Hasskommentar
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Psychologie Warum Menschen in Krisenzeiten aggressiv werden

08. Oktober 2019, 10:22 Uhr

Unsere Diskussionskultur verroht: Beleidigungen und Morddrohungen sind mittlerweile an der Tagesordnung. Noch gibt es keine belegbare Studien zu dieser "Dehumanisierung", aber an der Uni Leipzig wird dazu geforscht.

Verbale und körperliche Übergriffe haben zugenommen, Hassparolen gegenüber Personen staatlicher Institutionen, gegenüber der Feuerwehr, Rote-Kreuz-Helfern, gegen Polizisten und auch Journalisten. Besonders schlimme Hasskommentare ergießen sich derzeit über der schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg:

Die gehört in die Geschlossene und weggesperrt, die CO2-Schlampe. Kann ein Amokläufer nicht einfach dieses Kind abknallen? Dreckiges Mongo-Kind, ich kann es nicht mehr sehen. Was kostet eigentlich so ein Auftragsmord?

Facebook-Gruppe "Fridays for Hubraum"
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Warum werden Menschen in Krisenzeiten aggressiv? MDR-Wissen-Redakteurin Anne Sailer hat zu der Frage mit dem Sozialpsychologen Immo Fritsche von der Uni Leipzig gesprochen.

MDR AKTUELL Sa 28.09.2019 20:56Uhr 02:49 min

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Der Andere wird aus der moralischen Gemeinschaft ausgeschlossen

Das sind die eher harmlosen Kommentare auf einer mittlerweile geschlossenen Facebook-Gruppe namens "Fridays for Hubraum", die es in wenigen Tagen nach ihrer Gründung auf 400.000 Mitglieder gebracht hatte. Was aber bringt Menschen dazu, gegen 16-Jährige derart zu hetzen? In dem Falle fast ausschließlich Männer, die zu Hause Frau und Kinder haben? Immo Fritsche ist Professor für Sozialpsychologie an der Uni in Leipzig und an der Fakultät für Lebenswissenschaften tätig und untersucht die psychologischen Prozesse, die hinter den Tiraden stehen.

Was heißt Verrohung überhaupt? Möglicherweise ist das die Behandlung Anderer auf eine Art und Weise, wie man sie sich selbst für sich nicht wünscht. Ein Mechanismus, der dem zugrunde liegen kann, ist, dass ich gedanklich die andere Person aus einer moralischen Gemeinschaft ausschließe.

Immo Fritsche

Der vermeintliche Gegner wird entmenschlicht

Das Phänomen selbst nennt sich Dehumanisierung. Das heißt: Der vermeintliche Gegner wird entmenschlicht durch Aggression und Diffamierung. Diese Dehumanisierung wirkt gruppenbindend und euphorisierend. Das wiederum führt zu Selbstüberschätzung und moralischer Abstumpfung. Eine intellektuelle Kontrolle ist nicht mehr möglich. Immo Fritsche kennt dieses Phänomen aus der Geschichte:

Wir haben viele historische Beispiele dafür, dass in Zeiten starker Intergruppenkonflikte so etwas wie Verrohung stattgefunden hat. Im Krieg beispielsweise, wo gegnerische Parteien abgewertet oder auch entmenschlicht werden. Das erleichtert den Konflikt und setzt sich auch auf der Alltagsebene fort.

Immo Fritsche

Das wahre Volk gegen die Eliten

Worum geht es aber nun genau? Auf Greta zu schimpfen, statt sich mit der Klimadebatte auseinanderzusetzen, ist natürlich einfacher. Geflüchtete zu kriminalisieren ist auch leichter, als sich mit globalen Veränderungen auseinanderzusetzen. Has.sobjekte, so Immo Fritsche, lassen sich leicht finden. Gleichwohl sehen viele Menschen ihre komplette Welt infrage gestellt. Das macht ihnen Angst.

Prof. Dr. Immo Fritsche
Prof. Dr. Immo Fritsche. Bildrechte: Fritsche

Das wahre Volk gegen die anderen, die Eliten beispielsweise. Da gibt es natürlich unterschiedliche Ansichten, wer das wahre Volk ist. Bei der Klimadebatte gilt: Es geht um nichts Geringeres als das Überleben der Menschheit, das Ziel ist aber so absolut, dass auch das Handeln absolut gesetzt wird.

Immo Fritsche

Absolute Ziele führen also zu absoluter Gegenwehr. Begünstigt werden diese Verabsolutierungen durch so genannte Filterblasen, in der Psychologie "Echokammern" genannt: Das sind dann die Quellen, aus denen eine Gruppe ihre Meinungen speist und sich immer wieder echoartig bestätigt: Wir haben Recht. Wie kann diese polarisierte Situation nun aufgelöst werden? Immo Fritsches Vorschläge: "Rückbesinnung auf gemeinsame Wertestandards in der Gesellschaft. Berücksichtigung der Interessen der anderen und eigene Standards nicht zu verabsolutieren."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 28. September 2019 | 20:56 Uhr

2 Kommentare

Atze1 am 03.10.2019

Wir sind zwar bedroht von Klimaentwicklungen, es ist aber nicht eine Krise, die uns nicht human handeln lassen könnte, denn noch besteht auch Möglichkeit zur Veränderung. Für mich ist Aggressivität der Menschen immer Zeichen von Angst und Überforderung. Das sollte ernst genommen werden. Warum gab es eine friedliche Revolution 89, obwohl das eine schwere Krise war? Weil die Menschen die beiden Faktoren beherrschten, die ich hier nannte. Heute aber ist es ein Übermass an Ungewissheit, Schnelligkeit des Lebens, dass man sich ggf. Außerstande sieht, selbstbestimmt zu steuern. Das muss den Menschen zurückgegeben werden. Dass sie selbst nicht nur Objekt ihrer Entwicklung sind. Wenn das nicht passiert und mehr menschlich verfahren wird, werden auch die Menschen immer unbarmherziger mit Fremdem. Es ist ganz einfach.

MDR-Team am 04.10.2019

Lieber Chemnitzer, vielen Dank für Ihren sehr reflektierten und ehrlichen Kommentar.