Das Bild zeigt eine stilisierte Person auf einem Bündel Gelscheine, die sich an einem stlisierten Aktienpfeil festhält.
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Die verzwickte Definition von Nachhaltigkeit EU-Taxonomie – Europas Geldquelle im Kampf gegen die Klimakatastrophe

12. Juni 2023, 11:30 Uhr

Die EU versucht mit einem allgemeingültigen Öko-Label, milliardenschwere Investitionen in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken. Doch dafür muss erst die Frage geklärt werden, was überhaupt Nachhaltigkeit ist. Dass es darauf in Brüssel keine einfache Antwort gibt, hat spätestens die heftig umstrittene Aufnahme von Gas- und Atomstrom gezeigt.

Bis 2021 konnten mit dem sperrigen Wort "Taxonomie" hauptsächlich Biologie-Interessierte etwas anfangen. Die Taxonomie beschreibt in der Biologie Merkmale von Tier- und Pflanzenarten, um ihre Verwandtschaftsverhältnisse zu definieren. Genutzt werden diese Kataloge an Merkmalen vor allem, um Exemplare im Feld zu erkennen und richtig einzuordnen.

In den letzten Monaten fällt dieser Begriff auch täglich im EU-Parlament. Die Taxonomie-Verordnung definiert jedoch keine Blüten- und Blattformen, sondern nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. Mit ihrer Hilfe soll endlich Transparenz in das undurchsichtige, milliardenschwere Geschäft mit grünen Geldanlagen gebracht werden.

Warum ist die Taxonomie so wichtig?

Damit Europa die eigenen Klimaziele erreichen kann, sollen in den nächsten zehn Jahren eine Billionen Euro (also tausend Milliarden Euro) an staatlichen Mitteln ausgegeben werden. Doch die Bewältigung dieser Transformation kann nicht alleine von Steuergeldern finanziert werden. Eine viel größere Rolle spielt Geld aus dem freien Kapitalmarkt.

Durch die EU-Taxonomie sollen private Investitionen in Tätigkeiten gelenkt werden, die notwendig sind, um Klimaneutralität zu erreichen.

EU-Präsidentin Ursula von der Leyen

Ursula von der Leyen im Europaparlament
Mit dem Green New Deal hat EU-Präsidentin Ursula von der Leyen das Ziel gesetzt, als erster "Kontinent" klimaneutral zu werden. Bildrechte: picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth

Umso besser ist es, dass immer mehr Menschen ihr Geld in ökologisch und sozial verantwortlichen Unternehmen anlegen wollen. Das belegt zum Beispiel eine Studie des US-amerikanischen Analyse-Unternehmens Morningstar, laut der das weltweit verwaltete Vermögen in "grünen" Fonds innerhalb des letzten Jahres um fast ein Drittel gestiegen ist. Besonders in Europa ist dieser Trend deutlich zu erkennen: Einer Umfrage des Forums Nachhaltige Geldanlagen zufolge legen 79 Prozent der Deutschen beim Geldanlegen Wert auf ökologische Nachhaltigkeit.

Greenwashing – Wer entscheidet, was nachhaltig ist?

Der öffentliche Wunsch nach ökologischen Geldanlagen reicht aber nicht – die Banken müssen auch mitmachen. In den letzten Jahren ist die Praxis aufgekommen, Finanzprodukte, die nach allgemeinem Verständnis als klimaschädlich gelten, mit den eigens geschaffenen Kriterien als nachhaltig zu vermarkten. Man spricht von "Greenwashing".

Ein markantes Beispiel dafür ist der Fall der DWS Group, einer Fondstochter der Deutschen Bank, gegen die aktuell die US-Börsenaufsicht und das FBI ermitteln. Nach Greenwashing-Vorwürfen des Wallstreet Journals kam es im Mai 2022 zu einer aufsehenerregenden Razzia des BKA in der Deutschen Bank und einem enormen Vertrauensverlust in nachhaltige Anlageprodukte.

84 Prozent der als nachhaltig beworbenen Fonds investieren auch in Klimasünder

Studie Facing Finance (2022)

Die DWS ist aber längst nicht das einzige schwarze Schaf der Branche. Die Nicht-Regierungsorganisationen Facing Finance und Urgewald haben 2022 gemeinsam 2.000 Fonds nach möglichem Greenwashing untersucht. Von den 650 als "nachhaltig" verkauften Fonds investierten 84 Prozent auch in Unternehmen, die zu den größten Treibhausgas-Verursachern gehören und damit der Umwelt massiv schaden. Nur 104 Fonds waren nach der Bewertungsgrundlage der NGOs gänzlich unbelastet. Grund dafür sind die schwammigen Nachhaltigkeits-Definitionen, die viele Finanzinstitute selbst festlegen.

