Strohabelln auf dem Feld 4 min
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Energiewende Biogas aus Getreidestroh: Kein Gold, aber viel Potenzial

29. November 2024, 17:58 Uhr

In der herbstlichen Dunkelflaute Anfang November wurde wieder deutlich: Wind und Sonne liefern uns nicht immer Energie. Es braucht zusätzlich noch weitere Energiequellen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Biogas aus Reststoffen der Landwirtschaft wie etwa Stroh könnten diese Rolle kurzfristig einnehmen, sagen Forschende. Doch nicht alle sehen das so optimistisch. Wie viel Potenzial steckt also im Stroh-Biogas?

MDR AKTUELL Autorin Kristin Kielon
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Biogasanlagen kennen wohl fast alle, die schon einmal durch ländliche Regionen Deutschlands gefahren sind: große, kreisrunde Anlagen mit kuppelartigen Dächern. Hier wird seit Jahren Strom und Wärme aus nachwachsenden Rohstoffen produziert – allen voran aus eigens dafür angebautem Mais. Doch das Problem ist naheliegend: Der Anbau von Maispflanzen extra für die Energieproduktion verbraucht wertvolle Flächen. Aber was ist, wenn man nutzt, was bereits da ist? Die Rede ist von einem Restprodukt der Landwirtschaft – dem Stroh.

Stroh-Biogas soll wirtschaftlich werden

Aber wie funktioniert das eigentlich mit diesem Biogas? Das Prinzip entspricht in etwa dem, was im Magen einer Kuh passiert: Biomasse (Substrat) wird in den luftdichten Tanks – sogenannten Fermentern – durch Bakterien vergärt. Dabei entsteht unter Ausschluss von Sauerstoff ein Gas, das sich in der Kuppel des Fermenters sammelt. Ist diese wiederum an ein Blockheizkraftwerk angeschlossen, kann aus diesem Biogas Strom und Wärme erzeugt werden. Doch das Gas kann noch weiter zu Biomethan aufbereitet werden, das die gleiche Qualität wie fossiles Erdgas hat.

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Am Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ) in Leipzig wird mit weiteren Projektpartnern daran geforscht, für diesen Prozess das zu nutzen, was nach der Getreideernte auf den Feldern übrigbleibt. "Stroh ist einfach in großen Mengen vorhanden und Stroh hat sehr großes Potenzial zur Erzeugung von Biogas", sagt Walter Stinner. Er erklärt, dass Stroh sogar den Vorteil habe, dass die Reste des Gärprozesses anschließend wieder als nährstoffreicher Dünger auf die Felder ausgebracht werden könnten. So werde nicht nur Energie gewonnen, sondern auch der landwirtschaftliche Stoffkreislauf geschlossen und die Fruchtbarkeit des Bodens erhalten. Neben Mist und Gülle sieht er im Stroh das größte Potential für die Energieerzeugung.

Getreide wächst neben den Gärbehältern in der Biogasanlage Grabsleben der GraNott Gas GmbH.
Mit etwas mehr Aufwand ließen sich die Reste der Getreideernte wirtschaftlich sinnvoll zu Biogas vergären. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Doch um Stroh für die Biogasanlage aufzubereiten ist etwas Aufwand nötig. Deshalb untersuchen die Fachleute, wie es kostengünstig aufbereitet werden kann, erläutert Stinner. Das Problem: "Wenn wir Stroh einfach so in eine Biogasanlage geben, dann wird das aufschwemmen und Rührwerk und Pumpen blockieren." Durch die sogenannte Silierung quillt das Stroh bereits vorher auf und dieser Effekt sei weniger stark. Außerdem mischen die Forschenden spezielle Enzyme für eine bessere und schnellere Wirkung bei. Technisch bekäme das Forschungsteam das auch schon hin, ergänzt Stinner. Aber: "Die Kostensenkung ist der entscheidende Punkt. Das heißt, das muss konkurrenzfähig sein."

Wir wollen keine Verfahren für ein Wolkenkuckucksheim entwickeln. Wir wollen Verfahren entwickeln, die im Hier und Jetzt funktionieren, die also auch bezahlbar sind für die Landwirte, die das in ihren Biogasanlagen umsetzen.

Prof. Dr. Walter Stinner, Deutsches Biomasseforschungszentrum

Dieses Ziel sei auch absehbar, sagt der DBFZ-Forscher. "Die Perspektive ist auf jeden Fall so, dass es machbar ist." Mit dem Blick auf die Zukunft schätzt Stinner, dass das neue Aufbereitungsverfahren in etwa viereinhalb Jahren verfügbar sein kann. Damit sich die Technologie dann bei den Landwirten durchsetze, brauche es aber stabile Rahmenbedingungen von der Politik, die für Planungssicherheit sorgten, so der Forscher. "Es ist schwer nachvollziehbar, warum diese Technologie, die die Energiesicherheit ermöglichen und Brückentechnologie sein kann, um die Wasserstofftechnologie wirklich groß werden zu lassen, im Moment so schlecht planbare Rahmenbedingungen hat, dass wir aktuell Anlagen in zunehmendem Maße verlieren."

Eine Säule für die Versorgungssicherheit?

Walter Stinner sieht für die Energiewende großes Potential im Biogas aus Reststoffen. "Es ist der erneuerbare Energieträger, der schon heute Strom erzeugen kann, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Biogas kann die anderen erneuerbaren Energien jetzt schon so ergänzen, dass wir Versorgungssicherheit erreichen." Und dann, so der Forscher, gebe es da eben auch noch ein Potential für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft: "Dazu gehört die ausreichende Bereitstellung von Stromkapazität und Biogas ist dezentral verfügbar. Wir können mit Wasserstoff und dem Kohlendioxid aus dem Biogas wieder zusätzlich Methan machen und dieses Methan passt in unsere vorhandene Infrastruktur."

