Männerhand hält Bratwurst mit Senf zentral ins Bild, im Hintergrund unscharf Weihnachtsmarktbuden, entsättigte, moderne Farbgebung
Die Deutschen lassen sich wohl kaum ihre Weihnachtsmärkte nehmen – und wahrscheinlich auch nicht ihre Bratwurst. Bildrechte: imago/Westend61

Ernährung und Statistik Entrecôte, alles gut? – Essen die Deutschen wirklich wieder mehr Fleisch?

10. Dezember 2023, 04:59 Uhr

Bei den deutschen Schlachtern geht's um die Wurst: Die Lust auf ebendiese ist den Deutschen etwas abhandengekommen. Der Branchenverband meint jetzt aber, eine Kehrtwende ausgemacht zu haben. Nun, niemand kann die Zukunft vorhersagen – aber …

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Diese Zahlen sind für Hubert Kelliger so wertvoll wie ein kleines Steak: "Fleisch ist für mehr als neunzig Prozent ein wertgeschätztes Lebensmittel", freute sich das Vorstandsmitglied des Verbands der Deutschen Fleischindustrie (VDF) an diesem Donnerstag. "Das Image von Fleisch erholt sich langsam", resümiert sein Kollege Gereon Schulze Althoff. "Der Ruf des tierischen Lebensmittels verlässt die Talfahrt." Die Nachricht ist angekommen: Der Verband sieht die Fleischwirtschaft in Deutschland "im Aufwind."

Der VDF vertritt Unternehmen wie Tönnies und Westfleisch, mehr als neunzig Prozent der Schlachtungen von Schwein und Rind sowie nahezu der gesamte Fleischimport und -export entfallen auf die Verbandsmitglieder. Der Quell der sprudelnden VDF-Freude ist eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens GfK aus dem Sommer, im Auftrag gegeben von der Vion Food Group, einem großen Schlachtbetrieb und Mitglied des VDF. Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Das muss nicht automatisch bedeuten, dass die repräsentativen GfK-Ergebnisse geschönt sind. Mit welcher Brille man sie interpretiert, ist freilich eine andere Frage.

Mehrheit der Deutschen: Fleisch ist unentbehrlich

Auftraggeber Vion hat sich für die gemäß Marketinghandbuch rosarote entschieden und vermeldete schon im Sommer: "Raus aus der Schmuddelecke – Image von Fleisch steigt wieder". 61 Prozent der Befragten würden zustimmen, Fleisch sei eine unentbehrliche Komponente in der Ernährung. Vion – und letztlich der VDF – sprechen von einer Kehrtwende im Vergleich zur Befragung im Inflationsherbst 2022, wo der Wert bei 57 Prozent lag. Der "Trend" gehe in Richtung Vor-Corona-Niveau – 2019 stimmten der Aussage 63 Prozent zu.

Zudem gehe der Fleischverzehr im privaten Bereich zwar nach wie vor zurück, aber nicht mehr ganz so sehr: Waren es 2022 noch über acht Prozent, seien es 2023 nur noch 0,3. Ist also eitel Sonnenschein beim Branchenwetter der Fleischindustrie angesagt – oder doch nur kurze Flaute im Sturm der Ernährungswende? Nun, die Deutsche Presseagentur zitiert den VDF zumindest dahingehend, dass es zwar "einen leichten Rückgang in einigen Warengruppen, aber dank gestiegener Preise auch höhere Umsätze" gebe. Und spätestens ab hier lässt sich nur noch schwer glauben, dass man hinter der Schlachthofkulisse tatsächlich so optimistisch auf das Klima der Branche blickt.

Fleischkonsum in Deutschland: Wohin geht die Reise?

Aber wie steht es denn nun um das Essverhalten der Deutschen – in ihrer ewigen Diskrepanz zwischen Nachhaltigkeitspioniertum und Fleischliebe? Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sieht in ihren Daten vom April schon mal keine Kehrtwende: Der Trend ist verlässlich rückläufig.

