Ein nostalgisches Radio von Uwe Freytag aus Masserberg.
Ein nostalgisches Radio von Uwe Freytag aus Masserberg. Bildrechte: Uwe Freytag

Wissen-News Nostalgie zum Jahreswechsel: War früher wirklich alles besser?

29. Dezember 2023, 16:03 Uhr

Objektiv betrachtet war früher nicht alles besser. Doch das Gefühl der Nostalgie gibt Sicherheit. Es birgt aber auch Gefahren. Zudem ist die Nostalgie längst wieder in der Politik angekommen.

Das Jahresende ist die Zeit der Rückblicke. Und nicht selten beschleicht die Menschen ein Gefühl der Nostalgie. Dann neigen wir dazu, die Vergangenheit, die eigene ebenso wie die der Gesellschaft, zu verklären – gerade auch in einer Welt im gefühlten Dauerkrisenmodus. Aber was ist tatsächlich dran? Und birgt dieses Gefühl nicht auch irgendwelche Gefahren? 

Was ist überhaupt Nostalgie? Historiker Tobias Becker von der Freien Universität in Berlin definiert sie damit, "dass man sich nach etwas aus der Vergangenheit sehnt, das man vermisst". Nostalgie hat nach seiner Definition jedoch auch immer einen schmerzhaften Beigeschmack: "Wir erinnern uns an etwas Schönes zurück, aber wir wissen, dass der Moment vorbei ist und wir ihn nicht wiederholen können."

Besonders in Zeiten der Umbrüche schwelgen die Menschen in Nostalgie, erklärt der Kölner Medienpsychologe Tim Wulf. Manchmal sind es private Veränderungen (wie zum Beispiel im Job) oder gesellschaftliche Umbrüche wie bei der Corona-Pandemie. Und das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes bedeuten: "Nostalgie kann eine psychologische Ressource sein", so Wulf. Wenn man etwa eine Prüfung bestehen müsse, dann könne man sich an Momente zurückerinnern, in denen man etwas Ähnliches bewältigt hat.

Nostalgie in der Politik – die falschen Versprechungen

Doch es ist nur ein Gefühl, quasi die gefühlte Vergangenheit. Objektiv betrachtet ist es anders, weiß auch der Germanist Stephan Pabst von der Universität Halle, der 2023 eine Tagung organisiert hat, bei der sich Forschende verschiedener Fachrichtungen kritisch mit Nostalgie auseinandergesetzt haben. "Letztlich weiß man immer, wenn man nostalgisch ist, dass es nie so war wie das, wonach man sich da gerade sehnt – dass das natürlich eine imaginierte Vergangenheit ist."

Und dieses Gefühl ist laut Pabst auch in der Politik zu spüren – und das seit 20 oder 30 Jahren. Ein markanter Slogan dafür sei "Make America great again", mit dem der ehemalige US-Präsident Donald Trump seinen Wahlkampf 2015/2016 gewonnen hat. 

Donald Trump
Ein Bild vom ehemaligen US-Präsident Donald Trump. Made America – doch nicht so – great again. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire

Und wenn Sie jetzt ehrlich sind: Gab es zu seiner Amtszeit nicht mehr Skandale? Und es ist mit Joe Biden nicht zumindest medial etwas ruhiger geworden? Trump wollte mit seinem Slogan an eine vergangene und heile Welt erinnern, an "etwas Vergangenes, das es nie gab und von dem niemand weiß, was das eigentlich gewesen sein soll", erörtert Pabst. 

Die abgeschlossene Vergangenheit gibt Sicherheit

Die gleichen Mechanismen versuchen populistische Politiker in Deutschland zu wecken, weiß Wulf, der an der LMU in München den Zusammenhang zwischen Nostalgie und politischen Botschaften am Beispiel der AfD untersucht hat. "Da konnten wir sehen, dass die populistische Kommunikation sehr viele nostalgische Elemente hat." In einer Studie fanden Wulf und sein Team heraus, dass Populismus ohne die Nostalgie deutlich schlechter abschneidet: "Die Nostalgie wirkt wie so ein kleiner Zuckerguss, der sich da drum legt."

Becker hat dafür eine Erklärung, denn bei der Vergangenheit kennen wir zumindest das Ergebnis: "In unserer eigenen Gegenwart wissen wir ja nie, wie es ausgeht. Wir haben immer das Gefühl, wir leben in einer Krisenzeit."

pk, mit dpa

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