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Klimawandel "Besorgniserregend" – Abschwächung des Golfstroms könnte bald unumkehrbar werden

13. Februar 2024, 13:51 Uhr

Eine Studie aus den Niederlanden zeigt: Schon bis 2100 könnte durch den Klimawandel im Atlantik ein Kipppunkt erreicht werden, nach dem der Golfstrom abbricht. Was das bedeutet, erklärt die Physikerin Levke Caesar.

Verändert die globale Erwärmung die großen Meeresströmungen derart, dass der Golfstrom abbricht, der Europa sein bisher mildes Klima im Winter schenkt? Die Möglichkeit, dass das passiert, diskutieren Klimaforscher bereits seit vielen Jahren. Ein Team aus den Niederlanden kommt jetzt in einer neuen Berechnung aber zu einem sehr beunruhigenden Ergebnis.

Laut der niederländischen Studie könnte die sogenannte Atlantische Meridionale Umwälzströmung (Amoc), also das Strömungssystem, zu dem der Golfstrom gehört, zusammenbrechen. Auf der ganzen Nordhalbkugel könnte es im Durchschnitt bis zu 30 Grad kälter werden, so die Forscher. Levke Caesar, Physikerin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, ordnet die neue Studie im Interview mit dem MDR ein.

Frage: Es gab ja in den letzten Jahren schon mehrfach Alarm dieser Art, weil Wissenschaftler festgestellt hatten, dass die Meeresströmung im Atlantik schwächer wird. Was ist das Neue jetzt an dieser Studie aus den Niederlanden?

Levke Caesar: Die vorherigen Studien haben meistens Beobachtungsdaten ausgewertet. Die neue Studie dagegen ist eine Modellstudie. Zum ersten Mal wird mit einem sehr hoch aufgelösten Klimamodell gezeigt, dass die Meeresströmungen im Atlantik einen Kipppunkt haben. Für viele Forscher ist das nicht überraschend. Einfachere Modellstudien haben das vorher gezeigt, und Daten aus der Klimageschichte der Erde weisen auch darauf hin. Aber jetzt wurde das eben das erste Mal mit einem so hoch aufgelösten Modell bewiesen. Und es hat sehr lange gedauert, weil das unglaublich viel Rechenzeit erfordert. Die Kollegen in den Niederlanden haben ein halbes Jahr lang dieses Klimamodell rechnen lassen.

Schauen wir uns mal diese Meridionale Umwälzströmung im Atlantik genauer an. Wie funktioniert die? Und wie beeinflusst sie unser Klima in Europa?

Es ist ganz schön schwer, sich das vorzustellen, was da im Atlantik passiert. Denn wir reden hier von Wassermassen, von einem Wassertransport, der etwa hundertmal so groß ist wie der Amazonas-Fluss. Das sind wirklich riesige Mengen Wasser, mehrere Kilometer breit und über tausende Kilometer lang, die den kompletten Atlantik bewegen, vom Süden bis in den Norden. Für uns hier ist wichtig, dass damit eine Menge warmes Wasser und damit Energie zu uns in den Norden transportiert werden. Wenn die Atmosphäre über dem Wasser kälter ist, wird die Energie an die Luft abgegeben und durch die Windsysteme auch hier ins Innere von Europa gebracht. Das sorgt für unser milderes Klima, gerade im Winter. Wenn wir uns Städte ansehen wie Hamburg, Dublin, London oder Stockholm und diese mit Orten auf den gleichen Breitengraden in den USA oder Kanada vergleichen, dann sind unsere Winter hier deutlich milder.

Nun könnte es in Europa in manchen Teilen bis zu 30 Grad kälter werden, sagen die niederländischen Forscher. Wie genau wäre das zu erklären? Bisher reden wir ja immer von Klimaerwärmung.

So drastisch wird es Gott sei Dank wahrscheinlich nicht. Das, worauf sich die Forscher da beziehen, passiert in dem Modell, wenn die atlantische Strömung abbricht und es zum Teil im Winter mal ortsweise um 30 Grad kälter werden kann als heute. Aber in dieser Studie wurde die Klimaerwärmung gar nicht einberechnet, sondern es wurde wirklich geschaut: Okay, was passiert, wenn die Strömung abbricht. In unserer realen Zukunft wird es immer eine Überlagerung von Effekten geben, die Abschwächung des Golfstromsystems und die globale Erwärmung werden gleichzeitig passieren. Wahrscheinlich reden wir also nicht ganz über 30 Grad. Es ist aber auch wichtig zu sagen, dass allein Abkühlung oder Erwärmung gar nicht unbedingt immer das Entscheidende sind. Denn immer, wenn es solche Änderungen im System gibt, kann es auch zu Abwandlungen in den Strömungen kommen. Das kann dann zum Beispiel das marine Leben im Atlantik beeinflussen. Oder es kann die Häufigkeit von Extremwetterereignissen beeinflussen. Da muss man dann noch viel detaillierter hinschauen.

Schuld an der Abschwächung oder dem Abbrechen der Meeresströmung soll der Klimawandel sein, also durch die weltweite Erwärmung würde die Atlantikströmung schwächer, heißt es. Wie genau ist da der Zusammenhang?

Dafür muss man sich angucken: Warum gibt es überhaupt diese Strömung im Atlantik? Was ist ihr Hauptmotor? Das sind die Wassermassen im nördlichen, subpolaren Atlantik, also in der Gegend von Grönland und Island. Dort sinkt das Wasser von der Oberfläche auf den Grund. Das passiert, weil das stark salzige Wasser kälter wird. Kälteres Wasser ist schwer und salzhaltiges Wasser hat eine höhere Dichte, ist also auch schwerer, also sinken die Wassermassen ab. Dieser Prozess ist eine Art Hauptantreiber der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation. Durch den Klimawandel schmilzt aber der grönländische Eisschild ab. Dadurch sehen wir auch veränderte Niederschlagsmuster. Es regnet also mehr im subpolaren Nordatlantik. Das sorgt dann dafür, dass das Oberflächenwasser weniger salzhaltig wird. Dann sinkt es langsamer ab und schwächt so den Motor des Golfstromsystems.

Nun spricht die Studie von einem sogenannten Kipppunkt. Wie schnell müssen wir mit diesem Kippen denn rechnen?

Das ist eine gute Frage, die diese Studie auch nicht beantworten kann. Leider kommen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass wir dafür mehr und genauere Beobachtungsdaten brauchen. Und das ist auch eine der ganz großen Fragen der Klimaphysik: Wann kommt es zu einem Tipping-Point im Golfstromsystem, also wann erreichen wir den Punkt, ab dem wir diese Abschwächung der Strömung nicht mehr aufhalten können. Da geht es nicht darum, dass sie dann sofort zusammenbricht, sondern dass es Rückkopplungs- oder Feedbackloops gibt, die dafür sorgen, dass wir es nicht mehr stoppen können, auch wenn wir komplett damit aufhören, CO2 zu emittieren. Aber was die Studie zeigt, und das finde ich sehr wichtig: Das wir es nicht ausschließen können, dass wir diesen Kipppunkt schon innerhalb des gerade laufenden Jahrhunderts erreichen. Und das ist natürlich schon besorgniserregend.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 12. Februar 2024 | 16:15 Uhr

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