Teasergrafik Altpapier vom 19. Februar 2020: Ein altes Fernsehgerät. Zu sehen ist ein Karnevalsumzug und das Sendungslogo des WDR.
Bildrechte: MDR / WDR / Panthermedia / Kölner Karnevalmuseum / Festkomitee Kölner Karneval | Collage: MEDIEN360G

Das Altpapier am 19. Februar 2020 16 Stunden Alaaf!

19. Februar 2020, 10:33 Uhr

Beim WDR bildet man große gesellschaftliche Ereignisse in der angemessenen Breite ab – und zeigt am Donnerstag nicht nur Karneval, sondern auch Karneval und zwischendurch sogar Karneval. RTL derweil plant ein groß angelegtes Bildungsprogramm zu Ostern – mit Superstar Alexander Klaws als Jesus. Weiterhin einiges an Relevanz erkennen Medien in jeder neuen Wendung des quirligen Personalgefummels, das die CDU veranstaltet. Und: Neues von Silke und Holger Friedrich. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Die bunte Karnevalswelt des WDR

Wo sich Krimimacher zur Not eine Scheibe abschneiden können? Hier, beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, wo es heißt: "Er verlor eine Wahl in Nordrhein-Westfalen und wurde von Angela Merkel kaltgestellt. Als Außenpolitiker kämpfte sich Norbert Röttgen zurück. Doch das Netz vergisst nichts." Wums, das ist doch mal eine Plotankündigung. Es steht dann nichts (wirklich exakt nichts) im zugehörigen Artikelbeitrag, der nur irgendwelche Tweets aneinanderreiht.

Aber der Teaser ist so ausreichend auf spannende Unterhaltung gestrickt, dass er durchaus das Zeug hätte, eines Tages im öffentlich-rechtlichen Fernsehen benutzt zu werden: irgendwo zwischen den anderen Allerweltskrimis, die Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner Medienkorrespondenz-Kolumne aufzählt – um zum Ergebnis zu kommen:

"(D)ie Programmplaner von ARD und ZDF scheinen vom Krimi gar nicht genug bekommen zu können, der damit zu erzielende Quotenerfolg ist wohl einfach zu verlockend. In den 2030er Jahren dürften diejenigen, die sich dann noch für Details des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens vorangegangener Jahrzehnte interessieren, sich an den Kopf fassen angesichts des irrsinnigen Ausmaßes der fast immer unterhaltsam gemeinten Morde."

Krimi, Krimi, Krimi. Nur eines gibt es vielleicht, was quantitativ – wenn auch nur saisonal – im linearen öffentlich-rechtlichen Unterhaltungskernprogramm noch mithalten dürfte: die Karnevalssendungen. Kleiner Auszug gefällig? Hier das WDR-Programm vom morgigen Donnerstag:

00:10 Uhr: "Heil Hitler und Alaaf! Karneval in der NS-Zeit"

00:55 Uhr: "Cologne Werwolf – Der Horrorfilm aus der Stunksitzung"

01:05 Uhr: "Alaaf you – Eine Stadt dreht durch”

06:45 Uhr: "Alaaf – Die Kölner Jubiläumssitzung”

08:45 Uhr: "Karneval Anno Pief”

10:45 Uhr: "Weiber live 2020”

12:45 Uhr: "Kölsche Tön vom Heumarkt”

15:00 Uhr: "Weiberfastnacht in den WDR Arkaden 2020”

18:15 Uhr: "5 Fallen – 2 Experten: Karneval”

22:10 Uhr: "Stunksitzung 2020”

23:40 Uhr: "Die schönsten Lieder aus der Stunksitzung – 33 Jahre Köbes Underground”

Summa summarum macht das knapp 16 Stunden Karneval. Spontan kommt einem das jetzt nicht übertrieben wenig vor.

Andererseits: Es handelt sich nicht um einen Standardtag, das Aufkommen ist schon eher außergewöhnlich – im WDR-Gebiet ist halt wohl Feiertag, und der muss natürlich journalistisch  sauber abgebildet werden. Und es ist natürlich eh alles letztlich eine Frage des Framings. Man kann es auch so formulieren: Es ist ein sehr buntes Programm.

Bei RTL derweil plant man Ostern

Bunt genug? Hm. RTL hat am Dienstag einen Programmschwerpunkt vorgestellt, von dem Thomas Gottschalk, der mitmischt, laut DWDL sagt: "Ich hätte mir ja gewünscht, die öffentlich-rechtlichen würden das machen." Es geht darum, "ein großes Stück Weltliteratur, das seit 2.000 Jahren begeistere, den Menschen wieder näher bringen zu wollen", wie es heißt. Sogenanntes Bildungsfernsehen? Kulturprogramm?

Na ja, genau – RTL zeigt kurz vor Ostern "Die Passion" als "gut zweistündiges Live-Musik-Event zu Ostern, untermalt von bekannten deutschen Popsongs". Schluck. Mit Alexander Klaws als Jesus. Laith Al-Deen als Petrus, Mark Keller als Judas, Jürgen Tarrach als Pilatus, Ella Endlich als Maria und Martin Semmelrogge als Barrabas.

Die Frage ist: warum?

Vielleicht ist die Frage aber auch: warum denn eigentlich nicht?

