Zum Patent angemeldet Magnetisches Meteoriten-Material aus dem Labor

26. Oktober 2022, 05:00 Uhr

Dieses Mineral könnte die Herstellung von Dauermagneten und damit auch den Bau von Windturbinen und Elektromotoren revolutionieren. Tetrataenit, bislang nur aus Meteoriten bekannt, lässt sich recht einfach herstellen.

Die Geschichte klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Supermagneten bauen, ohne Seltene Erden zu benötigen. Das wäre aus ökologischer, wirtschaftlicher und geopolitischer Sicht für viele ein Traum. Er könnte durchaus Realität werden, wenngleich das Happy End der zugehörigen Geschichte erst noch geschrieben werden muss. Aber der Reihe nach ...

Durch Seltene Erden wie zum Beispiel Neodym oder Dysprosium werden Magnete besonders stark. Deshalb können sie dann deutlich kleiner sein als ohne die Seltenen Erden, wodurch auch die Geräte, in denen sie stecken wiederum kleiner sein können, was man sich bei Elektromotoren oder bei Generatoren von Windkraftanlagen gern zunutze macht.

Das Problem an den Seltenen Erden ist, dass sie nicht sonderlich umweltschonend und nur mit viel Aufwand abgebaut werden können. Man benötigt riesige Minen für am Ende relativ kleine Funde. China betreibt dieses Geschäft im großen Maßstab, nicht jedes Land kann oder möchte da mitziehen, entsprechend ist der Weltmarkt noch immer recht abhängig von China, was vielleicht auch zum geopolitischen Problem werden könnte.

Tetrataenit – ein Wundermagnet?

Da wäre es doch schön, wenn man – zumindest bei Magneten – auf Seltene Erden verzichten könnte. Schon lange kennt man das Mineral Tetrataenit, chemisch nichts anderes als eine Legierung aus Eisen und Nickel im Verhältnis 1:1, aber mit extrem geordneter Atomstruktur. Diesem Mineral werden ähnlich starke magnetische Eigenschaften zugeschrieben. Problem dabei: Man konnte das bislang nicht im großen industriellen Maßstab überprüfen, weil Tetrataenit noch viel seltener als Seltene Erden ist. Man findet es nämlich nur im Inneren von Meteoriten. Es konnte sich dort nur bilden, weil der Meteorit über Jahrmillionen gaaaanz langsam abkühlte – so der bisherige Wissensstand.

... und schon hatten wir Tetrataenit.

Prof. Lindsay Greer, Cambridge Department of Materials Science & Metallurgy

Jetzt auf einmal ist alles ganz anders. Man kann Tetrataenit recht preiswert, einfach und schnell herstellen. In einer gemeinsamen Arbeit von Forschungseinrichtungen aus dem Vereinigten Königreich (Universität Cambridge) und Österreich (Montanuniversität Leoben und Österreichische Akademie der Wissenschaften) wurde das herausgefunden. Millionen Jahre? Weit gefehlt. Letztlich nur eine Sache von Sekunden.
"Das Erstaunliche daran war, dass keine besondere Behandlung erforderlich war: Wir haben die Legierung einfach geschmolzen und in eine Form gegossen, und schon hatten wir Tetrataenit", sagt Cambridge-Professorin Lindsay Greer, die die Forschungsarbeit leitete.

Schematische Darstellung der absolut regelmäßigen Kristallstruktur von Tetrataenit. Eckpunkte eines Quaders mit quadratischer Grundfläche und einem zusätzlichen Punkt in der Mitte des Körpers.
Schematische Darstellung der absolut regelmäßigen Kristallstruktur von Tetrataenit. Eckpunkte eines Quaders mit quadratischer Grundfläche und einem zusätzlichen Punkt in der Mitte des Körpers. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Phosphor statt Neutronenbeschuss

Zwar war es Wissenschaftlern schon in den 1960er-Jahren gelungen, Tetrataenit künstlich zu erzeugen, indem sie Eisen-Nickel-Legierungen mit Neutronen beschossen, so dass die Atome die gewünschte regelmäßige Anordnung bilden konnten. Aber trotz vieler Versuche im Laufe der Jahre war es bisher nicht möglich, Tetrataenit auch nur annähernd in industriellem Maßstab herzustellen.

