Zwei Kardinalvögel auf einem Kirschblütenbaum.
Dieses Rotkardinal-Pärchen profitiert vom eher beginnenden Frühling, gehört damit aber zu den Ausnahmen in der Vogelwelt, wie eine neue Studie zeigt. Bildrechte: IMAGO/Cavan Images

Ökologisches Mismatch Klimawandel: Vögel kriegen weniger Küken durch zeitigeren Frühling

04. Juli 2023, 11:47 Uhr

Viele Vogelarten kommen nicht damit zurecht, wenn der Frühling wegen der globalen Erwärmung eher beginnt, als sie es gewöhnt sind. Auf lange Sicht könnten Vogel-Populationen dadurch immer kleiner werden.

Man könnte denken, je früher die Natur im Frühling zum Leben erwacht, umso besser sei das für die Vögel. Sie können früher Nahrung suchen, früher ihr Nest bauen und dann ganz in Ruhe für Nachwuchs sorgen und diesen aufziehen. Aber so einfach ist es in der Natur nicht, das zeigt eine neue Studie im renommierten Fachmagazin PNAS. Die neue Arbeit bezieht sich zwar auf die Vogelwelt Nordamerikas, aber da handelt es sich um ähnliche klimatische Bedingungen wie in Europa. Also ist erwartbar, dass es unseren Vogelpopulationen ähnlich geht.

Früher Frühling lässt Vögel optimalen Zeitpunkt für Fortpflanzung verpassen

Untersucht wurden der Brutzeitpunkt und die Anzahl von Jungtieren bei 41 Zug- und Standvogelarten an 179 Standorten zwischen 2001 und 2018. Es wurden bewusst Standorte mit Wald ausgewählt, denn so konnte die Forschungsgruppe anhand von Satellitenbildern bestimmen, wann genau jeweils im Frühling die Vegetation eingesetzt hat.

Und die Auswertung zeigte bei der Mehrheit der Vögel, dass jede Art einen optimalen Zeitpunkt für die Fortpflanzung hatte und dass die Zahl der Küken abnahm, je klarer dieser optimale Zeitpunkt verpasst wurde, was wiederum häufiger geschah, je eher der Frühling im Vergleich zur gewohnten Vergangenheit einsetzte.

Störche auf der Mülldeponie Schwanebeck, 2003 1 min
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Mehr warme Tage: Nur wenige Standorttreue Vogelarten profitieren

Es gibt in der Vogelwelt zwar Profiteure des Klimawandels, die ihre Brutproduktivität bei eher beginnendem Frühling sogar erhöhen. Aber sie sind die Ausnahme. In Nordamerika gehören laut Studie der Rotkardinal und der Buschzaunkönig dazu. Insgesamt sind es relativ wenige Standvogel-Arten, die also an ihrem Standort überwintern und dann schneller auf die erwachende Natur und das neue Nahrungsangebot reagieren können.

Laut Studie könnte es bei einzelnen solchen Arten in Zukunft sogar noch öfter als bisher geschehen, dass sie sich nicht nur einmal pro Jahr, sondern zweimal fortpflanzen.

Ein Vogel sitzt auf einem vereisten Nadelbaumzweig.
Der Buschzaunkönig ist ein in weiten Teilen Nordamerikas beheimateter Standvogel. Er ernährt sich hauptsächlich von wirbellosen Tieren, vor allem im Winter aber auch vegetarisch. Bildrechte: IMAGO / Nature Picture Library

Ökologisches Mismatch: Vogelzug weiterhin spät

Bei Zugvögeln ist die Lage allerdings völlig anders, zeigt die Studie. Sie brauchen Zeit, um ihre Reviere zu etablieren und sich körperlich aufs Eierlegen und die Aufzucht ihrer Jungen vorzubereiten. Da hat ein deutlich vorgezogener Frühlingsbeginn klar messbare Folgen. So kam rechnerisch im Durchschnitt heraus, dass drei Viertel der "verfrühten" Frühlingstage für den Brutvorgang ungenutzt blieben. Wenn zum Beispiel ein Frühling vier Tage eher als normalerweise begann, starteten die Vögel ihren Brutvorgang im Schnitt trotzdem nur einen Tag eher als gewöhnlich.

