Biphasischer Schlaf Durchschlafen ist eine moderne Erfindung
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10. Februar 2020, 17:21 Uhr
Viele Menschen wachen nachts auf, obwohl sie erst ein paar Stunden geschlafen haben. Was heute als Schlafstörung gilt, war früher völlig normal. Zwischen zwei Schlafphasen waren die Menschen stundenlang wach.
Es kann zu einem handfesten Leiden werden: Wer nachts aufwacht und nicht sofort wieder einschlafen kann, glaubt vielleicht, an einer Schlafstörung zu leiden. Dabei zeigt sich bei ihm lediglich ein Schlafmuster, das viele Jahrhunderte völlig üblich war. Das zeigt die Forschung des Historikers Roger Ekirch. Er hat für sein Buch "In der Stunde der Nacht, eine Geschichte der Dunkelheit" historische Tagebucheinträge, Gerichtsakten und ärztliche Aufzeichnungen ausgewertet, insgesamt über 500 Quellen.
Nachts aufwachen war völlig normal
Ursprünglich wollte Ekirch eine Kulturgeschichte der Dunkelheit im vorindustriellen Europa und den USA schreiben und dabei das Thema Schlaf nur am Rande streifen. Dann aber stieß er regelmäßig auf Beschreibungen eines "ersten Schlafs" und manchmal auch auf den "zweiten Schlaf". Es zeigte sich: Vor der Erfindung des elektrischen Lichts war ein sogenannter biphasischer Schlaf offenbar völlig normal. Ekirch fand Hinweise darauf in 14 europäischen Sprachen und englischen Texten aus Großbritannien und den USA. Auch einige wenige lateinische Quellen aus dem antiken Rom zeigen, dass ein zweigeteilter Nachtschlaf gewöhnlich war.
Die Vertrautheit, mit der die Leute über dieses geteilte Schlafschema sprechen, war einerseits ein Nachteil. Sie haben nicht erklärt, was das ist. Die Menschen dieses Zeitalters brauchten dafür keine Erklärung. Diese Vertrautheit zeigt aber natürlich auch, wie verbreitet die Gewohnheit war.
Nachts aufwachen: Ideale Zeit für Gebete oder Sex
Die meisten Menschen gingen gegen 09:00 Uhr am Abend zu Bett und wachten gegen 01:00 Uhr in der Nacht wieder auf. Oft seien sie im Bett geblieben, sagt Ekirch. "Sie beteten und dachten über ihre Träume nach. Es war eine sehr heilige Zeit ohne Ablenkungen, mit nur wenigen Geräuschen und völliger Dunkelheit. Diese Zeit war ideal um mit Gott zu kommunizieren, durch Gebete, Mediation oder durch die Reflexion von Träumen, die als Mittel göttlicher Kommunikation begriffen wurden."
Paare wiederum nutzten die nächtlichen Stunden, um Sex miteinander zu haben. "Es gibt eine Aufzeichnung einer Empfehlung aus dem 16 Jahrhundert. Ein französischer Arzt riet Paaren, sich den Vergnügungen der Ehe nach dem ersten Schlaf hinzugeben. Dann gehe es besser und mache mehr Spaß."
Im Schutz der Dunkelheit trafen sich verfolgte Gruppen
Doch nicht nur zu inneren Einkehr wurden die nächtlichen Stunden genutzt. Verfolgte religiöse und politische Gemeinschaften, etwa die protestantischen Hugenotten im katholischen Frankreich, aber auch Puritaner und Katholiken in Großbritannien, nutzten den Schutz der Nacht für geheime Gottesdienste.
Trotz dieser regen nächtlichen Aktivitäten zeigt auch Ekirchs Forschung, dass Schaf etwa ein Drittel eines 24-Stunden-Tages ausmachte. Die Menschen schliefen zwei Mal pro Nacht, insgesamt aber in etwa die auch heute üblichen sechs bis acht Stunden. Vorausgesetzt, ihr Schlaf wurde nicht gestört. "Die Gefahren für den ruhigen Schlaf waren früher deutlich größer und sie betrafen arme wie reiche Menschen gleichermaßen", sagt Ekirch. Die meisten Häuser waren nur schlecht gegen die Außenwelt isoliert, die Unbilden des Wetters, Hitze, Kälte, Stürme, stahlen den Menschen deutlich häufiger als heute die Nachtruhe. Auch Tiere wie Ratten und Mäuse bedrohten den friedlichen Schlaf.
Wenn sich Adlige, Großbauern oder Plantagenbesitzer über die fehlende Arbeitsmoral ihrer Arbeiter beklagten, dann sei als Ursache in den Quellen oft der schlechte Charakter des niederen Volks vermutet worden, sagt Ekirch. "Ganz falsch. Das Problem war, dass sie nicht genügend guten Schlaf bekommen hatten. Ich bin überzeugt, das große Teile der frühen modernen Bevölkerung, besonders Arbeiter, unter chronischem Schlafmangel litten."
Künstliche Beleuchtung beendete den biphasischen Schlaf
Mit dem plötzlichen Wachstum von künstlicher Beleuchtung änderte sich das Schlafverhalten der Menschen dramatisch. Durch die Industrialisierung wurden zunächst Kerzen deutlich verfügbarer und draußen beleuchteten Gaslaternen die Straßen. Die Erfindung der elektrischen Glühbirne schließlich verschaffte dem Kunstlicht den völligen Durchbruch. Jetzt kann auch die Zeit in der Dunkelheit produktiv genutzt werden.
Statt um neun oder um zehn Uhr ins Bett zu gehen bleiben zunächst vor allem die Familien in den städtischen Gegenden bis elf oder bis Mitternacht wach. Sie müssen allerdings trotzdem um sechs Uhr in der Frühe aufstehen. Sie haben also weniger Schlaf und werden im Laufe des Tages immer müder, bis sie dann wieder spät ins Bett gehen. Deshalb können sie jetzt am Stück durchschlafen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ist der zweite Schlaf praktisch verschwunden.
Biphasischer Schlaf zeigte sich in Experimenten
Ob auch in anderen Weltregionen biphasisch geschlafen wurde, darauf gebe es leider nur wenig Hinweise, sagt Ekirch. Einige Reiseberichte hätten biphasischem Schlaf in Cylon, dem heutigen Sri Lanka, erwähnt. Auch für die Ureinwohner Australiens gebe es solche Berichte. Von einigen Völkern in Afrika und Südamerika wiederum heiße es, sie hätten in einer Phase durchgeschlafen.
Allerdings gibt es noch relativ junge, experimentelle Studien, die zeigen, dass Menschen unter bestimmten Bedingungen wieder ein biphasisches Schlafschema ausbilden. So reduzierte das Team von Thomas Wehr am nationalen Institut für psychische Gesundheit der USA bei Versuchspersonen die Beleuchtungszeit auf maximal zehn Stunden täglich. Nach etwa drei Wochen wurde ihr Schlaf biphasisch.