Energieverbrauch Sommerzeit mal zwei: Spart ein Wechsel der Zeitzone ordentlich Energie?
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05. Oktober 2022, 15:53 Uhr
Eine andere Zeitzone würde helfen, unsere Energie-Probleme zu lösen. Diese Hypothese stellt ein MDR WISSEN-Nutzer auf. Könnte das wirklich funktionieren? Schauen wir, was dran ist.
Irgendwann ist dann die letzte LED im Haushalt verschraubt, die Waschmaschine darf fortan nur noch mit 800 Umdrehungen die Restnässe rausschleudern, ein zeitgesteuertes Thermostat sorgt für sparsame Behaglichkeit und nach dem Sandmännchen bleibt der Fernseher eben aus. Bei mancheiner und mancheinem mag sich dennoch das Gefühl einstellen, immer noch nicht genug beizutragen, die Energiekrise im Großen und Kleinen halbwegs zu überstehen. So wie bei MDR WISSEN-Nutzer Thomas W..
Thomas hat sich hingesetzt und am Reißbrett eine Theorie entwickelt, wie sich doch allerhand Energie einsparen ließe. Und Thomas hat nachdrücklich den Wunsch geäußert, man möge die sich doch mal ansehen. Also dann.
Die Idee: Energie sparen in der Zeitzone UTC+4
Thomas' Hypothese sieht einen Wechsel der Zeitzone vor. Zur Erinnerung: Wir befinden uns in der Mitteleuropäischen Zeitzone MEZ. Die ist immer eine Stunde weiter als die Weltzeit UTC, Greenwich-Zeit genannt – also UTC+1. Während der Sommerzeitmonate von Ende März bis Ende Oktober entspricht unsere Mitteleuropäische Sommerzeit UTC+2. Wir sind mit der Uhr also eine Stunde weiter, bei gleichem Licht. Deshalb ist es abends länger hell.
Thomas hat sich überlegt, wie es wohl wäre, die Uhr nicht zeitweise um eine Stunde, sondern ganzjährig um drei Stunden vorzustellen. UTC+4 also. (Das ist eine bisher eher spärlich genutzte Zonenzeit, ein paar Oblaste im mittleren Westen Russlands, Aserbaidschan und Armenien, der Oman, die Seychellen, Mauritius haben sie – und durch das französische Reunion ist sie sogar in der EU vertreten.)
Wir klauen uns also die Uhrzeit von UTC+4, beim Tageslicht bliebe alles beim Alten. Das hätte zur Folge, dass es im Winter recht lang hell bliebe, zwischen dem Emsland und der Lausitz wäre es dann erst gegen acht dunkel, im Sommer gäb's Mitternachtssonne. Das hätte aber auch zur Folge, dass die Wintervormittage in Dunkelheit abgehalten werden müssen (Tageslicht kommt zwischen zehn und elf). Thomas sagt aber: "Verbrauchen private Haushalte nicht abends die meiste Energie, wenn jeder Single seine Wohnung einzeln beheizt und beleuchtet?"
Was ist dran? Sortieren wir das mal.
1. Was wird überhaupt eingespart?
Zunächst müssen wir die Annahme aufstellen, dass sich der Tagesablauf des Menschen nicht verändert. Aufgestanden wird, wenn der Hahn kräht (sofern er die Uhr kennt) und ins Bett gegangen, wenn die Tagesthemen vorbei sind. Würde sich andernfalls unser Tagesablauf mit dem Licht verschieben (im Winter aufstehen gegen elf), hätten wir gar nix gekonnt und würden zur gleichen Licht-Zeit gleich viel Energie verbrauchen wie jetzt.
Wir tun also energiereich die Dinge, die wir auch sonst tun: Film schauen, zocken, Wäsche waschen, Kuchen backen. Dabei ist es egal, ob es hell oder dunkel ist. Einzig und allein den Lichtschalter würden wir am Abend weniger betätigen. Allerdings spielt der gar keine so große Rolle.
"Grundsätzlich ist der Energiebedarf für die Beleuchtung in den letzten zwanzig Jahren durch den verstärkten Einsatz moderner LEDs gesunken", sagt Martin Käßler vom Fraunhofer IOSB für Angewandte Systemtechnik in Ilmenau. Anfang der 2010er lag der Energieverbrauch für Beleuchtung in Deutschland noch bei über 300 Petajoule, 2020 waren es 240, Tendenz weiter sinkend. Beleuchtung findet aber nicht nur in Privatwohnungen statt, sondern auch im öffentlichen Raum, in der Industrie und anderen Arbeitsstätten. Der dortige Verbrauch ist hoch und hochkomplex.
Auch für die Haushaltskasse ist die Einsparung zweitranging. Eine LED-Birne mit der Leuchtkraft einer 75-Watt-Glühlampe verursacht bei um die vier Stunden durchgängigem Betrieb am Tag Stromkosten von nicht einmal vier Euro im Jahr (bei den aktuellen Strompreisen eben nicht mal acht Euro im Jahr). Selbst bei häufigem Betrieb von vielen hellen LEDs in der Wohnung hält sich die Einsparung in Grenzen.
2021 haben Privathaushalte zudem nicht mal ein Drittel des Energieverbrauchs ausgemacht. Mit 44 Prozent lag hier die Industrie vorn. "Grundsätzlich schwankt der Strombedarf über den Tagesverlauf", sagt Martin Käßler vom Fraunhofer in Ilmenau mit Blick auf die – Morgens,- Mittags,- und Abendspitze. "Weiterhin schwankt er über den Wochenverlauf, das heißt, der Strombedarf ist werktags von Montag bis Freitag in der Regel höher als am Wochenende."
