Forscher im typischen weißen Kittel steht bei sonnigem Wetter inmitten eines Weizenfelds, Ähren im Vordergrund unscharf
Wenn der Weizen auf unnatürliche Umstände wie den Klimawandel trifft, lautet wohl die Konsequenz: Unnatürliche Maßnahmen wie Genveränderung. (Symbolbild) Bildrechte: imago/YAY Images

Gentechnisch veränderte Pflanzen Geplante Gentechnik-Reform: Warum Forschende und Umweltschützer unterschiedlicher Meinung sind

06. Juli 2023, 13:31 Uhr

Gentechnisch veränderte Pflanzen sollen künftig nicht mehr über einen Kamm geschoren werden. Die EU plant, neue Techniken von den strengen Regeln auszunehmen. Das soll helfen, Pestizide zu reduzieren und die Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Umweltverbände haben da eher gemischte Gefühle. Gleich vorab: Mit dem ollen Genmais aus Übersee hat das alles wenig zu tun.

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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  • Die EU-Kommission plant, bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen unter bestimmten Bedingungen aus der strengen Regulierung herauszunehmen
  • Gentechnik ist aber nicht gleich Gentechnik
  • Neue Möglichkeiten erlauben es, mit überschaubarem Aufwand ohne Fremd-DNA Pflanzen gegen Schädlinge und Dürre zu schützen
  • Großkonzerne könnten die neuen Regeln ausnutzen, allerdings will sich die EU dagegen absichern


Wenn es um die Zukunft unseres Heimatplaneten geht, herrscht seit geraumer Zeit ein ziemlich stabiler Konsens, um nicht zu sagen Friede-Freude-Eierkuchen: Und zwar zwischen Forschung und Umweltaktivismus. Gute Freundschaften bringt so schnell eben nichts aus der Fasson – die Verkehrswende nicht und nicht die für Energie, auch nicht die Biodiversitätsdebatte. Unrühmliche Ausnahme: Gentechnik. Die Meinungen von Forschenden und Umweltverbänden gehen hier dann doch mitunter getrennter Wege. Auch jetzt wieder, im Sommer 2023, oder sagen wir: In der Dürre 2023. Während die Erträge auf den Feldern ins Wanken geraten, scheint sich die Stimmung in Brüssel stabilisiert zu haben:

Nach Plänen der EU-Kommission sollen nämlich Produkte aus Pflanzen, an denen bis zu zwanzig Veränderungen am Erbgut durch neue (!) Gentechnik-Verfahren (NGT) vorgenommen wurden, von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen und die Zulassung vereinfacht und beschleunigt werden. Letzteres gilt auch bei mehr als zwanzig Mutationen. Saatgut erhält weiterhin eine Kennzeichnung, unter anderem damit ökologische Landwirtschaft sortenrein betrieben werden kann.

Kleiner Gen-Schalter, große Wirkung

Um zu verstehen, was das jetzt alles mit dem Klimawandel zu tun hat und was diese neuen Methoden der Gentechnik sein sollen, lohnt sich eine Fahrt ins Grüne, in den Westen Sachsen-Anhalts, nach Gatersleben, Stadt Seeland, so auf halber Strecke zwischen Bernburg und Wernigerode. In dem verschlafenen Örtchen gewinnt niemand den Eindruck, dass hier an der Ernährungssicherheit Europas und der Welt geschraubt wird. Allerhöchstens dann, wenn sich plötzlich die Gewächshäuser des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) am Horizont auftun. Hier leitet Nicolaus von Wirén die Abteilung für Physiologie und Zellbiologie. Der deutsch-schwedische Agrarbiologe kann schon sehr überzeugend sein, da mit seinen ganzen Glaskästchen. Die simulieren sozusagen einen Querschnitt des Bodens und machen den Blick frei, auf die stattliche Wurzel, die das unscheinbare Pflänzlein da ausgebildet hat. Lange Wurzeln, die tiefer in die Erde reichen, dort wo's noch feucht ist, wenn es wieder einmal wochenlang nicht geregnet hat.

