Luftverschmutzung Fördert Feinstaub Antibiotika-Resistenzen?

10. August 2023, 09:51 Uhr

Eine neue Studie legt nahe, dass Feinstaub beim Menschen Antibiotikaresistenzen fördern könnte - oder es zumindest eine Korrelation zwischen Feinstaubbelastung und klinischer Antibiotikaresistenz gibt. Demnach könnten Feinstaub-Partikel nämlich Resistenzgene und Bakterien über die Luft übertragen. Doch Fachleute sind sich uneinig, einige üben scharfe Kritik. Von den amerikanischen Kontinenten wurden indes eine halbe Million Todesfälle aufgrund von Antibiotikaresistenzen gemeldet.

Ob über die Nahrung, das Wasser oder den Kontakt mit Tieren: antibiotikaresistente Bakterien und Antibiotikaresistenz-Gene können über verschiedene Weg zu uns Menschen gelangen. Eine weitere Möglichkeit, die womöglich bisher nicht genug Beachtung fand, ist die Luft. Mit der Hilfe von Aerosolen oder auch Feinstaubpartikeln können etwa solche mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern (PM2.5) übertragen werden.

Um herauszufinden, welchen Beitrag diese winzigen Feinstaub-Partikel an der globalen Antibiotikaresistenz haben könnten, untersuchten Forschende aus China und Großbritannien Daten aus 116 Ländern. Daraus haben sie Antibiotikaresistenzmuster erstellt, die neun bakterielle Krankheitserreger und 43 Arten Antibiotika abdecken. In die Analyse seien außerdem Daten zur Nutzung von Antibiotika, Luftverschmutzung und Klima, aber etwa auch zu Gesundheitsausgaben und Bildung mit ein, schreibt das Forschungsteam.

Weniger Luftverschmutzung - weniger Todesfälle?

Das Ergebnis: Luftverschmutzung durch Feinstaub korreliert weltweit mit einer erhöhten Antibiotikaresistenz. In einigen Regionen könnte es sogar ein treibender Faktor sein, so die Forschenden. Die Analyse zeige, dass es bei den meisten antibiotikaresistenten Bakterien signifikante Korrelationen zwischen PM2.5 und Antibiotikaresistenzen gebe. Weltweit könnte der Untersuchung zufolge ein Anstieg um zehn Prozent bei der jährlichen Partikel-Konzentration zu einem 1,1-prozentigen Anstieg bei der Antibiotikaresistenz führen. Außerdem drohten 43.000 vorzeitige Todesfälle. Allerdings unterscheiden sich die Ergebnisse je nach Region und Bakterium erheblich.

Korrelation oder Kausalität? Korrelation:
Eine Korrelation beschreibt einen Zusammenhang zwischen zwei Variablen. Bei einer positiven Korrelation sind zum Beispiel bei höheren Werten für A auch höhere Werte für B zu beobachten. Das sagt allerdings nichts darüber aus, ob und wie sich die Variablen beeinflussen. Der Schluss, dass B höher ist, weil A einen höheren Wert hatte, ist nicht zulässig. Das heißt, das eine steht in Beziehung zum anderen, bedingt es aber nicht zwingend.

Kausalität:
Bei der Kausalität besteht zwischen den Variablen ein eindeutiger Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Das hieße, dass B höhere Werte hat, weil A höher ist. Das eine verursacht das andere. Kausalitäten sind auch mit wissenschaftlichen Methoden oft schwer nachzuweisen.

Das Forschungsteam hat in der Untersuchung mehrere Szenarien modelliert, die eine zukünftige Entwicklung zeigen sollen. Demnach könnten die Antibiotikaresistenzen bis zum Jahr 2050 weltweit um 17 Prozent zunehmen, wenn keine Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung ergriffen würden. Sollte sich die Luftqualität jedoch verbessern und der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegte Feinstaub-Richtwert erreicht werden, könnten die Antibiotikaresistenzen bis 2050 um schätzungsweise 16,8 Prozent reduziert werden, schreiben die Forschenden. Außerdem würden 23,4 Prozent der vorzeitigen Todesfälle aufgrund von Antibiotikaresistenzen vermieden werden, heißt es weiter.

Kritik: Schlüsse so nicht zulässig?

