Mehrere Personen arbeiten auf einem Reisfeld in Indien.
Bildrechte: IMAGO / Pacific Press Agency

Commons Zugang zu Wildpflanzen verhindert Mangelernährung

24. Juni 2023, 07:00 Uhr

Obwohl Indien zu den größten Nahrungsmittelproduzenten und Exporteuren weltweit gehört, leidet die einheimische Bevölkerung an Unter- und Mangelernährung. Einen neue Studie zeigt: Wiederentdeckte wild wachsende Pflanzen können so manche Lücke schließen.

224 Millionen Menschen in Indien sind laut UN-Bericht „The State of Food Security and Nutrition in the World 2022“ unterernährt. Das entspricht etwa einem Viertel der Betroffenen weltweit, mit dramatischen Folgen. Laut Daten des indischen Gesundheitsministeriums waren in den Jahren 2019 bis 2021 mehr als 35 Prozent der indischen Kinder unter fünf Jahren dadurch ihrem Wachstum und ihrer Entwicklung beeinträchtigt. 187 Millionen indische Frauen litten an Blutarmut, 80 Prozent an Mikronährstoffmangel, also Mangel an Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen, die der Körper selbst nicht bilden kann und die unter anderem an Produktion von Hormonen und Enzymen beteiligt sind.

Wild wachsende Pflanzen schließen Ernährungslücken

Pflanzenblätter in einem Korb
Wild wachsender Paat Saag liefert frisch oder getrocknet als Gemüse wichtige Nährstoffe. Bildrechte: Nirali Bakhla

Indiens Ernährungssituation hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft, in den Städten extremer auf dem Land. Denn das Leben außerhalb der Ballungsgebiete hat offenbar einen Vorteil: Frauen, die dort leben und wild wachsende Lebensmittel wie die jungen Blätter und Knospen des Paat Saag (Corchorus olitorius) sammeln und frisch oder getrocknet verzehren, haben eine bessere Ernährungsbilanz, vor allem eine größere Vielfalt auf dem Speisezettel. Das zeigt die Studie eines internationalen Teams unter Beteiligung des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die in der Fachzeitschrift "Nature Food" veröffentlicht wurde.

Besonders in den Monaten Juni und Juli, in denen die kultivierten Pflanzen noch nicht erntereif sind, sind die wild wachsenden Alternativen nicht nur eine Ergänzung, sondern durchaus eine Notwendigkeit. Sie steigern die Ernährungsdiversitätswerte zum Beispiel im Juni um 13 Prozent und im Juli um 9 Prozent gegenüber den Frauen, die diese Möglichkeit nicht hatten.

Zugang zu Wäldern und Gemeinschaftsflächen sichert Ernährung

Auch nährstoffreiches, dunkelgrünes Blattgemüse wie Chakwar und Juteblätter könne die Nährstofflücken indischer Frauen zu bestimmten Jahreszeiten schließen, so die Forschenden vom PIK, der South Dakota State University, der University of Michigan, der Indian School of Business und der University of Copenhagen. Ein Jahr lang hatten sie die Ernährungsdaten von Frauen aus zwei ländliche Bezirken im Osten Indiens dokumentiert, um den Einfluss wildlebender Lebensmittel auf ihre Ernährung zu untersuchen.

Unsere Studienergebnisse zeigen, wie wichtig Maßnahmen sind, die den Menschen den Zugang zu Wäldern und anderen Gemeinschaftsflächen für Nahrungsmittel sichern.

Nathalie Lambrecht, Potsam Institut für Klimafolgenforschung

Co-Autorin Nathalie Lambrecht vom PIK erklärt zudem: "Der Klimawandel verschärft die Ernährungssicherheit der Ärmsten weiter." Daher sei für sie die Nutzung der wild wachsenden Pflanzen besonders wichtig.

Wildpflanzen schon von Steinzeit geschätzt

Ob unseren Vorfahren aus der Steinzeit der hohe Nährstoffgehalt wild lebender Pflanzen bewusst war, oder ob es die Not war, die sie vieles hat ausprobieren lassen, wissen wir nicht. Belegt ist inzwischen, dass sie Teile von über 9000 wild wachsende Pflanzenarten verzehrten, darunter die Samen der Mariendistel (Silybum marianum) und die Früchte des Sidarbaums (Ziziphus spina-christi).

Beide Pflanzen werden auch heute noch angebaut. Die Mariendistel in erster Linie als Heilpflanze, aus den Früchten des Sidarbaums, der heute zum Beispiel auf der Sinai-Halbinsel oder in den Oasen der Sahara angebaut wird, gewinnt man ein alkoholisches Getränk. Im Sommer und im Herbst sammelten die frühen Hominiden Nüsse und Früchte.

Stärke und Proteine lieferten der nährstoffreiche Lotussamen (E. ferox) und Wasserkastanien (T. natans). Das belegen unter die etwa 780.000 Jahre alten Funde von Gesher Benot Ya’aqov, einer archäologischen Grabungsstätte im nordöstlichen Jordantal in Israel.

krm

0 Kommentare