Pflanzengenetik am IPK Gatersleben Roggen-Roll im Genlabor: Das Getreide kann nur noch besser werden!
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01. November 2021, 11:47 Uhr
Wer viel reist, der bemerkt recht schnell, dass Roggen als Kulturpflanze fast nur in Nordeuropa verbreitet ist. Selbst schon in Frankreich ist die Liebe zum Roggenbrot deutlich eingeschränkt. Und fliegt man gar auf fremde Kontinente, so ist die Brotkultur dort für so manchen Schwarzbrot-Fan eine echte Umstellung. Und weil Roggen keine solche weltweite Bedeutung hat wie Weizen oder Mais, hat es also eine Weile gedauert, bis das gesamte Roggengenom entschlüsselt wurde. Im Frühjahr war es soweit – dank Forschung aus Sachsen-Anhalt. Eine gute Meldung für alle – auch für jene, die lieber Weißbrot essen, denn der Rogen hat Eigenschaften, die anderen Getreidearten fehlen.
Genomzentrum steht auf einem Schild vor Haus 7 auf dem Gelände des Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben. Doch betritt man das Gebäude, dann wird schnell klar, worum es hier genau geht, denn in der Ecke findet sich ein Regal mit schlammigen Gummistiefeln. Hier werden offenbar nicht nur Gene gezählt, sondern auch richtige Pflanzen angebaut. Will man zu Professor Nils Stein, muss man allerdings keine Gummistiefel anziehen. Der Biologe und Pflanzengenetiker leitet die Arbeitsgruppe zur Sequenzierung des Roggengenoms. Damit liegt nun die Erbinformation auch dieser Getreideart komplett vor.
"Eine Genomsequenzierung gibt einen Zugriff über die gesamte Erbinformation, die der Roggen braucht, damit die Pflanze alle Funktionen erfüllen kann", so Nils Stein. "In so einem Genom sind 30- bis 40.000 Abschnitte, die sogenannten Gene. Es sind die Bausteine, die benötigt werden, um wesentliche Funktionen in einer Zelle oder in einem Organismus zu übernehmen."
Einfach irre viele Gene
Der Ort, an dem dieser tiefe Einblick möglich wurde, ist unspektakulär. Die Sequenzierer sehen aus wie Drucker in einem Schreibbüro, sind jedoch in der Lage, große Datenmengen schnell zu verarbeiten, was auch notwendig war, denn immerhin hat das Roggen-Genom 7,9 Milliarden Basenpaare. Der Mensch kommt zum Vergleich mit 3,2 Milliarden Basenpaaren aus. Warum das Genom von Getreidearten so groß ist, ist allerdings wissenschaftlich noch nicht geklärt. Um das Roggengenom überhaupt zu entschlüsseln, wurde es in Teile geschnitten und dann, wie in einem Puzzle, nach der Entschlüsselung wieder zusammengesetzt. Doch die eigentliche Arbeit beginnt erst, denn jetzt geht es um die Frage, welcher Abschnitt des Genoms für welche Eigenschaft zuständig ist. Da der Roggen ein starkes Wurzelwerk hat, kann er zum Beispiel besser mit Trockenheit umgehen als Weizen oder Gerste. Jetzt, so Nils Stein, interessiert die Forschenden, wie diese Eigenschaft genetisch gesteuert wird.
Mit Hilfe dieser Genomsequenz können so Fragen gezielter bearbeitet werden: "Also welche Faktoren im Roggen sind dafür verantwortlich, dass dieses Wurzelwachstum so stark ist? Das heißt, wir klären erst mal die biologischen Abläufe. Und wenn wir das verstanden haben, dann können wir das gezielt in der Züchtung nutzen", erklärt Nils Stein.
Kulturpflanze – es braucht Erfahrung und Geduld
Das Ziel wäre hier, den Wurzelwuchs des Roggens auch für Weizen oder Gerste zu nutzen. Der Mensch züchtet seit 12.000 Jahren Pflanzen. Was man dazu braucht, sind bislang zwei Dinge: Erfahrung und Geduld. Denn das Ergebnis ist erst sichtbar, wenn die nächste Pflanzengeneration gewachsen ist. Mit der Gensequenzierung kann dieser Prozess abgekürzt werden, sofern man die Funktion der Genabschnitte kennt und sie markiert. Im Fachdeutsch wird von molekularen Markern gesprochen:
"Mit den molekularen Markern kann ich bereits im Keimlings-Stadium DNA aus einer Pflanze isolieren. Dazu muss ich die Pflanze nicht zerstören, sondern nur ein Blatt ernten", so Nils Stein. "Dann kann ich mit molekularen Markern abfragen, welche genetischen Eigenschaften besitzt diese Pflanze und will ich mit dieser Pflanze weiter kreuzen."
Klimawandel verlangt schnelle Zuchterfolge
Dass eine bessere Trockenresistenz wichtig für Kulturpflanzen wird, ist mit Blick auf den Klimawandel naheliegend. Doch es gibt eine weitere Problematik. So wie der Mensch ja derzeit die Folgen einer Pandemie spürt, so sind auch Nutzpflanzen weltweit schädlichen Organismen ausgesetzt. Für diese Fälle brauche es schnelle Zuchterfolge.
"Gerade pilzliche Erkrankungen werden durch Sporen über Wind verbreitet. Man sieht richtig, wie bestimmte Pilze sich im Jahresrhythmus in bestimmte Richtungen global ausbreiten", erklärt Nils Stein. "Man hat dann zwar ein bisschen Vorlauf, es gibt für Getreide-Pilzerkrankung auch ein Monitoring, dass man also Pilze, die ja plötzlich große Ernteeinbußen erwarten lassen, frühzeitig erkennt." Züchterinnen und Züchter hätten dann aber nur wenig Zeit, darauf zu reagieren.
Züchtung heißt nicht Genmanipulation
Auch für diese Fälle hilft es, die biologischen Abläufe für mögliche Resistenzen genau zu verstehen, um dieses Wissen dann für die Züchtung effektiv nutzen zu können. Es geht im Übrigen bei all diesen Forschungen nicht um die gentechnische Veränderung des Erbguts, sondern nur um die gezielte Züchtung bestimmter Merkmale der Pflanze. Und weil die Forschung mit öffentlichen Geldern finanziert wurde, sind die Ergebnisse für alle zugänglich, so dass nun weltweit weiter an dem Genom geforscht werden kann.