Wissen

Adipöser Mann beißt mit weit aufgerissenem Mund in einen Burger, vor ihm ein Stapel weitere. Als Wasserzeichen die Zahl Zehn. 10 min
Woher kommt die Gier? Bildrechte: MDR

Podcast Gier kann auch großartig sein

23. Februar 2024, 11:36 Uhr

Wir alle haben sie ein bisschen in uns, auch wenn wir das vielleicht nicht zugeben mögen: die Gier. Doch woher kommt diese Eigenschaft? Und hat sie eventuell auch positive Aspekte? MDR-WISSEN-Redakteur Karsten Möbius geht diesen Fragen im aktuellen Podcast "Die Großen Fragen in zehn Minuten" nach und interviewt dazu Experten für Psychologie.

MDR Wissen Redakteur Karten Möbius
Bildrechte: Holger Sauer

Na wer kennt sie nicht, die Gier? Patrick Mussell, Persönlichkeitspsychologe an der FU Berlin, sagt: Gier steckt in uns allen. Gier ist ein allgemeines Persönlichkeitsmerkmal. "Solche Persönlichkeitsmerkmale sind kontinuierlich verteilt. Das heißt: Manche haben weniger als der Durchschnitt, manche haben durchschnittlich viel und manche Personen haben überdurchschnittlich viel Gier. Aber es gibt bei Persönlichkeitsmerkmalen nicht den Zustand, dass jemand etwas nicht besitzt", erklärt Mussell.

Die Gier ist also so etwas wie Mitgefühl oder Intelligenz. Jeder hat etwas davon, der eine mehr, der andere weniger. Ausgangspunkt der Gier, ist das Grundbedürfnis, sagt Mussell, dass wir Irgendetwas brauchen, um zu leben.  "Der Gier wohnt ja der Wunsch inne, etwas zu haben. Das ist zunächst mal ein normaler, ja man könnte auch sagen lebenswichtiger Trieb, den die Menschen in sich haben. Ein Motiv, sich Dinge anzueignen, um sich ernähren zu können, eine Familie ernähren zu können, einen gewissen Stand an Wohlstand zu haben", so Mussell.

Der Experte meint, dass diese Tendenz, sich Dinge anzueignen, Leistung auch zu bringen und dafür zum Beispiel Geld zu bekommen, in jedem von uns drin stecke. Von Gier spricht man dann, wenn es mehr ist als notwendig, wenn es über das hinausgeht, was man unbedingt bräuchte, wenn es den Charakter von unstillbar hat, so der Persönlichkeitspsychologe: "Ein unstillbarer Wunsch nach mehr – da beginnt praktisch das, was die Gier ausmacht. Das ist eine gewisse Zügellosigkeit in dem Streben und Aneignen von Dingen."

Menschen sind gierig, weil sie es können

Aber wo fängt das Zügellose an, wo beginnt Gier? Kann man das festmachen? Schon beim dritten Stück Schokolade oder erst beim sechsten oder zehnten? Bei der ersten Million oder bei der fünften? Mit Zahlen könne man dem Wesen der Gier nicht beikommen sagt Barbara Streidl vom Bayrischen Rundfunk. Sie hat das Buch geschrieben: "Gier. Wenn genug nicht genug ist"

Gier ist das Gegenteil von genug. Und es gibt natürlich auch viele andere Definitionen. Aber mir gefällt eben diese Definition, dass es das Gegenteil von genug ist. Denn genug ist etwas, das wir selbst auch bestimmen können.

Barbara Streidl, Autorin eines Buchs zum Thema "Gier"

Dort, wo genug ist, dort gibt es keine Gier, dort ist sie sofort weg. Ganz grundsätzlich gehe es also darum zu entscheiden, JETZT jetzt höre ich auf – da stehen die Schokolade und die Chipstüte nur stellvertretend für viele andere Dinge, so Streidl. "Wir Menschen sind gierig, weil wir es können. Weil unsere ganze Realität darauf ausgelegt ist, uns das Gefühl zu geben: 'Es ist total ok, immer mehr zu wollen.'"

Wenn man ein Smartphone habe, dann kann man trotzdem noch ein zweites haben. Wenn ich ein Auto habe, kann ich lässig noch ein zweites dazu haben, oder ein Motorrad oder ein E-Bike – oder vielleicht alles davon. Das sei schon bei Kindern so, dass die ja nicht nur ein Lego-Set haben, sondern ganz viele, erklärt Barbara Streidl. "Und wenn die dann in die nächste Saison gehen, dann kann man gleich noch mal ganz viele Lego-Sets sich wünschen oder geschenkt bekommen. Das heißt, in jeder Phase unseres Lebens werden wir damit konfrontiert, dass es total in Ordnung ist, immer mehr zu wollen. Und das machen wir einfach auch. Weil's geht."

