Teasergrafik Altpapier vom 25. Februar 2020: Ein Plakat mit der Aufschrift "Free Speech, free Assange" wird hochgehalten.
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Das Altpapier am 25. Februar 2020 Fataler Feedbackloop

25. Februar 2020, 13:57 Uhr

Julian Assange sitzt hinter Glas vor Gericht, und einstige deutsche Beinahe-"Landesverräter" setzen sich für ihn ein. Michael Bloomberg liegt weit vor Donald Trump – zumindest, was Wahlkampf-Werbeausgaben bei Google und Facebook betrifft. AG DOK-Chef Thomas Frickel teilt zum Abschied noch mal kräftig aus (zum Beispiel gegen die ARD). Sind Dokumentarfilme in der Mediathek gut aufgehoben? Sowie: "wie unbedarft Journalisten mit Twitter-Quellen umgehen". Ein Altpapier von Christian Bartels.

Tag 1 im Assange-Prozess

Am Montag begann in London "einer der wichtigsten und bedeutendsten politischen Prozesse dieser Generation", wie John McDonnell, Labour-Politiker und ein Vertreter Julian Assanges, sagte. Wie Assange "hinter Glas auf der Anklagebank saß", berichtet Gina Thomas in der FAZ.

Er war "durch den unterirdischen Tunnel, der das Gefängnis mit dem Gericht verbindet", hereingeführt worden, "erschien in weißem Hemd, darüber trug er einen grauen Pullover und grauen Blazer und verfolgte zunächst teilnahmslos und mit Lesebrille auf dem Kopf von seinem Platz im hinteren Teil des Gerichts aus, was die US-Justiz ihm vorwarf", ergänzt Katrin Pribyl, Londoner Korrespondentin von Madsacks Redaktions-Netzwerk Deutschland. Ihr Gericht ist mit einer typischen Zeichnung aus dem Gerichtssaal illustriert. Das erwähnte Glas ist darauf nicht zu sehen. Aber die Stimmung kommt rüber.

Den Bericht mit Menschelndem wie dem "großen Ziel" Assanges und seines Vaters, "eines Tages gemeinsam den Jakobsweg in Spanien entlangzuwandern", anzureichern, wie es das RND tut, schadet nichts, nachdem Assange lange Zeit ja systematisch oder strategisch herabgewürdigt worden war. Inhaltlich ist noch nicht viel geschehen, außer dass vor Gericht US-amerikanische Vertreter (siehe v.a. SZ) und medial alle ihre Standpunkte dargelegt haben. "Die Anhörungen sind zunächst für diese Woche angesetzt. Das Verfahren soll dann Mitte Mai für weitere drei Wochen fortgeführt werden" (RND wiederum).

Falls Sie noch grundsätzlichere Einschätzungen wünschen, wäre Dorothea Hahns Bericht aus den USA (wo große Medien sich kaum ums Thema scheren, aber wichtige Investigativreporter wie James Risen, "der unter anderem das Water­boarding des CIA enthüllt hat", und Seymour Hersh sich für Assange engagieren), aus der taz gestern zu empfehlen. Und besonders Markus Beckedahls aus eigener, teils vergleichbarer, zum größeren Teil zum Glück völlig anderer Erfahrung gespeister Aufruf bei netzpolitik.org:

"Die US-Regierung argumentiert, dass Assange kein Journalist sei. Wir haben mit solchen Vorwürfen auch unsere eigenen Erfahrungen gemacht. Vor fünf Jahren wurde gegen Andre Meister und mich wegen des Verdachts auf Landesverrat ermittelt. Die Ermittlungen wurden vom ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dem heutigen Rechtsaußen-Verschwörungstheoretiker Hans-Georg Maaßen, wegen unserer kritischen Berichterstattung und wegen der Veröffentlichung von vermeintlichen Staatsgeheimnissen lanciert. Unterstützer und Befürworter der Ermittlungen versuchten auch, uns den Journalisten-Status abzusprechen. Denn dann hätten wir bei einem Prozess weniger Schutz durch die Pressefreiheit genossen. Ein Ziel davon war sicherlich auch Einschüchterung. Wir hatten Glück, dass wir aufgrund von Verzögerungen bei den Ermittlungen über diese informiert werden mussten, uns eine solidarische Öffentlichkeit schützte und die Ermittlungen ohne Prozess schnell eingestellt wurden. Julian Assange hat dieses Glück nicht."