Wie funktioniert die Taxonomie?

Damit das in Zukunft nicht mehr passiert, hat die EU einen technischen Bewertungsprozess erstellt, an dessen Ende "Taxonomie-konforme" Wirtschaftsaktivitäten herauskommen. Nur Unternehmen, die diese Kriterien erfüllen, sollen am Ende in den begehrten grünen Fonds landen dürfen.

Erklärgrafik zeigt, wie verschiedene Wirtschaftsaktivitäten hinsichtlich ihrer Taxonomie-Fähigkeit beurteilt werden.
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Nicht explizit genannte Wirtschaftsaktivitäten, also Wirtschaftsaktivitäten, die nach aktueller Einschätzung der Kommission keinen direkten Einfluss auf die Umwelt haben, sind nicht "Taxonomie-fähig". Wie viel Geld zum Beispiel Vattenfall in die Möblierung seiner Chefetage steckt, spielt also im folgenden Bewertungsprozess keine Rolle – die Finanzierung neuer Kraftwerke allerdings schon.

Welche Umwelt-Ziele müssen eingehalten werden?

Um als "Taxonomie-fähige Aktivität" dann auch die begehrte "Taxonomie-Konformität" zu erreichen, in anderen Worten also als nachhaltig zu gelten, muss die Aktivität einen wesentlichen Beitrag zu einem von sechs ausgeschriebenen Umweltzielen leisten, ohne die restlichen fünf zu beeinträchtigen.

Erklärgrafik zeigt die sechs Klimaziele.
Für die ersten beiden Umweltziele stehen schon technische Bewertungskriterien fest. Die Kriterien für die vier übrigen Ziele werden im Juni 2023 erwartet. Bildrechte: MDR

Wasserkraft kann zum Beispiel zur Milderung des Klimawandels beitragen, indem sie Strom erzeugt und dadurch die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert (Ziel 1). Führt der Bau und Betrieb der dafür nötigen Staudämme allerdings zu erheblichen Veränderungen in Wasserökosystemen, indem er zum Beispiel Lebensräume von Fischen zerstört, schadet er gleichzeitig Ziel 6 und gilt daher nicht als nachhaltig.

Neben der technischen Überprüfung der Einhaltung oder der Beeinträchtigung der sechs Ziele, müssen außerdem noch arbeitsrechtliche Mindestanforderungen und grundsätzliche Menschenrechte erfüllt werden.

Sind Atomkraft und Gas nachhaltig?

Die bisher größte mediale Aufmerksamkeit erhielt die Taxonomie-Verordnung, als die EU-Kommission 2021 Atomkraft und Gas in den Katalog der nachhaltigen Energielieferanten aufnahm. Diese Bewertung ist allerdings höchst umstritten.

In der Folge haben sowohl Umweltverbände wie Greenpeace oder WWF, als auch die österreichische Bundesregierung beim Europäischen Gerichtshof gegen die EU-Kommission geklagt. Laut Medienberichten ist ab Juli 2024 mit einer ersten Anhörung zu rechnen. Allen Klagen liegt die Befürchtung zugrunde, dass durch die Aufnahme von Atomkraft und Gas die Nachhaltigkeitsdefinition verwässert wird und die Taxonomie letztendlich ein Werkzeug für institutionelles Greenwashing wird.

Luxemburg, Spanien und Dänemark kritisierten ebenfalls die EU-Einstufung, während Mitgliedstaaten wie Frankreich, Polen und Bulgarien Atomkraftwerke als Alternative zu noch klimaschädlicheren Kohlekraftwerken verteidigten.

Wird die Taxonomie zum weltweiten Vorbild?

Auch wenn über die genaue Definition von Nachhaltigkeit noch gestritten wird, sind selbst die Taxonomie-Kritiker von der grundsätzlichen Notwendigkeit eines Öko-Labels überzeugt. Sollte es der EU gelingen, einen Goldstandard für Nachhaltige Fonds aufzustellen, könnte die Taxonomie als Gütesiegel sogar zum Vorbild für die ganze Welt werden. Spätestens dann wird das sperrige Wort nicht nur Biologie-Interessierten ein Begriff sein.

Links/Studien

Crossborder Journalism Campus Dieser Beitrag entstand im Rahmen von “Crossborder Journalism Campus”, einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Bertrand Morain, Fabio Cantile, Gianluca Grasselli, Kelsey Lescop &, Simon Guichard.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 06. Juli 2022 | 13:00 Uhr