Astronomie Einzelgänger im Weltall: Milliarden Planeten ohne Sterne

23. Dezember 2021, 08:54 Uhr

Auch wenn Planeten für gewöhnlich um einen Stern kreisen, gibt es Sonderformen, die aus der Reihe tanzen. Exotische Himmelskörper, deren Ursprung ungeklärt und über die sehr wenig bekannt ist – bis jetzt zumindest.

Farbige Illustration eines Planeten, ähnlich eines Gasriesen wie Jupiter; rotbraune Struktur wie langgezogene Wolken. Auf dem dunklen Hintergrund Sterne, bunte Wolke.
Home alone, und das zu Weihnachten! Diese künstlerische Darstellung zeigt ein Beispiel für einen Einzelgänger-Planeten, der von ESO-Forschenden in der Region Rho Ophiuchi (Sternbild Schlangenträger) entdeckt wurde. Bildrechte: ESO/M. Kornmesser

  • Es gibt auch Planeten, die nicht um einen Stern kreisen
  • Einzelgänger waren bisher aber nur wenige bekannt
  • Jetzt sind sehr viele neu entdeckt worden, vermutlich gibt es Milliarden von ihnen


Mit Verlaub, da wird einem etwas schwer ums Herz: Weihnachten sollte niemand alleine sein, so sagt man das bei uns auf der Erde. Diese Maxime scheint aber nicht für die Weiten des Weltalls zu gelten. Schon allein die Bezeichnung macht betroffen: Einzelgänger-Planet. Okay, wir können auch vagabundierender Planet sagen – das hört sich zumindest so an, als sei das Einzelgängertum des Himmelskörpers eine eigenständig getroffene Entscheidung.

Freigeister ohne Sonnensystem

Aber so genau weiß das keiner – noch nicht. Fest steht: Es gibt da draußen mehr als Sterne, Planeten und Monde. In der Regel gilt: Ein Mond hat einen zu umkreisenden Heimatplaneten und ein Planet hat einen zu umkreisenden Heimatstern, unsere Sonne ist so einer. Inzwischen ist bekannt, dass es unter den Planeten auch einige Freigeister zu geben scheint, die ohne Sonnensystem auskommen. Von denen wissen wir erst seit ein paar Jahren. Der erste Einzelgänger-Planet wurde 2009 entdeckt und trägt folgenden eingängigen Namen:

SIMP J013656.5+093347. Nennen wir ihn einfach: SIMP usw.

Als Objekt planetarer Masse – so sagt man in der Astronomie – ist der fast zwanzig Lichtjahre entfernte SIMP usw. aber erst seit 2017 klassifiziert. Vorher galt er als Brauner Zwerg. Dazu ein ganz kurzer Exkurs: Braune Zwerge sind abermals Himmelskörper, die etwas aus der Reihe des Althergebrachten tanzen und irgendwo zwischen Stern und Planet zu verorten. Die Astronomie macht das an folgenden Eckpunkten fest: Sie wiegen* weniger als 75-mal der Jupiter. Das ist zu wenig Masse für eine Wasserstofffusion im Inneren. Aber weil sie mehr als 13 Jupiter auf die Waage bringen, reicht es für eine Deuteriumfusion.

Gescheiterte Sterne und Einzelgänger-Planeten

Hier ist der Übergang zu den Planeten fließend: Sub-Brown-Dwarfs (dt. Sub-Braune Zwerge), so heißen wiederum Himmelskörper, die eine Art gänzlich gescheiterter Stern sind und weniger als 13 Jupiter wiegen. Deswegen klappt es auch nicht mit der Kernfusion im Inneren, was diese Objekte auch daran hindert, am Firmament zu leuchten.

Noch wissen wir zu wenig, als dass die astronomische Forschungslandschaft bereits übereingekommen wäre, ob Sub-Brown-Dwarfs Einzelgängerplaneten sind oder nicht. Auf jeden Fall haben sie kein Sonnensystem, auch SIMP usw. nicht. Der hat die Schwelle von 13 Jupitermassen knapp verfehlt und ist damit kein Brauner Zwerg mehr.