Man hat jedenfalls sofort so ein RTL-Gefühl, wenn man nur davon liest: Es kann irre schlimm werden, und dafür spricht zum Beispiel Gottschalks vorbeugende Distanzierung: "Ich habe auch gezuckt, als ich Marias Krokodilstränen im Trailer gesehen habe." Es kann aber auch eine interessante Überraschung werden.

Wer sich schon einmal einen kleinen Eindruck verschaffen will, worüber im April wahrscheinlich alle Medienseiten schreiben werden, wird bei den Erfindern fündig: In den Niederlanden läuft "Die Passion" seit 2011, und zwar mit Marktanteilen auf Fußball-WM-Niveau – was die Frage nach dem "Warum" zumindest mitbeantwortet.

Die mediale Lust auf CDU-Personalfragen

Wir sollten nun aber – Stichwort Nachrichtenhierarchie – doch langsam mal zum derzeit Wichtigsten kommen, das es zu geben scheint. Nein, die Rede ist immer noch nicht von "Teutonico". Sondern nach wie vor vom quirligen Personalgefummel der Union: Norbert Röttgens Kandidatur für den Parteivorsitz ist die im Print wohl am prominentesten verwurstete Nachricht des heutigen Tages. (Thüringen war, weil die Entwicklung am Dienstagabend ihren Fortgang nahm, eher ein Fall für das gute alte Live-Blog).

Die eindeutig medialen Implikationen der Röttgen-Kandidatur freilich scheinen erstmal gering zu sein. Gut, würde er Bundeskanzler, wäre er der erste Talkshowdauergast, der es in diese Position schafft. Aber das war es dann auch fürs Erste. Von Röttgen gab es gestern jedenfalls keine Merzschen Karnevalssätze über den Bedeutungsverlust von Medien, über die sich Journalistinnen und -en u.ä. so wunderbar unangemessen aufregen können. Und Friedrich "Jeden Tag eine Schlagzeile produzieren" Merz hatte am Dienstag selbst auch nichts gravierend Neues im Köcher, das im Nachrichtendienst Twitter durchgespielt werden musste.

Neues von Silke und Holger Friedrich

Apropos Berlin mit Energie versorgen: Es gibt Neues von Silke und Holger Friedrich, den neuen Eigentümern von Berliner Zeitung und Berliner Kurier. Sie haben wieder mal ein Interview gegeben, diesmal Jakob Augstein auf der Theaterbühne seines Gesprächssalons, übertragen bei radioeins vom Rundfunk Berlin-Brandenburg. Und was soll man sagen? Die zusammenfassenden Texte darüber – sie stehen im Tagesspiegel und, schärfer in der Einordnung, bei Horizont – zeugen noch immer von nahezu dergleichen Ratlosigkeit, die die Friedrichs schon vor Monaten mit ihren ersten öffentlichen Einlassungen ausgelöst haben (Altpapier, Altpapier, Altpapier).

Nicht nur weil sie "wahlweise gar nicht, trotzig oder ausweichend auf die anfangs sehr verständnisvollen Fragen" geantwortet hätten, wie Ulrike Simon bei Horizont schreibt. Sondern auch weil ihre Medienkritik, gegen die an sich natürlich nichts einzuwenden ist, doch in erster Linie beleidigt wirkt.

"Einen roten Faden gab es immerhin: die Opferrolle, die sich das Paar zuschreibt, um dieselbe umgehend zu dementieren. Am Ende blieb ein Gefühl großer Ratlosigkeit – und die bange Frage: Was mag wohl aus der Berliner Zeitung werden?"


Altpapierkorb (EJS-Rettungsversuche, wie YouTuber kritische Kommentare ausschalten können, Skys Fußballzukunft)

+++ Der Freundes- und Förderverein der Evangelischen Journalistenschule hat einen Offenen Brief an den Geldgeber, den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), aufgesetzt, um die Schule zu retten. Ihr Fortbestand ist durch den Sparkurs des Gemeinschaftswerks der evangelischen Publizistik gefährdet (das einst auch dieses Blog beheimatet hat). Unterstützung erhält das Anliegen heute vom kontinuierlich berichtenden Tagesspiegel und der SZ, in der es heißt: "Mittlerweile wird diskutiert, ob die EJS mit der katholischen Journalistenschule IfP kooperieren könnte. Der Träger der EJS zeigte sich dafür offen, Schüler und Ehemalige sehen die liberale Linie der EJS in Gefahr."

+++ Vice und der YouTube-Kanal Ultralativ haben recherchiert, wie YouTuber einen in Kommentarspalten "versteckten Zensur-Mechanismus" einsetzen – "offenbar, um unliebsame Kritik zu verhindern": einen "Uploadfilter für Wörter, die jeder YouTuber selbst bestimmen kann".

+++ Wie es für Sky in Sachen Fußballrechte weitergeht, nachdem der Bezahlsender die Übertragungsrechte an der Champions-League verloren hat, darüber schreibt die Süddeutsche: "Der Verkauf der Rechte an der Fußballbundesliga hat gerade begonnen. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hofft auf steigende Einnahmen. Sky steht nun unter großem Druck, wenigstens hier zum Zug zu kommen. Denn Fußball ist nach wie vor der wichtigste Treiber des Geschäfts bei Sky."

+++ Der im Montags-Altpapier zitierte Medienkorrespondenz-Longread "Im Framing-Modus" ist online. Bitte gerne.

Neues Altpapier kommt am Donnerstag.

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