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Carsten Welsch ist Professor an der Universität Liverpool und Wissenschaftler am CERN. Dort erforscht er Antimaterie.

MDR FERNSEHEN Mi 13.03.2024 09:59Uhr 20:30 min

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Physik Der Fall des Anti-Apfels: CERN-Forscher Carsten Welsch über Antimaterie

02. April 2024, 15:17 Uhr

Antimaterie ist schwierig zu erforschen, weil sie so gut wie nie natürlich vorkommt. Und wenn doch, dann trifft sie direkt auf Materie und beide löschen sich gegenseitig aus. Am Forschungszentrum CERN wird Antimaterie künstlich erzeugt. Für präzise Messungen dürfen die Antiteilchen nicht zu schnell sein. Jetzt ist es dort gelungen, ein System aus Materie und Antimaterie herunter zu kühlen und dadurch zu bremsen. MDR Wissen hat mit Carsten Welsch über diesen Durchbruch gesprochen.

PS steht nicht nur für Pferdestärke, sondern auch für Positronium. Das ist ein sogenanntes exotisches Atom, was aus Materie und Antimaterie besteht. Genauer gesagt bilden ein Elektron und sein Antimaterie-Gegenstück, das Positron, zusammen Positronium. Materie ist grundsätzlich alles, was eine Masse hat. Antimaterie hat auch eine Masse, aber unterschiedet sich von Materie in anderen Eigenschaften wie beispielsweise der elektrischen Ladung.

Carsten Welsch ist Professor an der Universität Liverpool und Wissenschaftler am CERN. Dort erforscht er Antimaterie. Mit dem AEgIS-Experiment wollen die Forschenden vor allem herausfinden, ob sich Antimaterie im Schwerefeld der Erde anders verhält als Materie. AEgIS steht für „Antimaterie-Experiment: Gravitation, Interferometrie, Spektroskopie“. Dazu erzeugen Welsch und sein Team Positronium. Positronium ist allerdings sehr kurzlebig. Es besteht in der Regel nur für weniger als 200 Nanosekunden. Eine Nanosekunde ist eine milliardstel Sekunde.

Ein Porträtfoto von Professor Carsten Welsch.
Carsten Welsch vom Kernforschungszentrum CERN. Bildrechte: Quasar Group

Frage: Kurz nachdem Positronium entdeckt, beziehungsweise nachgewiesen worden ist gab es 1934 einen Artikel mit dem Titel „Möglichkeit neuer Elemente und ihre Bedeutung für die Astrophysik“. Damals ging es vor allem um die Frage, ob in Sternen Positronium oder auch Antimaterie vorkommt. Heute gehen wir davon aus, dass dem nicht so ist, weil Antimaterie und Materie sich ab und zu treffen, annihilieren und dabei Gammastrahlen produzieren würden, die wir nicht beobachten. Was hat Positronium heute, 90 Jahre später, für eine Bedeutung?

Carsten Welsch: Wir wollen ganz kleine Unterschiede zwischen Materie und Antimaterie finden. Dabei vergleichen wir die einfachsten Atome. Das sind Wasserstoff und Antiwasserstoff. Positronium ist für uns vor allem ein Zwischenschritt, um Antiwasserstoff zu erzeugen.

Es gibt verschiedene Arten, ein Antiproton und ein Positron zusammenzubringen. Bei AEgIS haben wir Antiprotonen in einer Falle und bringen diese dann mit Positronium zusammen. Dabei wird das Positron des Positroniums ballistisch auf das Antiproton übertragen. So erzeugen wir einen Strahl aus Antiwasserstoffatomen. Und den brauchen wir, um ganz präzise Messungen dazu zu machen, wie sich das Schwerefeld der Erde auf Antiwasserstoff auswirkt.