Aussteiger aus dem galaktischen Establishment

Eine andere Theorie für die Herkunft der vagabundierenden Himmelskörper ist das Ausbrechen aus einem Sonnensystem. Aussteiger sozusagen aus der sesshaften Gesellschaft eines gemütlichen Sonnensystems.

Animation: Flug in Richtung der Sternbilder Skorpion und Ophiuchus, wo kürzlich die größte Gruppe von Einzelgänger-Planeten entdeckt wurde. (Planet selbst ist eine künstlerische Darstellung).


Also: zwei Varianten. Entweder hat’s nicht für einen Stern (und damit ein eigenes Sonnensystem) gereicht oder der Vagabund war mal Teil eines Systems, bis er ausgestiegen ist. Die Liste solcher bekannter Objekte war bisher sehr überschaubar. Das, was die Teleskope der der Europäischen Südsternwarte (ESO) jetzt aufs Tableau bringen, ist deshalb ein ganz schöner Knaller: Siebzig auf einen Streich. Damit gelingt den Forschenden mit den ESO-Teleskopen und weiteren Einrichtungen ein großer Schritt in Richtung Verständnis für Einzelgänger-Planeten.

Es braucht gute Kameras – sehr gute Kameras!

Tatsächlich reicht es nicht, mal eben durch ein Fernrohr zu gucken. Die Vagabunden sind normalerweise nicht zu erkennen. Allerdings handelt es sich bei der Entdeckung um recht junge Exemplare, gerade mal wenige Millionen Jahre alt. Die sind noch heiß genug, um selbst zu glühen und können von empfindlichen Kameras großer Teleskope erkannt werden. Die siebzig Einzelgänger habe ungefähr die Masse des Jupiters. Sind also recht große Planeten (Jupiter ist etwa elf Mal so groß wie die Erde).

Ausschnitt Weltraum: Viele unterschiedlich stark leuchtende Punkte auf schwarzem Hintergrund. Schwach leuchtende Einzelgänger-Planeten umkreist.
Da muss man eben ziemlich genau hingucken (Astronom*innen tun das!): Bild zeigt die Positionen von 115 potenziellen Einzelgänger-Planeten, hervorgehoben durch rote Kreise, die kürzlich von Forschenden in Richtung der Sternbilder Skorpion und Ophiuchus entdeckt wurden. Bildrechte: ESO/N. Risinger (skysurvey.org)

Neben einer empfindlichen Beobachtungsgerätschaft am Boden und im Weltraum braucht es vor allem Zeit. In die Erkenntnisse sind Daten aus zwanzig Jahren eingeflossen. "Wir haben die winzigen Bewegungen, die Farben und die Helligkeit von Dutzenden Millionen von Quellen in einem großen Bereich des Himmels gemessen", erklärt die französische Astronomin Núria Miret-Roig, Erstautorin der aus den Untersuchungen entstandenen Studie. "Diese Messungen ermöglichten es uns, die schwächsten Objekte in dieser Region, diese vagabundierenden Planeten, sicher zu identifizieren."

Aus mehr wird mehr

Dutzende Terrabytes an Daten für siebzig traurige Planetenseelen also. Und die zeigen weniger, was wir wissen, sondern vielmehr, was wir noch nicht wissen. Milliarden weitere Vagabunden könnte es geben. Die Forschenden erhoffen sich durch die Untersuchung der neuen Objekte auch Hinweise darauf, wie sie denn nun entstanden sind. Wir erinnern uns: Das ist bisher nicht ganz klar. Helfen soll dabei das Extremely Large Telescope (ELT) der ESO. Das wird derzeit in der chilenischen Atacama-Wüste gebaut und soll helfen, mehr Informationen aus den lichtschwachen Objekten rauszuholen.

Das ist ja auch irgendwie tröstlich: So ganz allein sind diese siebzig Einzelgänger im Weltall dieses Weihnachten nicht mehr. Wir von der Erde haben schließlich ein Auge auf sie.

flo


* Ja, "wiegen" und "Schwerelosigkeit" passt nicht zusammen. Genauer gesagt sprechen wir hier von 75 Jupiter-Massen.

Link zur Studie

Die Studie A rich population of free-floating planets in the Upper Scorpius young stellar association erschien am 22.12.2021 in Nature Astronomy:

DOI: 10.1038/s41550-021-01513-x

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