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Eine Frau im Porträt 93 min
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"Seit fast 30 Jahren stellen Wissenschaftler die Hypothese auf, dass Tiere und Pflanzen nicht mehr zusammenpassen, wenn der Frühling eher beginnt", sagt Studienhauptautor Morgan Tingley, Professor für Ökologie und Evolutionsbiologie in Kalifornien. "Es gab zwar einige sehr gute Fallstudien zu diesem Phänomen, aber es blieb ein großes Rätsel, ob der fortschreitende Frühling ein generelles Problem für die Mehrheit der Arten darstellt."
Mit dieser Studie sei das nun belegt, findet Tingley. "Entscheidend ist, dass wir Beweise für Auswirkungen auf die Reproduktion von Vögeln gefunden haben, und zwar sowohl für den absoluten als auch für den relativen Zeitpunkt."

Logische Erklärungsversuche für die Ergebnisse sind folgende: Wenn Vögel zu früh brüten, schaden die noch rauen Witterungsbedingungen den Eiern und Küken. Die Nahrungssuche ist auch schwerer. Bei einem zu späten Brüten ist die Nahrungssuche aber ebenfalls schwerer, weil dann viele Konkurrenten schon unterwegs waren und alles "abgegrast" haben. Auch dann können wichtige Ressourcen fehlen, um viele Jungtiere am Leben zu erhalten.

Kohlmeisen füttern ihre Kinder.
Eine Kohlmeisen-Familie im Nistkasten. Damit alle Küken überleben und groß werden, muss das Nahrungsangebot stimmen, was bei zu frühem oder zu spätem Brüten schwierig werden kann. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Bis Ende des Jahrhunderts zwölf Prozent weniger Vogeljunge erwartet

Das Autorenteam der Studie geht davon aus, dass sich die Diskrepanz zwischen dem Frühlingsbeginn und der Fortpflanzungsbereitschaft der Vögel mit der Erwärmung der Welt wahrscheinlich noch verschärfen wird, was weitreichende Folgen haben könnte, die für viele Vogelpopulationen katastrophal wären.

"Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird der Frühling wahrscheinlich etwa 25 Tage früher kommen, wobei die Vögel nur etwa 6,75 Tage früher brüten", sagte Studienautor Casey Youngflesh. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Brutproduktivität bei einer durchschnittlichen Singvogelart um etwa zwölf Prozent zurückgeht."

Die Autoren betonen deshalb, dass Schutzstrategien für Vogelarten als Reaktion auf klimabedingte Veränderungen nötig seien.

Rückgang der Vogelbrut durch weltweite Meta-Analyse bestätigt

Bereits Anfang Mai war eine Meta-Studie erschienen, die sich nahezu demselben Thema gewidmet hatte. Darin wurden Studienergebnisse aus den Jahren 1970 bis 2019 bei 104 Vogelarten und insgesamt 745.962 Brutvorgängen ausgewertet.

Die Ergebnisse sind nahezu deckungsgleich mit denen aus der neuen nordamerikanischen Beobachtung: Insgesamt ging die Nachkommenproduktion im Laufe der Zeit zurück. In Zahlen ausgedrückt, hatten 56,7 Prozent aller untersuchten Arten bei wärmeren Temperaturen weniger Nachkommen, während 43,3 Prozent ihre Brutproduktion sogar erhöht haben. Die negative Auswirkungen waren dabei vor allem bei größeren Arten und Zugvögeln zu beobachten, vom Klimawandel profitieren dagegen kleinere, sesshafte Arten.

(rr)

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