Adipöser Mann beißt mit weit aufgerissenem Mund in einen Burger, vor ihm ein Stapel weitere. Als Wasserzeichen die Zahl Zehn. 1 min
Woher kommt die Gier? Bildrechte: MDR

Gierige Menschen weniger vorsichtig bei negativen Reizen

Gierig sein, passt quasi perfekt in unsere Überflussgesellschaft. Wirtschaft und Marketingabteilungen tun auch alles dafür, dass unsere Gier nach Dingen befeuert wird. Gierig zu sein, das ist ziemlich einfach heutzutage. Sich dagegen beschränken, zu wiederstehen kostet ziemlich viel Willen und Kraft.    

Und trotzdem gibt es ja auch Menschen, die weniger gierig sind als andere. Also woher kommt die Gier, das Zügellose? Mussell hat mit Probanden ein Spiel gespielt, um Gier zu messen. Es ging darum, einen virtuellen Ballon aufzupusten. Und je weiter man ihn aufpustete, desto mehr richtiges Geld konnte man gewinnen und mit nach Hause nehmen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit platzte der Ballon allerdings auch - und in diesem Fall gab es gar nichts. Während die Probanden also ihre virtuellen Ballons aufpusteten, und die manchmal platzten, hat Mussell die Hirnströme der Versuchsteilnehmer gemessen.

"Dafür haben wir bei den Personen gemessen, was passiert, wenn sie einen positiven und einen negativen Reiz bekommen", erklärt der Forscher. "In unserem Fall 'der Ballon platzt' und 'der Ballon platzt nicht'. Was wir erwarten würden, bei normalen Personen, ist, dass der negative Reiz eine entsprechende Reaktion im Gehirn auslöst. Das gibt Menschen die Chance, aus diesem negativen Reiz zu lernen. In dem Fall wäre die Lernreaktion 'Hoppla, wenn ich zu weit aufpumpe, dann platzt der Ballon!' Also lerne ich und bin beim nächsten Mal ein bisschen vorsichtiger. Genau dieser Mechanismus war bei gierigen Personen weniger ausgeprägt."

Gier als Ersatzhandlung für Gefühl fehlender Liebe

Das heißt, es gibt einen Zusammenhang zwischen Gier und Risikoneigung. Wer gierig ist, ist auch bereit, höhere Risiken einzugehen. Aber das ist nur ein Teil der Antwort, woher Gier kommen könnte. Ein zweites Experiment bringt uns der Antwort schon näher. Mussell hat Biographien, Lebenserfahrungen von Probanden, ihrem Weltbild und ihrer Gier abgeglichen und wie sich Gier im Laufe der Zeit entwickelt. Dabei ist er zu einem klaren Ergebnis gekommen.

"Menschen, die negative Glaubenssätze haben, also zum Beispiel 'Ich werde nicht geliebt' oder 'Ich kann nicht kontrollieren, was passieren wird', bei denen stieg die Gier über die Zeit an Und Menschen, die das nicht haben, bei denen fiel die Gier eher ab", erläutert Mussell. "Das war zunächst mal ein sehr interessantes Ergebnis, was auch zu der Frage eine Antwort liefert 'Woher kommt die Gier?' Das könnten bestimmte Erfahrungen sein, die zu diesen Glaubenssätzen führen. Wir haben uns gefragt, was das bedeuten könnte. Eine Idee war, dass es sich dabei um eine Art Ersatzhandlung handelt. Also in Bereichen, wo ich das Gefühl habe, nicht geliebt zu werden, keine Kontrolle zu haben, da habe ich die Möglichkeit, mir Geld anzueignen – was ja auch eine Form von Sicherheit bedeutet."

Gier wird eigentlich immer als schlecht bewertet und ist sogar eine der Todsünden – wie gehört. Aber das stimmt nicht ganz. Gier kann auch großartig sein. Denn eine gewisse Form von Gier hat uns zum gemacht, was wir sind. Die unstillbare Lust Dinge zu erforschen – nämlich die Neugier!  

2 Kommentare

MDR-Team vor 11 Wochen

Hallo Shantuma,

wir versuchen große, spannende und wichtige Fragen in 10 kompakte Minuten zu packen. Klar, ist das etwas komprimierter. Aber dafür auch schneller und mehr "snackable" für Zwischendurch. Ohne an Kontext oder Inhalt zu sparen.

Wenn Sie damit nichts anfangen können, können Sie natürlich gerne auf andere und längere Wissenspodcasts in der ARD Audiothek ausweichen.
Mit Gier hat das tatsächlich eher wenig bis nichts zu tun.

- Das MDR WISSEN Team

Shantuma vor 11 Wochen

Ganz schön gierig. Nur 10 Minuten ... und dann sagt man immer Verschwörungstheorien liefern einfache Antworten.
Also 10 Minuten scheinen für mich eine einfache Antwort zu sein.

Da schaut und hört man sich lieber wertvollere Podcasts an, welche meistens doppelt, dreifach oder wesentlich länger sind.

Wer dies nicht durchhält sollte sich selber fragen ob man noch bereit ist sich selber zu bilden, oder ob man weiterhin auf jene hört die einfache Antworten haben.

Mehr zum Thema