Chirurgie-Kongress 2024 Weniger Trauma für den Patienten dank Robotik im OP-Saal?
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28. April 2024, 15:59 Uhr
Operationen hinterlassen beim Patienten immer Verletzungen in der Haut und dem Gewebe. In der Medizin wird das Trauma genannt. Bei minimalinvasiven Eingriffen sind diese Verletzungen deutlich kleiner. Kann ein OP-Roboter diese Traumata noch geringer machen? Indirekt - für den Patienten und den Operateur. Wie das geht, hat Beat Müller vom Claraspital in Basel auf dem Leipziger Chirurgie-Kongress erklärt.
Robotik und künstliche Intelligenz (KI) sind längst in den OP-Sälen angekommen und entwickeln sich stetig weiter. Die Anschaffung solcher Systeme ist für ein Krankenhaus aber enorm teuer. Ein DaVinci Operationssystem zum Beispiel kostet laut Hersteller 1,85 Millionen Euro. Da wird genau geprüft, ob sich das auch wirklich lohnt.
Im Rahmen des Deutschen Chirurgie-Kongresses (DCK 2024) in Leipzig sprach Professor Beat Müller, Chefarzt der Vizeralchirurgie in Basel, über die Vorteile der Robotik für die Patienten sowie für die Operateure. Dabei blickte er vor allem auf die Traumareduktion durch solche Eingriffe. Ein Trauma bezeichnet in der Medizin eine Verletzung. So notwendig Operationen auch sind, sie sind auch immer mit der Verletzung der Haut und der verschiedenen Gewebe verbunden. Eine Operation ist also immer eine Herausforderung für den Körper.
Offene Operationen stellen ein großes Trauma für den Körper dar
Die Fachwelt ist sich einig, dass offene Operationen für den Patienten ein weitaus größeres Trauma bedeuten als minimalinvasive laparoskopische Operationen.
Dabei wird über einen kleinen Schnitt ein sogenanntes Laparoskop in die Bauchhöhle eingeführt. Dieses Gerät ermöglicht dem Operateur, das Innere des Körpers über einen Monitor zu sehen. Über weitere kleine Schnitte werden kleine hochpräzise Arbeitswerkzeuge eingeführt, mit denen die OP dann innerhalb des Körpers durchgeführt wird, ohne ihn großräumig öffnen zu müssen. Es wird also viel weniger Gewebe verletzt. Hier sind das Infektionsrisiko und die Schmerzen für den Patienten weitaus geringer, der Bedarf an Opioiden kleiner und der Krankenhausaufenthalt kürzer.
Roboter ermöglichen Ärzten Bewegungsfreiheit bei Operationen
Bei OP-Robotern wie DaVinci bewegt der Chirurg Roboterarme, die eine Kamera oder verschiedene Instrumente halten, über eine Konsole. Darüber kann er sehr exakt steuern. Über hochauflösende Optiken wird dem Operateur ein reales 3D-Bild in Echtzeit vermittelt, an das nach Bedarf auch rangezoomt werden kann. Dadurch hat der Arzt eine sehr gute Einsicht in das OP-Gebiet. Außerdem hat er mit dem Roboter eine Bewegungsfreiheit, die bei konventionellen minimalinvasiven Operationen nicht möglich ist. Das heißt, er kann sehr exakt, auf engem Raum und ohne große Anstrengung operieren. Für den Operateur ein großer Vorteil.
Aber tragen die OP-Roboter auch dazu bei, dass die Patienten ein kleineres OP-Trauma davon tragen? Lässt sich das im klinischen Alltag irgendwie nachweisen? Schließlich wären solche Beweise ein gutes Argument, um eine Krankenhausleitung zu einer Anschaffung eines so teuren OP-Roboters zu überreden.
Nur wenige Studien zum Effekt von OP-Robotern
Die Studienlage dazu ist allerdings überschaubar. Laut Müller konnte bisher nur nachgewiesen werden, dass das CRP (C-reaktives Protein), ein sogenanntes Akut-Phase-Protein des Immunsystems, bei Robotik-Operationen unmittelbar nach dem Eingriff weniger ansteigt. CRP ist ein Entzündungsmarker. Entzündungen wiederum sind körpereigene Reaktionen auf schädliche Reize. Dazu zählen auch Verletzungen, die durch Operationen entstehen, also die Schnitte, die am Körper vorgenommen werden müssen.
"Das ist das, was wir haben und das ist zugegebenermaßen nicht viel", bemerkt Müller auf dem Kongress. Er kennt die politischen Diskussionen und lässt die Frage, ob es sich lohnt, auf dieser Grundlage einen teuren OP-Roboter anzuschaffen, offen im Raum stehen. Stattdessen führt er aus, warum die Robotik im Krankenhaus zu einer indirekten Traumareduktion führt.