Trump & Bloomberg, Youtube & Facebook

Sowohl Assanges künftiges Schicksal als auch Stränge seiner komplexen Wirkungsgeschichte führen zum US-amerikanischen Präsidenten  Donald Trump, der sich im November zum zweiten Mal zur Wahl stellen wird. Da gibt es eine Neuigkeit, die sueddeutsche.de auf deutsch vermeldet: "Mehr als acht Monate vor dem Wahltermin soll sich der US-Präsident einen der wichtigsten Werbeplätze der Welt gesichert haben". Wie das klingende W-W-W schon andeutet, ist's einer im Internet: "der sogenannte Masthead-Werbeplatz ... mitten auf der Startseite" von Googles Youtube, dessen Buchung "bis zu einer Million Dollar pro Tag kosten" soll und anno 2012 erfolgreich von Trumps Vorgänger Barack Obama in den Medien-Wahlkampf eingeführt worden war, berichtet Simon Hurtz mit weiteren Links.

Einer führt zur Quelle, die die heiße Politik-Medien-News wohl als erste hatte, zu bloomberg.com. Dass dessen hauptsächlicher Eigentümer Michael Bloomberg einer der aussichtsreicheren Bewerber im weiterhin offenen Rennen um den Posten als Trump-Gegenkandidat ist, sagt auch viel über den US-amerikanischen Wahlkampf aus. Bloomberg habe "48 Millionen Dollar in Facebook-Werbung und 42 Millionen Dollar in Google-Anzeigen investiert" und damit rund doppelt so viel wie Trump bislang, schreibt Hurtz.

Wer noch mehr zum Thema auf deutsch lesen möchte, kommt hier für 55 Cent zu Nina Rehfelds Bericht auf der FAZ-Medienseite. Da geht es um den Bloomberg-Rivalen Bernie Sanders und dessen Auseinandersetzung mit der Washington Post, die bekanntlich Jeff Bezos, dem hauptsächlicher Eigentümer des Datenkraken Amazon gehört. Dass dieser, der mehr oder minder reichste Mensch der Welt, derzeit nicht in den Kampf um den Posten des mächtigsten Menschen eingreift, ist die gute Nachricht aus den USA.

Dass bei allen noch bestehenden Unterschieden zwischen den Medienlandschaften und der Medienpolitik eine Gemeinsamkeit der USA und Deutschlands darin besteht, dass es zwar jeweils Regeln für politische Werbung zu Wahlkampfzeiten gibt, allerdings nur für alte Rundfunk-Medien und nicht fürs Internet, ist keine gute Nachricht für künftige deutsche Wahlkämpfe. Deutsche Parteien eifern den US-Amerikanern ja ähnlich ungeschickt wie überzeugt nach.

"Umkehrung dessen, was Öffentlich-Rechtliche machen müssten"

Was völlig anders: Diese Woche endet eine Ära, die auch für die deutsche Medienlandschaft, in der neben zunehmend schnellem Wandel auch vieles lange Bestand hat, wirklich lange dauerte. "Nach 34 Jahren als Vorsitzender und Geschäftsführer" der kaum älteren, 40 Jahre alten Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm/ AG Dok, wird sich Thomas Frickel "aus der aktiven Vereinsführung verabschieden". Als engagierter Streiter für solche Dokumentarfilme, bei denen es sich nicht um "Dokus" fürs formatierte Fernsehprogramm handelt, kam Frickel auch ziemlich oft im Altpapier vor.

Zu dem Anlass gibt's in der aktuellen Ausgabe des Branchendiensts epd medien [Transparenzhinweis: für den ich auch arbeite] ein großes Interview mit ihm, das viele bemerkenswerte Passagen enthält. Eine davon betrifft den ARD-Dokumentarfilm-Wettbewerb "Top of the Docs", dessen jüngster Gewinner am Mittwoch während der Berlinale präsentiert werden wird. Zu der Idee sagt Frickel:

"Lange Dokumentarfilme werden von den Sendern auch nur in wenigen Ausnahmefällen voll finanziert. Ein solcher Fall ist der jährliche Wettbewerb 'Top of the Docs' der ARD - da kann man eine voll finanzierte neue Produktion gewinnen. Das ist die Umkehrung dessen, was das öffentlich-rechtliche Fernsehen eigentlich machen muss. Es ist der Job der Redakteure, Projektideen zu sichten und anschließend Aufträge zu vergeben. Stattdessen schicken die Sender meist unabhängige Produzenten los, um bei der Kinofilm-Förderung zusätzliches Geld einzusammeln. ARD und ZDF kommen ja nicht direkt an diese Gelder ran ..."

