Forschperspektive in stohigem Gras mit Blick zum Himmel: Flugzeug fliegt nah übers Feld.
Die Anpflanzung von Miscanthus auf 23,2 Millionen Hektar bestehender landwirtschaftlicher Grenzertragsflächen wäre genug, um den Bedarf des US-Luftfahrtsektors an flüssigen Kraftstoffen vollständig aus Biokraftstoffen zu decken. Bildrechte: ASU

Luftfahrt Grüner Fliegen: Es geht klimafreundlich und bezahlbar – sogar im großen Maßstab

14. November 2022, 17:00 Uhr

Menschen, die gerne ihren Horizont durch das Bereisen der Ecken unserer Erde erweitern möchten und dies künftig ohne Flugscham und CO2-Rucksack tun würden, dürfen hoffen: In den USA haben Forschende umfassend analysiert, wie der Anbau von Biokraftstoffpflanzen im großen Stil möglich ist, ohne dabei Klima und Wirtschaft zu schädigen.

Wer sich bei Flightradar24.com mit dem Gewusel am Himmel auseinandersetzt, wird feststellen, dass es – je nach Uhrzeit – in drei Großräumen auf dem Globus ganz besonders wuselt: in Europa, in Süd- und Ostasien sowie in den Vereinigten Staaten. Allein die USA tragen mit 45.000 Flugzeugen am Tag ein Viertel zu den CO2-Emissionen im Luftverkehr bei. Muss aber gar nicht sein, sagen Forschende aus besagtem Luftraum.

Wir erinnern uns: Das Fliegen lässt den persönlichen Treibhausgasrucksack am allerschnellsten aufblähen. Die eisenbahnmüden Amerikanerinnen und Amerikaner zum Umstieg auf die Schiene zu bewegen, scheint dabei aussichtloser, als die Bestrebungen, den Beitrag der Luftfahrt endlich in klimaneutrale Bahnen zu bekommen – schon allein, weil nur so Frühstück in Philadelphia und Kaffee-mit-Kuchen in Los Angeles möglich sind. Die verschiedenen Ansätze für eine grünere Fliegerei beinhalten auch den Einsatz klimafreundlicher Treibstoffe.

Grafik zeigt, dass trotz nachhaltigem Lebensstil der CO2-Rucksack durch einen einzigen Langstreckenflug fast so groß ist, wie durchschnittlich in Deutschland. Ca. 10 Tonnen, Budget sind 1,5 Tonnen
Bildrechte: MDR WISSEN

Was bei solchen Lösungsvorschlägen schnell vergessen wird: Lösungen sind es nur dann, wenn sie auch im großen Maßstab umgesetzt werden können und dieser Maßstab finanzierbar auf der einen Seite und noch mal in sich klimaverträglich auf der anderen Seite ist. Oder anders gesagt: Ein Rohstoff mag für Treibstoff noch so geeignet sein – nützt nur nichts, wenn ihn niemand anbauen möchte und der Anbau abermals Schäden bei Biodiversität und Klima verursacht.

Zwei Gräser, eins macht das Rennen

Forschende aus Arizona und Iowa haben diese nicht ganz unwichtigen Umstände in einer neuen Untersuchung berücksichtigt. Im Fokus standen zwei Gräser: Miscanthus (Chinaschilf) und die nordamerikanische Rutenhirse. Um herauszufinden, welches Energiegewächs für Flugzeugtreibstoffe am geeignetsten ist, hat sich das Forschungsteam an einem integrierten Rahmen aus Landbewertungen, Hydroklimamodellierung, Ökosystemmodellierung und Wirtschaftsmodellierung bedient – ist die Sache also höchstkomplex angegangen.

"Die derzeitige Art und Weise, wie wir nachhaltigen Flugzeugtreibstoff herstellen, ist sehr ineffizient und geschieht nicht in großem Maßstab", sagte Nathan Parker, einer der Autoren der Studie. "Es gibt nur sehr begrenzte Möglichkeiten, wie der Luftverkehr zu einem kohlenstoffarmen Verkehr mit entsprechend geringen Auswirkungen auf das Klima werden könnte."

Obacht: Klimawirkung durch Anbau!