Pro Kopf aßen die Deutschen 2022 52 Kilogramm Fleisch. Das ist der geringste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen 1991, wo er noch bei fast 64 Kilo lag. Zur Wahrheit über die schwindende Fleischeslust zählt also auch, dass sich die Deutschen einen Großteil ihrer Schnitzel nach wie vor nicht vom Teller nehmen lassen. Nur eben übers Jahr verteilt 120 Schweineschnitzelchen pro Person weniger drauflegen, mal ohne Panade gerechnet.

Gleichzeitig macht sich am bundesdeutschen Abendbrottisch die Auffassung breit: Fleisch ist keine alltägliche Selbstverständlichkeit. Im aktuellen Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ist der Anteil der Menschen, die täglich Fleisch (und natürlich Wurst) essen, von einem Viertel auf ein Fünftel gesunken.

Fleischkonsum runter, Fleischbudget hoch

Dazu passt auch das Ergebnis einer aktuellen Nachhaltigkeitsuntersuchung, die das Marktforschungsunternehmen GfK zusammen mit der Rewe Group und der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis vor Kurzem veröffentlicht hat. Studienleiter Robert Kecskes erklärt gegenüber der DPA: "Der häusliche Fleischkonsum geht in allen Haushalten zurück." So sei in den vergangenen fünf Jahren der Anteil der Haushalte, in denen bewusst versucht wird, den Fleischkonsum zu reduzieren, von 37 Prozent auf mehr als 47 Prozent gestiegen. Allerdings zeigt sich das nicht im Fleischbudget: Der Ausgabenanteil von Fleisch (und Fisch, was ja für einige kein "richtiges Fleisch" sein mag) an den Konsumgütern des täglichen Bedarfs ist in den vergangenen Jahren nur wenig gesunken, nicht mal vier Prozent seit 2018. In einigen Altersgruppen ist er sogar fast stabil.

Die vom VDF genannten höheren Fleischumsätze passen da gewissermaßen ins Bild und sind aufgrund des längeren Trends nicht nur auf die Entwicklung der Lebensmittelpreise zurückzuführen. Vor allem bei finanzstarken und jüngeren Haushalten geht die Fleischmenge, aber nicht das Fleischbudget zurück. Kecskes zufolge werde häufig auf teureres und höherwertiges Fleisch umgestiegen. Die Frage an der Fleischtheke, ob's was mehr sein darf, beantworten viele also offenbar mit einem mehr an Qualität, nicht einem mehr an Billigfleisch – prinzipiell eine gute Nachricht.

Rückläufiger Fleischkonsum: Ist's die Gesundheit oder die Ethik?

Generell, auch das zeigt die Studie, ist unser stereotypes Bild von der deutschen Fleischgesellschaft auch nicht ganz falsch: Ältere sind mehr fleischsozialisiert und wollen ihren Konsum eher aus gesundheitlichen Aspekten reduzieren, während bei Jüngeren ethische Beweggründe und Klimaschutz im Vordergrund stehen. Gerade die Generation Z – also in etwa geboren zwischen Mitte der Neunziger und 2010 – verzichte zunehmend auf Fleisch. Kecskes geht davon aus, dass mit einer zunehmenden finanziellen Entspannung der Trend hin zu einem reduzierten und bewussteren Konsum geht. (Und bedeutet im Umkehrschluss: Wenn nachhaltig zu teuer ist, muss nachhaltig eben billiger werden und billig eben teurer – keine Aufgabe der Kühltheke, sondern eine Aufgabe der Politik.)

Ein Landwirt drillt Saatgut in den trockenen Ackerboden auf einem Feld im Landkreis Oder-Spree in Ostbrandenburg. 30 min
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Erhebungen wie Kecskes' verführen VDF-Vorstand Kelliger offenbar zu steilen Thesen, dass die Nachhaltigkeitsbestrebungen der Deutschen nicht ganz so ernst zu nehmen seien. Die DPA zitiert: "Die Verbraucher haben gelernt, politisch korrekte Antworten zu geben: 'Ich esse weniger Schnitzel und rette die Welt'. Mit dem Kaufverhalten hat das nichts zu tun." Gleichzeitig glaubt man aber auch beim VDF nicht mehr an alte Schlachtzahlen. Sondern höchstens an eine Stabilisierung.

