Corona Gesichtsmaske Ansteckung Markt Leipzig
Vorsichtmaßnahme: Eine Frau in Leipzig trägt beim Einkaufen auf dem Markt eine Gesichtsmaske. Die Gegenmaßnahmen gegen Corona zeigen laut den Daten Wirkung: Die Ausbreitungsgeschwindigkeit wird langsamer. (Symbolfoto). Bildrechte: imago images/Xinhua

Reproduktionsfaktor Deutschland: Corona-Ansteckungen werden weniger

07. April 2020, 17:15 Uhr

Forscher aus Thüringen und Westfalen zeigen online, wie hoch die Ansteckungsrate von Corona in Deutschland gerade ist. Aktuelles Fazit: Der Shutdown funktioniert, die Ausbreitung von Covid-19 wird langsamer. Zum gleichen Ergebnis kommt auch ein Epidemiologe aus Leipzig. Er fordert für die Zeit nach dem Lockdown: Wir sollten uns stark an Südkorea orientieren. Das Robert Koch-Institut widerspricht den Zahlen.

Wissenschaftler der TU Ilmenau und der Uni Bielefeld stellen ein neues Online-Tool bereit, an dem man ablesen kann, wie schnell sich das Corona-Virus aktuell weiter ausbreitet. Auf Basis der Daten des Robert-Koch Instituts ist die Entwicklung in Deutschland und seinen Bundesländern ablesbar. Mit Daten der Johns-Hopkins-Universität wird die Ausbreitung für die übrige Welt dargestellt.

Ausbreitung von Corona: Wie viele Menschen steckt ein Infizierter an?

Die Forscher berechnen dazu anhand der verfügbaren Daten, wie hoch der sogenannte Reproduktionsfaktor aktuell ist. Der sagt aus, wie viele andere Menschen ein Infizierter aktuell ansteckt. Ist es weniger als einer, dann nimmt die Zahl der Erkrankten stetig ab und die Epidemie erreicht ihr Ende. Ist es mehr als einer, nimmt die Zahl hingegen exponentiell zu, die Krankheit breitet sich also immer schneller aus. Bei genau einem weiteren Infizierten, flacht die Zahl der Infizierten hingegen ab.

Der Wert gibt also Auskunft darüber, ob Gegenmaßnahmen, wie die Schließung von Schulen oder die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, wirkungsvoll sind, ob also die Zahl der Infizierten stabil bleibt oder abnimmt oder ob immer mehr Menschen an der Lungenkrankheit Covid-19 leiden.

Zeitraum zwischen Infektion und offizieller Meldung

Die Forscher um Thomas Hotz von der TU Ilmenau und Alexander Krämer von der Uni Bielefeld werten dazu für Deutschland die beim Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichten Zahlen zu den gemeldeten Neuinfektionen aus. Auf dieser Basis schätzen sie, wann die Infektion tatsächlich stattgefunden hat.

Bevor eine solche Ansteckung sichtbar wird, vergehen durchschnittlich fünf Tage Inkubationszeit. Vom Ausbruch der Symptome bis zu einem positiven Testergebnis vergehen im Schnitt weitere zwei Tage. Also liegen zwischen Ansteckung und Meldung insgesamt sieben Tage. Hinzu kommt, dass das RKI für die jeweils zurückliegenden drei Tage Daten nachträgt und die Statistiken an den Wochenenden nicht automatisch aktualisiert.

Wann sind Corona-Patienten am ansteckendsten?

Werden diese Faktoren in die Berechnung einbezogen, lässt sich abschätzen, wann sich Erkrankte angesteckt haben und wann sie selbst am wahrscheinlichsten weitere Menschen anstecken. Dieser Zeitraum ergibt sich aus Studien, wonach die meisten Viren zwischen zwei Tagen vor Einsetzen der Symptome und etwa vier Tagen danach abgegeben werden. "Wir gehen davon aus, das diese Infektiosität am Tag der Ansteckung selbst noch null ist. Dann steigt von Tag eins bis Tag vier konstant an, bleibt auf einem Höhepunkt und fällt von Tag sechs bis Tag elf wieder ab“, erklärt Thomas Hotz auf Anfrage von mdr-wissen.

Die Forscher berechnen also, wie viele Personen gerade wie stark ansteckend sind und vergleichen das mit der Zahl der tatsächlich gemeldeten Infektionen. So ergibt sich, wie viele Menschen ein Erkrankter tatsächlich infiziert hat und damit, wie schnell sich die Covid-19 gerade ausbreitet. Dass es wahrscheinlich eine große Dunkelziffer an Erkrankten gibt, die keine Symptome haben oder nicht von einem Test erfasst wurden, ist für diese Berechnung unwichtig, solang der Anteil der Dunkelfälle zu den gemeldeten Erkrankten stabil bleibt.

Erfolg des Shutdowns: Ausbreitung in Deutschland aktuell fast gleich bleibend

Für Deutschland zeigt die Analyse: Seit den Schulschließungen am 16. März sinkt die Reproduktionsrate und seit dem 23. März ist sie im Schnitt auf den Faktor eins gefallen. Das bedeutet, aktuell breitet sich Sars-CoV-2 nicht weiter aus. Die Frage sei aber, was nach Aufhebung des Shutdowns weiter passiere. "Dann muss man kontinuierlich überwachen, wie sich die Reproduktionszahl entwickelt", sagt Alexander Krämer.

Zahlen aus Leipzig bestätigen den Trend

Eine Entwicklung, die der Leipziger Epidemiologe Prof. Dr. Markus Scholz, bestätigen kann. Nach seinen Berechnungen ist die Ausbreitung der Corona-Epidemie in Leipzig fast zum Erliegen gekommen. In einer Mitteilung der Uni Leipzig erklärt er: "Diese sogenannte Nettobasisproduktionsrate haben wir auf Basis der uns aktuell vorliegenden Daten für Deutschland auf 1,23, für Sachsen auf 1,19 und für Leipzig auf 1,05 geschätzt. Vor zwei Wochen waren diese Werte noch mehr als doppelt so hoch." Die Nettobasisproduktionsrate ist die mittlere Anzahl an Personen, die zu Beginn einer Epidemie durch einen Infizierten angesteckt werden.

Epidemiologe empfiehlt "Modell Südkorea"

Da eine komplette Zurückdrängung jedoch viel zu lang dauern würde, fordert Scholz, über eine vorzeitige Lockerung der Maßnahmen zu diskutieren. "Dann ist jedoch auch wieder mit ansteigenden Zahlen an Neuerkrankungen zu rechnen", so der Professor vom Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie der Uni Leipzig. Er empfiehlt daher das Modell aus Südkorea: "Das bedeutet konsequentes Testen von Personen, die viele Kontakte haben, konsequente Isolations- und Quarantänemaßnahmen von Betroffenen und weitgehende Aufrechterhaltung der Abstandsregeln im öffentlichen Raum. So könnten zum Beispiel Läden, Restaurants und Kinos unter diesen Einschränkungen wieder öffnen."

RKI sieht eine erhöhte Ansteckrate

Das Robert Koch-Institut widerspricht den Aussagen. Wie das Institut heute mitteilte, steige die Ansteckungsrate derzeit wieder an. Ein Infizierter steckt demnach aktuell 1,2 bis 1,5 weitere Menschen an, so das RKI. Am Freitag hatte das Institut noch eine Rate von 1 ermittelt und erwartet, dass sie in den kommenden Tagen darunter sinkt.

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