Zwei Fotos: Mann mittleren Alters im Hemd seitlich leicht gebückt in Gewächshaus, Vordergrund unscharf, Hintergrund viele Pflanzen unscharf, warme Farben. Und: Hände halten Kasten mit Erde in Plexiglas und langer, dünner Wurzel. Finger zeigt auf Wurzel. Pflanzen unscharf im Hintergrund, warme Farben.
Nicolaus von Wirén forscht in Gatersleben u.a. daran, wie es Pflanzen durch längere Wurzeln tiefer in die Erde schaffen. Bildrechte: MDR WISSEN/Laura Becker

Von Wirén möchte keine leeren Versprechungen machen, es hapert noch an der Kombination zwischen morphologischen und physiologischen Eigenschaften: "Das heißt also: Wie man längere Wurzeln macht und gleichzeitig die Aktivität der Nährstoffaufnahme erhöht." An anderer Stelle läuft es schon runder: Zum Beispiel, um die Pflanze im Kampf gegen zuckerliebende bakterielle Erreger fit zu machen. Von Wirén kann durch einen kleinen Schalter den Zuckertransport in den betroffenen Zellen so regulieren, dass den Bakterien der Hahn abgedreht wird.

Mit den Möglichkeiten der neuen Gentechnik geht das relativ einfach und schnell, allen voran die Genschere CRISPR/Cas, mit der DNA gezielt verändert und geschnitten werden kann. Das klingt erstmal nach Dystopie, einem Forschungslabor aus dem Comicheft und vielleicht auch nach Weltherrschaft. Ist aber im Grunde das Gegenteil: "Schon mit der Veränderung von einem Buchstaben im pflanzlichen Genom – also letztendlich einer Base von Milliarden von Basen – kann man Merkmale deutlichen verändern", erklärt von Wirén. Die konventionelle Gentechnik ist genau das Gegenteil: Geradezu mit dem Holzhammer wird hier fremde DNA eingebracht, zum Beispiel um Mais fitter gegen Schädlinge zu machen. Oder Herbizide, dazu kommen wir gleich.

Schon mit der Veränderung einer Base von Milliarden Basen im Genom kann man Merkmale deutlichen verändern

Prof. Dr. Nicolaus von Wirén Agrarbiologe

Gentechnik, neu hin, konventionell her, ist aber so oder so ein naiver Irrweg, das glaubt Daniela Wannemacher, Agrarwissenschaftlerin beim BUND. Gegenüber der Wochenzeitung Wochentaz räumt sie trotzdem erstmal ein: "Ich würde jetzt nicht davon ausgehen, dass eine durch neue Gentechnik veränderte Pflanzen-DNA, aus der dann wieder eine Pflanze gezüchtet wird, unbedingt direkt tödlich, giftig oder keine Ahnung was für Menschen ist." Es gebe noch wenig Forschung zu unerwarteten Effekten, ja. Letztendlich gehe es ihr aber um etwas anderes. Durch Gentechnik lassen sich Pflanzen nicht nur resistenter gegen Schädlinge und Dürre machen, sondern auch gegen Herbizide, also Unkrautvernichtungsmittel. Das würde am Ende dazu führen, dass nicht weniger, sondern mehr Chemie auf dem Acker landet: "Da geht es darum, ein Koppelprodukt aus Pestizid und Saatgut zu verkaufen, das im Zweifelsfall dazu führen wird, dass mehr Pestizide eingesetzt werden", so Umweltschützerin Wannemacher in der Taz.

Veraltete Kritik von NGOs?

"Natürlich erwähnen gentechnikkritische NGOs nur diejenigen Beispiele, die in ihr Weltbild passen. Die Effekte hängen vom jeweiligen Merkmal ab und nicht von der Züchtungsmethode", entgegnet Martin Qaim, Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung an der Uni Bonn. Das klingt harsch, im Grunde wünscht er sich aber vor allem eine differenziertere Debatte: "Welche Merkmale wie eingesetzt Nachhaltigkeit fördern können, ist eine wichtige Frage, die weiter untersucht werden muss. Dabei hilft aber die Tabuisierung der Gentechnik nicht weiter."

Wenn wir die Regulierung nun vereinfachen und damit viel kostengünstiger machen, könnten auch kleine Firmen und öffentliche Einrichtungen wieder mitspielen.

Prof. Dr. Martin Qaim Uni Bonn

So käme gerade die Dominanz der von Wannemache kritisierten Großkonzerne dadurch zustande, dass die Zulassungsverfahren extrem teuer und langwierig seien. "Das können sich kleinere Firmen nicht leisten", betont Qaim. Und das, obwohl die Forschung selbst relativ einfach und kostengünstig ist. "Wenn wir die Regulierung nun vereinfachen und damit viel kostengünstiger machen, könnten auch kleine Firmen und öffentliche Einrichtungen wieder mitspielen." Eine Lockerung, die auch die Forschenden in Gatersleben zu begrüßen wüssten.

Das würde nicht nur die Forschungsbedingungen für von Wirén und seine Kolleginnen und Kollegen verbessern. Eine entfallene Kennzeichnungspflicht böte den neuen Sorten gleiche Chancen auf dem Markt. Denn, seien wir mal ehrlich: In deutschen Supermärkten würde sich Pumpernickel aus widerstandsfähigem Roggen schlichtwegen gegen solches aus herkömmlichen Roggen nicht behaupten können.