In der Fachwelt wird die Feinstaub-Antibiotikaresistenz-Korrelation des Forschungsteams bereits kontrovers diskutiert und teils heftig kritisiert. Das Urteil des Feinstaub-Forschers Nino Künzli, emeritierter Professor des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts Basel, fällt vernichtend aus: "Die Zahlen der aktuellen Studie hätten nicht publiziert werden sollen", sagt er. So seien offenbar falsche Berechnungen gemacht worden. Die Studie behaupte demnach, dass Antibiotikaresistenz durch die Feinstaubbelastung jährlich 0,48 Millionen vorzeitige Todesfälle verursache. "Das wären stattliche 37,8 Prozent der 1,27 Millionen Todesfälle, die derzeit den Antibiotikaresistenzen angelastet werden", sagt Künzli. "Wer mir nach 35 Jahren Luftverschmutzungsforschung weismachen will, dass 34 Prozent aller Todesfälle wegen einer Antibiotikaresistenz kausal der Feinstaubbelastung anzulasten seien, muss sich die Frage nach der ‚hidden agenda‘ gefallen lassen."

Auch Tim Eckmanns vom Robert Koch-Institut stimmen die Berechnungen eher skeptisch. Prinzipiell finde er es zwar interessant, den Anteil von Feinstaub an Antibiotikaresistenz und deren Folgen weltweit zu quantifizieren, "die Modelle jedoch sind nicht genau nachvollziehbar", so Eckmanns. "Der Anteil, den der Feinstaub haben soll - zehn Prozent im Mittel –, erscheint zu hoch." Die Szenarien erfolgten auf Basis unsicherer Zahlen und seien daher auch sehr unsicher, lautet die Bilanz des RKI-Forschers.

Der Zusammenhang zwischen der Zunahme der Storchpopulationen und der Geburtenrate lässt hier grüßen.

Nino Künzli, Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut

Künzli zufolge fehlt den Berechnungen die wissenschaftliche Basis. Es müsse zunächst der kausale Zusammenhang für die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen über die Einatmung von Feinstäuben wissenschaftlich als mindestens "wahrscheinlich" gesichert sein, bevor man "solch kühne Zahlenakrobatik" verkünde. Doch in der Literatur gebe es dazu bisher keine Evidenz. Die Forschenden hätten sich deshalb eines "Tricks" bedient und unzulässig Werte miteinander in Zusammenhang gebracht.

Doch ganz so drastisch sehen das nicht alle Fachleute. Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien etwa meint, dass die biologische Plausibilität der Ergebnisse auf der Hand liege. Es sei bereits gezeigt worden, dass die Partikel und auch noch viel kleinere Staubteilchen Bakterien und Fragmente von bakterieller DNA inklusive Antibiotikaresistenz-Gene enthielten, sagt er. "Diese stammen aus der Massentierhaltung, aber auch aus anderen Quellen, werden an Feinpartikel absorbiert und verbreiten sich durch Windverfrachtung", erläutert Hutter. So würden sie von Menschen und Tieren inhaliert und könnten einerseits Infektionen auslösen, andererseits die in der Schleimhaut siedelnden Bakterien mit den Resistenzgenen "versorgen". Außerdem würden die Feinstaubpartikel die Zellmembran durchlässiger machen und so die Aufnahme der Resistenzgene erleichtern.

Dass der Mensch über die Atemluft mit resistenten Mikroorganismen beladene Feinstaubpartikel aufnimmt, hält auch Harald Seifert vom Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene der Universität zu Köln für plausibel. Eine höhere Feinstaubbelastung führe dann natürlich auch zu einer höheren Aufnahme resistenter Bakterien. Mehr als das, sei aber nicht nachgewiesen, so Seifert: "Der Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und der Zunahme von Antibiotikaresistenzen ist allerdings lediglich eine statistische Korrelation, ob hier auch tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang besteht, ist bisher unklar."

Der Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie am Helmholtz Zentrum München, Martin Göttlicher, sieht noch ein weiteres Problem bei der vorliegenden Studie. "Die logische Lücke ist, implizit die Gesamtmenge PM2.5 mit Antibiotikaresistenzen tragendem Feinstaub PM2.5 gleichzusetzen", sagt er. Denn in unserer Umwelt, stammten diese Partikel vor allem aus Verbrennungsprozessen im Straßenverkehr. "Aus diesen Quellen kommen offensichtlich keine Antibiotikaresistenzen her", erklärt Göttlicher. "In anderen Regionen der Welt mit anderem Umgang mit Abwässern und Abluft aus Haushalt, Viehzucht, Krankenhaus und Landwirtschaft mag das anders sein."