Dafür muss er etwas ausholen und bemerkt, dass bei einfachen Eingriffen die minimalinvasive Operationstechnik schon sehr etabliert ist. Wenn es aber darum geht, Eingriffe durchzuführen, die komplizierter sind, ist Deutschland in gewisser Weise stecken geblieben. Diese Eingriffe wurden vor der Einführung der Robotik selten minimalinvasiv durchgeführt. Mit Einführung der Robotik änderte sich das.
Roboter helfen weniger erfahrenen Ärzten dabei, komplexe Operationen minimalinvasiv auszuführen
Müller erklärt warum. Dafür greift er auf das Beispiel eines Top-Chirurgen zurück, der Prostektomien, also die Entfernung der Prostata, gekonnt minimalinvasiv durchführt. Diesen Eingriff führt er immer und immer wieder auf die gleiche Weise durch. Zwar ist er damit sehr erfolgreich, aber seine Lernkurve bei dieser Operation ist extrem gering. Gegenüber stellt Müller die Lernkurve eines Chirurgen, der kein Profi in Sachen minimalinvasiver Prostektomie ist. Seine Lernkurve ist durch den Einsatz der Robotik extrem steil.
"Das heißt, wenn sie den Roboter haben, werden sie plötzlich fähig, komplexe minimalinvasive Eingriffe robotisch zu machen und sie auch in nützlicher Frist zu lernen. Das senkt die Schwelle und jetzt wird es möglich den komplexen minimalinvasiven Eingriff zu machen, der vorher ausschließlich ein offener Eingriff gewesen wäre."
Ein Roboter hilft Operation an der Bauchspeicheldrüse
Für den Top-Chirurgen ist der OP-Roboter vielleicht kein wahnsinnig großer Gewinn, wenn es um die Qualität seiner Arbeit geht. Für weniger erfahrene Operateure ermöglicht er aber weiter gefasste Handlungsspielräume.
Laut Müller ist die Prostatektomie das Paradebeispiel dafür, dass seit der Einführung der Robotik dieser Eingriff nur noch minimalinvasiv gemacht wird. Aber auch sehr viel komplexere Operationen wie etwa eine Pankreaskopfresektion, also die Entfernung des Kopfteils der Bauchspeicheldrüse, sind dank der Roboter mittlerweile minimalinvasiv möglich. Das hat eine große Auswirkung, einen "high impact", auf die Traumareduktion, wie Müller ausführt. Seither gibt es viel weniger offene Operationen, die für die Patienten mit viel größeren Verletzungen einhergehen würden.
Dank Roboter: Weniger Schmerzen für den Chirurgen
Aber nicht nur für Patienten bringt die Robotik im OP-Saal eine Traumareduktion, sondern auf für den Chirurgen. Der Körper eines Operateurs wird bei Stunden langen Operationen sehr gefordert, schildert Dolores Thea Müller, von der Uniklinik Köln.
Müller ist Teil eines Forschungsteams, das die Arbeitsbedingungen an OP-Robotern untersucht und stellte Teilergebnisse dieser Arbeit auf dem Chirurgie-Kongress vor. Bekannt ist bereits, dass bei offenen Operationen rund 52 Prozent der Chirurgen unter Nacken- und Rückenschmerzen leiden, bei laparoskopischen Eingriffen sind es nur noch 35 Prozent, die über Rückenschmerzen klagen und bei robotischen Operationen sind es nur noch 20 Prozent.
Mediziner sehen im Roboter viele Vorteile
Und auch Beat Müller sieht bei den Chirurgen eine Traumareduktion und schließt so den Bogen zu seiner Vorrednerin Dolores Thea Müller. Studien zeigen, dass der Chirurg am Roboter entspannter arbeitet als bei konventionellen minimalinvasiven Eingriffen. "Ich würde sagen, es ist nicht weit gedacht, dass die Traumareduktion beim Chirurgen am Ende auch zu einer präziseren Chirurgie für den Patienten führt", so Beat Müller.
Am Ende sieht man seiner Ansicht nach am "klinischen Impact", also an der Tatsache, dass mehr Patienten minimalinvasiv operiert werden können, dass sie schneller genesen und weniger lang im Krankenhaus verweilen, dass die Robotik im OP-Saal einen größeren Nutzen hat, als durch einzelne Parameter wie etwa den CRP-Wert ablesbar wäre.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Sachsenspiegel | 24. April 2024 | 19:00 Uhr