Positronium ist allerdings auch so ein interessantes System, weil es ganz elementar und grundlegend ist. Elektron und Positron sind punktförmige Teilchen und damit lässt sich Positronium quantenmechanischen hervorragend beschreiben. Es eignet sich daher sehr gut, um Präzisionsexperimente auszuführen und diese dann mit theoretischen Vorhersagen zu vergleichen. Bisher gab es allerdings das Problem, dass sich Positronium nicht kühlen ließ.

Warum muss Positronium gekühlt werden?

Schon bei Raumtemperatur, bewegen sich die Teilchen viel zu viel. Das heißt wir können nicht genau genug messen. Die Ergebnisse werden immer dadurch verfälscht, dass die Teilchen zu heiß sind.

In ihrer aktuellen Veröffentlichung ist es gelungen, Positronium von etwa 100 Grad Celsius auf minus 100 Grad Celsius zu kühlen. Reicht das oder müsste das Positronium eigentlich noch weiter gekühlt werden?

Je kälter, desto besser. Das stimmt auf jeden Fall. Wir möchten die Temperatur in der Zukunft noch weiter nach unten bringen. Denn je kälter, desto ruhiger das Positronium, desto genauer die Messungen.

Bei „kühlen“ denken wir normalerweise an einen Kühlschrank, vielleicht noch an flüssigen Stickstoff. Sie haben für das Positronium aber das sogenannte Laser-Cooling verwendet. Wie funktioniert das?

Für das Laser-Cooling werden drei verschiedene Laser genutzt. Einer kühlt das Positronium und die anderen beiden analysieren das Positronium während des Verfahrens.
Für das Laser-Cooling werden drei verschiedene Laser genutzt. Einer kühlt das Positronium und die anderen beiden analysieren das Positronium während des Verfahrens. Bildrechte: CERN/AEgIS

Das ist in der Tat etwas schwieriger als der Kühlschrank zu Hause. Im Wesentlichen nutzen wir atomare Energie-Übergänge. Wenn ich Licht auf ein Teilchen schieße und das die richtige Wellenlänge hat, kann ich es auf ein höheres Energieniveau anheben. Da verbleibt es nicht sehr lange, sondern es fällt zurück in seinen Ursprungszustand und sendet dabei Strahlung, also Energie, aus. Wenn ich das Laserlicht immer aus der gleichen Richtung kommen lasse, die Energie aber in alle Richtungen ausgesandt wird, erziele ich insgesamt eine kühlende Wirkung.

Schon vor über 10 Jahren ist es am CERN gelungen, Antiwasserstoff für über 16 Minuten einzufangen beziehungsweise zu speichern. Warum geht das bei Positronium (noch) nicht?

Die Lebensdauer von Positronium ist mit weniger als 200 Nanosekunden leider sehr kurz. Das liegt daran, dass das Positron und das Elektron im Positronium sich erst kurz umeinander herum bewegen, sich dann aber immer näher kommen und schließlich annihilieren, das heißt in reine Energie umgesetzt werden.

Letztes Jahr gab es ja schon mal die Schlagzeile, dass Antimaterie auch nach unten fällt. Welche Fragen sind noch konkret offen, wenn es um das Schwerefeld und Wasserstoff geht?

Blick auf eine technische Anlage
Im AEgIS-Aufbau am CERN wird erst Positronium und dann Antiwasserstoff hergestellt. Bildrechte: CERN/AEgIS

Das Experiment im vergangenen Jahr hat im Wesentlichen geschaut, ob das Vorzeichen der gravitativen Wirkung für Antimaterie und Materie das Gleiche ist. Also fällt Newton‘s Anti-Apfel auch nach unten oder fliegt er vielleicht im Schwerefeld der Erde nach oben? Diese Frage ist durch das ALPHA Experiment beantwortet worden. Ob der Anti-Apfel aber genauso fällt wie ein normaler Apfel, das ist eine Frage, die sich sehr, sehr viel schwieriger beantworten lässt. Und das ist etwas, was bisher auch experimentell überhaupt noch nicht untersucht werden konnte.

