müde gelächelt, was Beutelspacher da über die gleichen Geburtsdaten gesagt hat. Haha, Zufall – hätte er geschmunzelt. Seine Theorie war, dass es Zufall in der echten Welt nicht gibt. Er hatte zwar noch keine Ahnung von der Heisenbergschen Unschärfe in der Welt der Elementarteilchen, trotzdem ist seine Sicht auf den Zufall sehr interessant. "Denn man könnte sich ja vorstellen: Wenn man den Ort und den Impuls aller Atome kennen würde, könnte man theoretisch auch berechnen, wo die in einer Sekunde, einer Stunde, einem Tag, einem Jahr sind und könnte sozusagen alles deterministisch vorherberechnen", so Beutelsbacher.

Meistens fehlen uns nur Informationen

Deterministisch bedeutet, dass alles, was passiert, auch eine Ursache hat. Wir könnten, so die Theorie, alles auf eine Ursache oder ein Ursachenpaket zurückführen. Damit wären Beliebigkeit oder eben der Zufall ganz grundsätzlich raus. Mathematiker Christian Hesse kennt alle diese Gedanken und Theorien natürlich – er spricht trotzdem vom Zufall: "Zum Beispiel eine Münze zu werfen, ist solch ein Zufallsvorgang."

Laplace würde jetzt wahrscheinlich sagen - das ist so, weil in der Gleichung Informationen fehlen. Wüssten wir mehr, könnten wir exakt vorausberechnen wo und wie die Münze landen würde. Kopf oder Zahl wäre nicht mehr Fifty-fifty, sondern definitiv berechenbar. Das ist aber realistisch nicht machbar. Abgesehen davon, dass wir die Landung der Münze nicht vorausberechnen wollen – es geht ja darum, etwas Unvorhersehbares zu machen.

Wir wissen in dem Moment, in dem die Münze die Hand verlässt, nie, mit wieviel Kraft und wie hoch der Schiedsrichter am Samstagnachmittag die Münze werfen wird, wie stark und aus welcher Richtung der Wind weht, und wie sie im Gras landet. Insofern wird Kopf oder Zahl für uns im echten Leben immer eine Überraschung bleiben oder eben Zufall sein. Aber grundsätzlich gilt: wirklich willkürlich oder zufällig ist das nicht.

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