Die Jubelstimmung im VDF-Vorstand ist also gewissermaßen weder Fisch noch Fleisch – und die Denke der Branche wird mittlerweile auch im verschlafensten Kühlregal sichtbar: Ob Gutfried oder Rügenwalder, die Fleischriesen setzen umfangreich auf pflanzliche Imitate, mitunter mehr als auf Tierische. Und tun das nicht, weil die den Deutschen vielleicht mittlerweile ähnlich heilig sind wie die Bärchenwurst auf dem Graubrot. Sondern weil vegane Ersatzprodukte ein Wachstumsmarkt sind, bei dem sich Investitionen lohnen. Also lieber eine kleine, brandneue Jolle auf Hochglanz polieren als auf einem alten, sinkenden Kahn noch ein paar behelfsmäßige Bretter vernageln.

Einer Marktprognose von Statista zufolge wird der Umsatz von Fleischersatzprodukten auch weiterhin wachsen, der Pro-Kopf-Erlös ab Mitte des Jahrzehnts aber nur noch leicht. Marktforscher Kecskes sieht die Produkte "am Ende eines Hypes in einer Nische angekommen". Gerade Biofleisch und nachvollziehbare Tierhaltung mache den Fleischkonsum für Flexitarier wieder attraktiv. Fleischersatzprodukte müssten das Image des "Ersatzprodukts" ablegen, um interessant zu bleiben. Und ein positives Lebensgefühl vermitteln. Leuchtet schon ein: Wahrscheinlich mögen die Deutschen auf Dauer weder Ersatzzüge bei der Bahn noch Ersatzwurst beim Abendbrot. Die Debatte, ob pflanzliches Fleisch überhaupt als solches bezeichnet werden darf, leistet den Produkten so am Ende vielleicht noch einen passablen Dienst. Wie wäre es denn mit der Geburt eines völlig neuen Gattungsbegriffs: Etwas Aufschnitt vom Hopflapro*?

Und – ob Hubert Kelliger oder Gereon Schulze Althoff – auch der VDF leistet mit seinen Jubelrufen von dieser Woche einen passablen Dienst. Und zwar der Medienlandschaft, die mal wieder einen Anlass hat, sich zu vergewissern, wie es denn inzwischen um die Fleischeslust der Deutschen so bestellt ist.

* Hochverarbeitetes Pflanzenprodukt


mit dpa

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Die Reportage | 11. Dezember 2023 | 19:05 Uhr

35 Kommentare

pepe79 vor 21 Wochen

Sehr gute Ergänzung, dass sollte sollte auch einmal einen Faktencheck wert sein. Jedoch entleert sich der Speicher deutlich schneller wenn nix aufgenommen wird.

MDR-Team vor 21 Wochen

Hallo,

so gut wie alle Nährstoffe und Vitamine, die der Mensch braucht, sind auch in pflanzlichen Nahrungsmitteln enthalten. Veganer*innen haben jedoch eine Achillesferse: Das für Blut und Nerven wichtige Vitamin B12 kommt nur in Lebensmitteln tierischer Herkunft vor. Oft wird behauptet, dass Vitamin B12 auch in pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Algen oder Pilzen vorkomme. Jedoch handelt es sich hierbei um B12-Analoga, die der menschliche Körper nicht aufnehmen und so auch nicht als Coenzym verwerten kann. Der B12 -Speicher entleert sich über 10-15 Jahre hinweg. Daher sollten Veganer*innen ihren B12-Spiegel im Blick behalten, um eventuellen Mangelerscheinungen vorzubeugen. Übrigens: B12 wird von Mikroorganismen hergestellt und von Tieren erst über verschiedene Wege aufgenommen.

Liebe Grüße

pepe79 vor 21 Wochen

@MDR Leider fehlt bekm Faktencheck das Vitamin B 12, wie es bei veganer Ernährung substituiert werden sollte und warum es so wichtig ist (leider nur in tierischen Produkten)

Beim Landeszentrum für Ernährung Baden-Würtemberg gibt es eine sehr gute Beschreibung dazu.