Auch herkömmliche Züchtung verändert das Erbgut

Ob das Pumpernickel aus herkömmlichen Roggen am Ende aber auch eine besondere Züchtung enthält – auch das weiß niemand, denn auch das muss nicht auf der Packung stehen. Durch konventionelle Züchtung ohne Gentechnik lassen sich ebenfalls neue Sorte schaffen, die besser mit Trockenheit und Schädlingen klarkommen. Durch Kreuzung, Chemikalien und – festhalten – radioaktiver Bestrahlung. Letztendlich läuft alles auf Mutationen hinaus, die irgendwie vorteilhaft gegenüber dem Wildtyp sind. Nachteil: Es entstehen viel mehr Mutationen, als eigentlich gebraucht werden. Und: Es dauert – zehn bis 15 Jahre statt zwei in der Gentechnik.

Der Verordnungsentwurf wird auf die aktuellen bis ins Jahr 2030 reichenden Pflanzenschutzreduktionsziele der EU keinen Einfluss mehr haben.

Dr. Horst-Henning Steinmann Uni Göttingen

Bekanntlich rennt uns die Zeit davon. Das gilt nicht nur für die Ernährungssicherheit unter neuen klimatischen Bedingungen, sondern auch bei der Reduktion von Ackergiften, die der Biodiversität schaden und damit ebenfalls zu einem potenziellen Kollaps des Planeten beitragen.

Aber hilft da die neue Gentechnik? Jein: "Der Verordnungsentwurf wird auf die aktuellen bis ins Jahr 2030 reichenden Pflanzenschutzreduktionsziele der EU keinen Einfluss mehr haben", so die ernüchternde Einschätzung von Horst-Henning Steinmann vom Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung an der Uni Göttingen. "Der Gesetzgebungsvorgang steht ja noch sehr am Anfang und es ist mit kontroversen Debatten zu rechnen." Die neuen Techniken könnten im besten Fall zwar die Züchtungsprozeduren beschleunigen, aber Feldprüfungen im Freiland und die Formalitäten des Sortenrechtes seien nach wie vor erforderlich und zeitintensiv.

Auch EU-Pestizidverordnung unerlässlich

Die neuen Gentechnik-Regeln ergeben also nur in Kombination mit der neuen EU-Pestizidverordnung Sinn, ein Vorhaben, gegen das sich die konservativ-bürgerliche EVP-Fraktion im EU-Parlament gerade stellt. Die Verordnung soll festlegen, dass der Einsatz von Pestiziden in der EU bis 2030 um die Hälfte sinken muss. Die EU-Kommission betonte, dass beide Regulierungsvorhaben untrennbar seien und nur im Paket gemeinsam verabschiedet werden können.

Der Gesetzgebungsvorgang steht ja noch sehr am Anfang und es ist mit kontroversen Debtten zu rechnen.

Dr. Horst-Henning Steinmann Uni Göttingen

Nur, war da nicht was? Beißt sich bei der Gentechnik nicht die Katze in den Schwanz, weil sie für Monsanto und Konsorten erst den richtigen Nährboden liefert? Steinmann von der Uni Göttingen gibt Entwarnung. Es sei zwar nicht automatisch absehbar, dass die neuen Züchtungstechniken dabei helfen werden, herbizidfreie oder herbizidreduzierte Verfahren auf den Weg zu bringen. Der Verordnungsentwurf scheine das aber zu berücksichtigen und klammert deshalb die Herbizidresistenzen bei den Privilegierungen der neuen Techniken kategorisch aus: "Das halte ich für eine kluge Entscheidung, die gleichzeitig sichtbar macht, dass man sich bei dem Entwurf um eine breite Suche nach einem Kompromiss bemüht hat."

Das passt auch zur Position, die der Zusammenschluss europäischer Wissenschaftsakademien, zu dem auch die Leopoldina gehört, bezogen hat: Man möge nicht die Technik an sich regulieren, sondern die spezifischen Anwendungen. Ob wir Pflanzen genetisch verändern oder nicht, wird künftig möglicherweise auch keine Frage der Philosophie mehr sein oder des Wunsches nach Naturbelassenheit. Sondern eine der Notwendigkeit und letztendlich der Anpassung. Denn der Klimawandel, der mal wieder über allem steht, hat schließlich genau so wenig mit Naturbelassenheit zu tun wie Gentechnik, die uns aus dem Schlamassel wieder rausziehen soll.

mit SMC

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