Das Team hat zuerst geschaut, welche Anbauflächen in den USA überhaupt in Frage kommen und wo ein Anbau ohne den zusätzlichen Einsatz von Wasser möglich ist. Check. Anschließend folgte eine Analyse, welchen Einfluss der Anbau auf das Umgebungsklima und die Bodenfeuchtigkeit haben könnte. Check: "Wenn man Pflanzen auf strategisch angelegten Flächen anpflanzt, wirkt sich das auf das Klima aus", sagte Matei Georgescu, Mitautor der Studie. Zum Beispiel mehr oder weniger Niederschlag auf lokaler Ebene oder veränderte Temperaturen. Zuletzt wurden Produktivität – check – sowie Menge und Kosten eines möglichen Anbaus – check – beziffert. Denn, nicht vergessen: Das potenzielle Anbauland gehört schon jetzt jemanden. Und wer mag das schon für "unproduktiven, grünen Mumpitz" hergeben.

Hier lassen sich aber sogar "landwirtschaftliche Grenzertragsflächen" umfassend nutzen – also Flächen mit schlechter Bodenqualität und geringen Erträgen. Bewährt hat sich in dieser Analyse der Anbau von Miscanthus-Gras. Bei den für die USA im Jahr 2040 prognostizierten mehr als hundert Milliarden Liter Treibstoff im Jahr, könnte sich der Luftspritpreis um ca. 90 Cent bis einen Euro pro Liter (4,10 US-Dollar pro Gallone) einpendeln, bliebe damit sogar im Rahmen der Preisschwankungen auf dem US-Treibstoffmarkt in diesem Jahr. Etwas mehr als 23 Millionen Hektar würden genügen, um den Kraftstoffbedarf der US-Luftfahrt vollständig zu decken.

Realistisch ist nur, was wirtschaftlich ist

Die Forschenden betonen den Boden der derzeitigen Tatsachen: Dass nachhaltige Lösungen nur zielführend seien, wenn sie auch wirtschaftlich gedacht seien – in diesem Fall sei das durch eine interdisziplinäre Forschungsarbeit gelungen. Und diesen Standpunkt vertreten sie nicht nur hinsichtlich der Luftfahrt. Auf der Suche nach klimafreundlichen Lösungen müsse dieser realistische Ansatz generell verfolgt werden, so das Forschungsteam.

Unterm Strich ist nicht zu fliegen aber immer noch die klimaschonendste Variante. Oder anders zu fliegen. Neben dem CO2-Auststoff ist auch der Ausstoß in hohen atmosphärischen Schichten eine Ursache für die Erderwärmung – Stichwort: Kondensstreifen. Diese künstlichen Wolken stören die Art und Weise, wie, wann und wie viel Wärme auf die Erde reflektiert wird. Und haben dadurch eine klimaverändernde Wirkung. Die Entstehung von Kondensstreifen lässt sich reudzierem oder vermeiden, dazu sind jedoch vernetzte und intelligente Flugsicherungssysteme auf der ganzen Welt notwendig. Derzeit eher eine organisatorische als technische Herausforderung.

Dieser Ansatz, kombiniert mit einem spritsparenden, entschleunigten Flugverkehr und der nachhaltigen Produktion klimafreundlicher Kraftstoffe scheint gegenwärtig vielversprechender als Batterieflugzeuge. Die mögen für kurze Distanzen tauglich sein, gerade auf der Langstrecke bringen sie aber ganz neue Probleme mit – z.B. Batteriegewicht und -sicherheit. Anders als im Pkw könnte auch die Wasserstoff-Brennstoffzelle in Flugzeugen im großen Maßstab eine klimafreundliche Mitfluggelegenheit sein.

flo

Links/Studien

Die Studie Sustainable land use and viability of biojet fuels erschien am 14. November 2022 im Fachblatt Nature Sustainability.

DOI: 10.1038/s41893-022-00990-w

Seitliches Schwarzweiß-Porträt von Mann mit hellen Locken, Bart, runder Brille und schwarzem Polo-Hemd, Hintergrund Architektur von Empfangshalle unscharf, gelber Schmuckrand, Text auf Bild: Wird mit Wasserstoff alles gut? 3 min
Bildrechte: MDR WISSEN

2 Kommentare

MDR-Team am 15.11.2022

Hallo @Commander1207,
die Forschenden beziehen sich insbesondere auf landwirtschaftliche Grenzertragsfläche, also wenig fruchtbare Böden oder Brachfläche. Diese ist mitunter in der landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche nicht berücksichtigt.
Liebe Grüße

Commander1207 am 14.11.2022

23 Millionen Hektar würden also genügen. Gut, die USA sind groß, aber die Landwirtschaftliche Nutzfläche beträgt ca 157 Mio Hektar. Der Anteil ist also nicht ganz unerheblich. Zum Vergleich: Deutschlands landwirtschaftliche Nutzfläche liegt bei 16,6 Mio ha.

Nicht falsch verstehen, ich finde die Idee gut. Aber ohne die anderen Maßnahmen wirds wohl kaum gehen ;)