2. Wann wird der Strom erzeugt?
Gerade bei Erneuerbaren ist die Stromerzeugung Schwankungen unterworfen. Das sieht man auf den Energy-Charts sehr gut. Besonders betrifft das Strom aus Photovoltaikanlagen, die tagsüber wohlweislich mehr Strom erzeugen, als wenn der Mond vom Firmament scheint. So unklug wäre es nicht, stromfressende Tätigkeiten in die Zeiten zu legen, in denen viel Solarstrom zur Verfügung steht.
Nur ist nicht gesagt, dass die Unterhöschen und Lieblingsblusen stets abends gewaschen werden. Der Kühlschrank läuft rund um die Uhr. Und Licht an, wenn's hell ist? Das mag keinen rechten Sinn ergeben. Ach, und bewölkt kann es schließlich auch noch sein.
Vielversprechender scheint es hier, die effektive Speicherung von grüner Energie voranzutreiben – Wasserstoff ist dafür ein heißer Kandidat.
3. Ich bin morgens immer müde, aber abends bin ich wach …
Sie kennen das Lied, entweder aus dem Küchenradio oder so vom eigenen Leibe her. Wir Menschen sind dann doch sehr lichtfühlig und das mit dem morgens müde und abends wach würde sich im Falle eines Zeitzonenwechsels nur noch verschärfen.
Da wir die Umlaufbahn der Erde um die Sonne zum Glück noch nicht ändern können, würden wir durch eine andere Zeitzone das Tageslicht nur anders verteilen, abends mehr, morgens dafür weniger. Das hätte aber Auswirkungen auf unseren Körper, die wir derzeit nur erahnen können, wenn der Tag mal wieder besonders früh beginnen muss und das Einschlafen bei sommerlicher Helligkeit nicht so recht gelingen vermag. "Die Sonnenuhr ist für unsere inneren Uhren und für unsere gesamte Biologie die eigentliche Zeit", sagte Chronobiologe Till Ronneberg schon vor einiger Zeit in MDR WISSEN. Das ist die Zeit, die für unseren Körper (und die Natur) wichtig ist. "Alle anderen Zeitkonstrukte interessieren unseren Körper nicht."
Die Sonnenzeit ist natürlich an jeder Stelle auf der Erde ein kleines bisschen anders, weil die Sonne auch zu jedem Punkt auf der Erde in einem anderen Winkel steht. Die Idee hinter den 24 Zeitzonen: Menschen, die an ihren Zonenrändern leben, sind nie weiter als eine halbe Stunde von der Sonnenzeit entfernt. Das Konzept wird aber nicht an jedem Ort auf der Erde konsequent umgesetzt (wenn politische Einheiten etwa über eine Grenze hinausragen oder wie im Falle der Einheitszeit in China). Mit der MEZ sind wir in Deutschland gut bedient, gerade in Ostsachsen ist die Lage ziemlich perfekt: Im Landkreis Görlitz schlägt es zumindest im Winter immer dann Mitternacht, wenn auch wirklich Geisterstunde ist (Görlitz liegt auf dem 15. Längengrad).
4. Hat es mit dem Energiesparen denn je geklappt?
Die kleine Schwester von Thomas' Idee der Zeitzonenänderung ist die jährliche Zeitumstellung hin zur Sommerzeit und wieder zurück. Die wollte man längst wieder abschaffen, was aber irgendwie nicht so einfach zu sein scheint. Bis es soweit ist, haben wir an lauen Sommerabenden eben besonders viel Licht und die Sonne geht nicht noch früher auf, als es Sie es im Juni ohnehin schon tut.
Nun hat sich inzwischen herauskristallisiert, dass es die Lichtenergieeinsparung am Abend nicht so recht bringt. Im Frühjahr und Herbst wird dafür morgens mehr geheizt, die Einsparung hebt sich auf. Zu bedenken ist auch, dass die Zeitumstellung aus einer Zeit stammt, in der Hundert-Watt-Glühbirnen Gang und Gäbe waren. Der Stromverbrauch beim Licht hat sich aber durch den technischen Fortschritt ohnehin erfreulich entwickelt.
5. Also keine so gute Idee?
Wie sich das bei einem Zeitzonenwechsel auswirken würde, lässt sich ohne entsprechende Studien und Simulationen schwer sagen. "Da wir uns mit dem Thema bisher nicht wissenschaftlich beschäftigt haben, können wir leider keine pauschalen Aussagen zu den Auswirkungen auf den Stromverbrauch treffen", so ehrlich ist auch Martin Käßler vom Fraunhofer in Ilmenau. "Grundsätzlich hätte eine Änderung der Zeitzone – unabhängig vom Thema Energieeinsparung – aber auch zahlreiche andere Auswirkungen: IT-Systeme und Computer, Software, zeitabhängige Prozesse und so weiter – also keine trivialen Folgen, die alle bei einer Umstellung mitgedacht und umgesetzt werden müssten."
Und denken Sie nur: Man müsste sämtliche historischen Sonnenuhren im Land umpinseln. Was für ein Aufwand für den Denkmalschutz. Sinnvoller scheint es, den Energieverbrauch weiter zu optimieren und Energielasten sinnvoll zu verteilen. Was ein Zeitzonenwechsel bringen würde, könnte nur ein groß angelegtes Experiment abschließend klären – unter deutlichem Protest der biologischen Uhr, versteht sich.
Es wäre wahrscheinlich das größte Experiment, was Casio-Uhr und Apple Watch je gesehen haben. Einfach mal in eine andere Zeitzone schlüpfen. Ach Moment, da läuft doch noch eins. So seit vierzig Jahren?