Die Alternative zum Millionen Jahre währenden Abkühlen in einem Meteoriten und zum Neutronenbeschuss lautet schlicht und einfach Phosphor. Das Team untersuchte die mechanischen Eigenschaften von Eisen-Nickel-Legierungen mit geringen Mengen an Phosphor. Das Phasenmuster im Inneren zeigte dann erst einmal die erwartete baumartige Wachstumsstruktur, Dendriten genannt.

Für die meisten Menschen wäre es das Ende der Fahnenstange gewesen.

Dr. Yurii Ivanov, Erstautor der Studie

"Für die meisten Menschen wäre es das Ende der Fahnenstange gewesen: In den Dendriten gibt es nichts Interessantes zu sehen, aber als ich genauer hinsah, entdeckte ich ein interessantes Beugungsmuster, das auf eine geordnete atomare Struktur hindeutet", so Studien-Erstautor Dr. Yurii Ivanov, der die Arbeit während seines Studiums in Cambridge abgeschlossen hat und inzwischen am Italienischen Institut für Technologie in Genua tätig ist.
Auf den ersten Blick sah das Beugungsmuster aus wie die Struktur, die man bei Eisen-Nickel-Legierungen erwartet, nämlich ein ungeordneter Kristall, der dann als Hochleistungsmagnet nicht in Frage kommt. Erst bei genauerem Hinsehen konnte Ivanov Tetrataenit identifizieren.
Ja, sagt die Forschungsgruppe, man müsse schon etwas genauer hinschauen, aber man wundere sich doch ein wenig, dass das noch niemandem vorher aufgefallen ist.

Indem die Wissenschaftler dann noch etwas am Mischungsverhältnis von Eisen, Nickel und Phosphor herumtüftelten, schafften sie es, eine Legierung zu erstellen, die sich beim Guss innerhalb weniger Sekunden bildet. "Bisher war man der Meinung, dass man Tetrataenit nur durch extreme Maßnahmen erhalten kann, weil man sonst Millionen von Jahren warten müsste, bis es sich bildet. Dieses Ergebnis bedeutet eine völlige Veränderung in der Art und Weise, wie wir über dieses Material denken", sagt Lindsay Greer.

Patentanmeldung

Die übergeordneten Institutionen der Forschungsgruppe haben nach dieser Entdeckung nicht lange gezögert. Und so wurde die Technologie nun von "Cambridge Enterprise" (Kommerzialisierungsabteilung der Universität) und von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum Patent angemeldet.

Aber wie eingangs erwähnt, fehlt noch ein Happy End der Geschichte, nämlich die praktische Anwendung der Methode im großen Maßstab. Es seien noch weitere Arbeiten erforderlich, sagen die Wissenschaftler, um festzustellen, wie gut sich das künstliche Tetrataenit für Hochleistungsmagnete eignet. Das Team hofft nun, mit großen Magnetherstellern zusammenarbeiten zu können, um das zu erforschen.

Ach ja, und nebenbei muss die Forschung über Meteoriten vielleicht auch nochmal neu angeschoben werden. Vielleicht dauert es gar nicht Millionen Jahre, bis sich in deren Innerem Tetrataenit bildet. Vielleicht reicht auch da schon ein bisschen Phosphor, denn der ist in Meteoriten auch vorhanden.

Links/Studien

Die Studie "Direct Formation of Hard-Magnetic Tetrataenite in Bulk Alloy Castings" wurde im Fachjournal "Advanced Science" veröffentlicht.

(rr)

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