Plädoyer für saubere Luft

Doch der Münchner Forscher Göttlicher sieht auch Positives in der Untersuchung. Die Grundaussage der Studie, dass eine erhebliche Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen in der ganzen Biosphäre einschließlich Menschen und dessen Infektionskrankheiten stattfinden könne, wenn man sich in Trink- und Abwassermanagement, Landwirtschaft, Viehzucht und dem Management von Klinikabfällen nicht sorgfältig um die Begrenzung des Eintrags von Mikrobiota kümmere, halte er für durchaus plausibel.

Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien rät dazu, die Korrelationen ernst zu nehmen "und nicht gleich unter Hinweisen auf die in der Publikation angeführten Limitationen mit ‚da ist ja nichts bewiesen‘ zum Alltag überzugehen". Denn es sei ja hinlänglich erwiesen, dass die Feinstaub-Belastung Auswirkungen auf Sterblichkeit und Krankheitslast habe. "Und wir wissen seit langem, dass die Grenzwerte viel zu hoch sind", sagt Hutter. Es sei höchste Zeit, die deutlich strengeren Leitlinien der WHO einzuhalten und die Grenzwerte abzusenken. Wenn das dann noch die Zunahme der Antibiotikaresistenzen verlangsame, so der Kölner Seifert, "ist das ein willkommener Nebeneffekt."

Tausende Todesfälle: Krise im Gesundheitswesen

Antiobiotikaresistenzen sind ein wachsendes Problem für das öffentliche Gesundheitswesen. Das unterstreichen auch neue Zahlen aus Nord-, Mittel- und Südamerika. In den 35 Ländern der WHO-Region Amerika sind demnach im Jahr 2019 mehr als eine halbe Million Todesfälle mit bakterieller antimikrobieller Resistenz (AMR) in Verbindung gebracht worden.

Die Studie schätzt, dass mehr als zwei von fünf Todesfällen, bei denen eine Infektion vorhanden war, mit der Resistenz in Zusammenhang standen. Bei 141.000 Menschen gilt die AMR als die Todesursache, bei anderen ist unklar, ob auch ein anderer Faktor für den Tod der Menschen verantwortlich war. Die Menschen litten der Studie zufolge vor allem an vier Infektionssymptomen: bakterielle Atemwegsinfektionen, Blutkreislaufinfektionen, Infektionen im Bauchraum und Harnwegsinfektionen.

Diese Gesundheitskrise könnte unkontrollierbar werden.

Lucien Swetschinski, IHME

Die fünf Länder mit den höchsten Sterblichkeitsraten waren der Untersuchung zufolge Haiti, Bolivien, Guatemala, Guyana und Honduras. Die niedrigste Sterblichkeitsrate wies dagegen Kanada auf, gefolgt von den USA und Kolumbien. Der Co-Autor der Studie, Lucien Swetschinski vom Institute for Health Metrics and Evaluation, spricht von einer Gesundheitskrise. "Bakterien haben Resistenzen gegen die Medikamente entwickelt, die wir erfunden haben, um sie abzutöten, und stattdessen töten diese Krankheitserreger Menschen mit einer höheren Rate als HIV/AIDS oder Malaria". Wenn politische Entscheidungsträger, Kliniker, Wissenschaftler und sogar die breite Öffentlichkeit jetzt keine neuen Maßnahmen umsetzten, werde sich diese globale Gesundheitskrise verschlimmern, so der Forscher.

Links zu den Studien

Zhou Z et al.: Association between particulate matter (PM)2.5 air pollution and clinical antibiotic resistance: a global analysis. In: The Lancet Planetary Health, 2023. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S2542-5196(23)00135-3/

Antimicrobial Resistance Collaborators: The burden of antimicrobial resistance in the Americas in 2019: a cross-country systematic analysis. In: The Lancet Regional Health - Americas, 2023. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.lana.2023.100561

(kie/SMC)