Gibt es vielleicht minimale Unterschiede in der Wechselwirkung im Gravitationsfeld? Und können uns diese Unterschiede vielleicht helfen, zu verstehen, warum es eine Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie im Universum gibt? Warum gibt es zumindest in unserem Teil des Universums nur Materie und so gut wie keine Antimaterie? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir herausfinden, wo unsere derzeitigen Theorien falsch sind. Wir wissen, dass sie falsch sind, denn wir Menschen existieren zum Beispiel und sind noch nicht mit Antimaterie annihiliert – zum Glück! Diese Frage ist etwas, was Physikerinnen und Physiker seit langem antreibt.

Erschreckenderweise ist es bisher so, dass alle experimentellen Untersuchungen gezeigt haben, dass unsere Theorien ohne Ausnahme richtig sind. Das heißt, wir suchen am CERN kleinste Unterschiede, die uns einen Hinweis darauf geben können, wo diese Symmetrie vielleicht nicht perfekt ist. Wir versuchen deswegen herauszufinden, ob es im Schwerefeld der Erde Unterschiede gibt. Aber nicht nur dort. Andere Kollaborationen untersuchen, ob vielleicht die Übergänge zwischen Energieniveaus in Antimaterie-Systemen andere Wellenlängen haben als in Materie-Systemen. Bisher hat da aber niemand trotz sehr genauer Messungen auch nur den kleinsten Unterschied gefunden. Das ist weiterhin eines der ganz großen Rätsel der modernen Physik.

Denken Sie, dass wir dieses Rätsel in unserer Lebenszeit noch lösen können?

Ich denke, wenn wir genau messen, dann können wir zumindest ausschließen, ob es Unterschiede in den zentralen Charakteristiken eines Antimaterie-Systems gibt oder nicht. Dafür brauchen wir sehr, sehr genaue Messungen. Am CERN haben wir dazu eine ideale Umgebung, um erstens Antimaterie zu erzeugen und sie dann in einem weiteren Schritt ganz genau zu studieren.

Das ist nicht der einzige Weg, wie man sich dieser Fragestellung nähern kann. Es gibt auch Hochenergie Teilchenphysik-Experimente, die dann aber andere Teilchensorten bei komplett anderen Energien untersuchen. Im Kern gehen diese Experimente aber auch der Frage nach, warum die Welt um uns herum vielleicht anders tickt, als wir es momentan verstehen.

Wann wussten Sie, dass Sie gerne zu Antimaterie forschen möchten?

Das war schon relativ früh in meinem Studium. Ich weiß noch sehr genau, als im Jahr 1989 am CERN erstmalig tatsächliche Antiteilchen, also Antiwasserstoff, hergestellt wurden. Das war damals eine Schlagzeile, die um die Welt ging.

Plötzlich hatte man Elemente aus Science-Fiction auf die Erde geholt und es war möglich, Antimaterie zu vermessen und zu untersuchen, ob es Unterschiede zwischen unserer Welt und der Antimaterie-Welt gibt. Unsere Kollaboration und viele andere haben das über die letzten Jahrzehnte versucht und bisher haben wir keinerlei Unterschiede festgestellt. Das heißt, dass diese Suche weitergehen wird und muss.

Ich bin mir sicher, dass mich dass noch bis zum Ende meiner Karriere auf Trab halten wird. Am CERN gab es gerade erst ein Upgrade der zur Erzeugung und Bereitstellung von Antiprotonen nötigen Beschleuniger-Infrastruktur. Dort wurde ein neuer Speicherring in Betrieb genommen, , der Antiteilchen nicht beschleunigt, sondern entschleunigt, also langsamer macht. Meine Gruppe hat zum Design dieser Anlage wesentliche Beiträge geliefert. Beim Abbremsen des Strahls wird dieser auch gekühlt und so die Qualität erhöht. Dieser neue Ring, ELENA, wird uns erlauben Experimente in der Zukunft noch besser durchführen zu können. Ich bin schon sehr gespannt, wie diese Messungen ausgehen werden!

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