Doch da gibt es aktuell noch einen Haken: Biogas ist teurer als fossiles Erdgas. Dieses Argument lässt Forscher Stinner aber nicht gelten: "Wir haben nach dem nach dem Überfall auf die Ukraine gesehen, dass Biogas auf einmal gar keine so teurere Energiequelle war. Wir erzeugen derzeit in Deutschland eine Biogasmenge, die etwa 10-12 % des in Deutschland verbrauchten Erdgases entspricht. Das ist also gar nicht mal wenig." Nur etwa ein Zehntel dieser Biogas-Menge wird anschließend zu Biomethan weiterverarbeitet.

Das ist so wenig, weil es sich schlichtweg aktuell nicht lohnt, heißt es auf Nachfrage vom Zörbiger Biomethan-Produzenten Verbio, der bereits auf den Agrar-Reststoff Stroh setzt: "Leider sind die Rahmenbedingungen in Deutschland nicht stabil und attraktiv genug für weitere Investitionen. In Deutschland läuft nach wie vor eine Stroh-Biomethan-Anlage. Weitere Anlagen dieser Art haben wir in den USA und Indien gebaut und in Betrieb genommen. Diese Märkte bieten derzeit größeres Potenzial für unsere Technologie." Doch aus Forschungssicht muss das nicht so bleiben. Denn eigentlich, so Stinner, könnte das Biogas aus Reststoffen die preiswerten erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne ideal ergänzen: "Weil es speicherbar ist und weil es genau in die Lücken stößt. Deshalb ist es nicht mehr so problematisch, wenn das ein bisschen teurer ist. Gaskraftwerke werden auch irrsinnig teuer sein in Zukunft, weil die nur wenige Stunden im Jahr laufen. Und deswegen kommt es auf die Brennstoffkosten nicht mehr so sehr an, wenn Wind und Solar preiswert verfügbar sind und das gesamte System kostengünstig machen."

Zweifel an Verfügbarkeit und andere Interessenten

Das klingt, als könnte das Stroh-Biogas eine entscheidende Rolle in der Energiewende spielen. Doch da ist Jan Seven, Experte für Erneuerbare Energien beim Umweltbundesamt (UBA) zurückhaltend. "In den Szenarien des UBA kommt Biogas nur als Teillösung und zwar in aufbereiteter Form als Biomethan in größeren, schnell anlaufenden Gaskraftwerken vor. Dabei zweifelt der UBA-Fachmann nicht die Möglichkeiten an und betont, dass Biogas eine gute Technologie mit vielen Vorteilen sei, aber dennoch ordnet er die Potenziale deutlich zurückhaltender ein. Zum Beispiel beim Thema Wasserstoff: "Klar kann ich aus Biogas Wasserstoff machen und ich kann mit Wasserstoff mehr Biogas in Biogasanlagen produzieren. Das lässt sich alles verfahrenstechnisch sicherlich darstellen. Die Frage ist, ob es Sinn ergibt im Energiesystem."

Und dann ist da noch die Frage nach der Verfügbarkeit. Gibt es wirklich so viel Stroh, das ungenutzt als Reststoff herumliegt? "Daran, ob der Rohstoff tatsächlich in der verlässlichen Menge nachhaltig zur Verfügung steht, haben wir so unsere Zweifel." Zumal es beim Stroh bereits Konkurrenz gibt: Auch andere Branchen interessieren sich für den Reststoff, erklärt Seven: "Wir haben inzwischen Anfragen aus allen industriellen Bereichen, also von der chemischen Industrie, der Papierindustrie, der Zellstoffindustrie." Deshalb müsse man sich schon heute entscheiden, wie der Reststoff künftig am sinnvollsten genutzt werden sollte, so UBA-Experte Seven. Allerdings gebe es aus UBA-Sicht ein deutliches Argument gegen die stofflich-energetische Nutzung von Stroh: "Wenn eine langfristige stoffliche Nutzung solcher Rohstoffe möglich ist, genießt die Vorrang", sagt er. "Wenn jemand aus dem Stroh im großen Stil Dämmmaterialien machen würde, die sehr energieaufwendige fossilbasierte Stoffe ersetzen, dann wäre das Stroh noch Jahrzehnte in dieser gebundenen Form sinnvoll genutzt und ich würde den Kohlenstoff nicht gleich über eine Verbrennung wieder in die Luft pusten."

Denn natürlich entstehen auch beim Biogas Treibhausgase, wenn es verbrannt wird. Klar, der Effekt ist nicht so gravierend wie bei fossilem Gas, da die Kohlenstoffe ja zuvor in der Pflanze gebunden waren, aber klimaneutral ist das natürlich nicht. Dennoch gibt es Unterschiede: Biogas aus Reststoffen sorgt für deutlich weniger Emissionen als klassisches Biogas. Grund dafür ist vor allem, dass die Emissionen aus dem Anbau wegfallen, erklärt UBA-Experte Seven. "Die Emissionen von Biogas aus Abfall sind etwa halb so groß wie die Emissionen von Biogas, das aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird. Wir haben hier Werte von 12 bis 14 g CO2 pro Megajoule Biogas aus Abfällen und Reststoffen und die stehen Emissionen von 26 bis 29 g CO2 pro Megajoule Biogas aus Anbaubiomasse gegenüber." Die fossilen Energieträger verursachen Forscher Stinner zufolge allerdings das Fünffache an Treibhausgasemissionen im Vergleich zu Biogas.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 29. November 2024 | 18:10 Uhr

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