Und später im Verlauf des Gesprächs, auf Interviewerin Andrea Wenzeks Satz "Dokumentarfilme gelten als Quotenkiller. Allerdings kann man sie über die Mediatheken sehen", entgegnet er:

"Die Filme müssen ja erst einmal bekannt sein. Sie werden aber nicht ausreichend beworben. Es ist so, dass die Produktions- und auch die Werbebudgets noch an den Sendeplätzen orientiert sind. Für die Produktionen von 'TerraX' steht beim ZDF ein ungleich größeres Budget zur Verfügung als für ein Drittes Programm oder 3sat. Deshalb kann man nicht sagen, Dokumentarfilme sind in der Mediathek gut aufgehoben. Für den PR-Apparat der Sender liegt der Fokus auf der Primetime ..."

Das Interview soll Ende dieser Woche bei epd medien online erscheinen. Falls Sie Lust auf einen Frickel-Longread bekommen haben, wäre der hier schon mal erwähnte, nicht ganz 20.000 Zeichen schwere Text "Für eine lebendige Dokumentarfilmkultur/ Die AG Dokumentarfilm wird 40" aus dem Januar zu empfehlen, der u.a. auf agdok.de zu haben ist. Während der erste Halbsatz "Das Fernsehen hat den Dokumentarfilm zum bebilderten Journalismus degradiert", auch wenn es nicht unbedingt so scheint, aus dem Jahre 1980 stammt, gilt folgender Absatz weiter unten der Gegenwart:

"Aber die ARD ist nun einmal ein ziemlich disparater Verein, in dem auch Leute wie WDR-Intendant Tom Hasenherz den Ton angeben – überheblich, überschätzt, überfordert und überbezahlt zerlegt er aus persönlicher Eitelkeit, was andere mühsam aufgebaut haben. Auf persönlich an ihn gerichtete Schreiben und Gesprächsangebote der AG Dokumentarfilm zu antworten, ist unter seiner Würde – das überträgt er einer stellvertretenden Abteilungsleiterin. Soll dieser aufsässige Dokumentarfilmverein doch erst mal lernen, welche Welten ihn vom Intendanten des größten ARD-Senders trennen! Da ist sie wieder, die Zeitschleife. Aber diesmal hat sich nicht die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm darin verfangen, sondern der Herr Intendant ist in der Gutsherrenmentalität der achtziger Jahre steckengeblieben ..."

Das muss in dieser Nische des Vereins ARD natürlich zitiert werden.

Journalisten, lasst euch nicht so von Twitter triggern!

Was bei epd Medien inzwischen online steht, ist ein ebenfalls spannender Text Gerret von Nordheims darüber, "wie unbedarft Journalisten mit Twitter-Quellen umgehen". Der Medienwissenschaftler zitiert sowohl (im Text verlinkte) US-amerikanische Studien als auch deutsche Beispiele wie die im Januar viel beachtete #Umweltsau-Debatte. Und fordert auf dieser Grundlage dann so dringend weniger journalistische Aufmerksamkeit für Twitter, wie es bislang selten getan wurde:


"Die Forscher Lars Willnat und David H. Weaver fanden heraus, dass keine andere Gruppe von Journalisten in den USA Social Media intensiver als Ideenlieferant für neue Storys nutzt als TV-Journalisten ... Sie folgerten, es sei sehr wahrscheinlich, dass das Fernsehen auch durch den konstanten Import von Social-Media-Inhalten zu einer Plattform für Sensationen und Polarisierung geworden sei. Isomorphismus wird dieser Prozess in der Forschung genannt - die sukzessive Anpassung der einen Institution an die dominante Logik einer anderen. Logan Molyneux and Shannon McGregor befürchten in diesem Kontext eine journalistische Selbstauflösung im digitalen Raum: 'Suicide by a thousand Tweets' - ein Selbstmord mit tausend Tweets . Mit jedem zitierten Post übertrage Journalismus der Plattform Glaubwürdigkeit. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass Eliten (Politiker, Prominente et cetera) Twitter künftig als direkten Kanal für ihre Statements nutzen. Dadurch werde die Plattform wiederum zunehmend unentbehrlich für Journalisten - ein fataler Feedbackloop ..."

Was eine prächtige Steilvorlage wäre, um nochmals zu Friedrich Merz' "Wir brauchen die nicht mehr" überzuleiten. Aber das brauchen wir vielleicht auch nicht.

Altpapierkorb (Nachrichtenbrei in Zombie-Zeitungen, Jubel im Wahlstudio, "Die Zerstörung der CDU ...", Gedenkstätte Auschwitz über Amazon-Serie)

+++ "Wie man eine Zombie-Zeitung füllt", beschreibt Anna von Garmissen bei uebermedien.de (teilweise €) anhand der Münsterschen Zeitung. Die ist "ein Blatt ohne Redaktion. Als Zombiezeitung gaukelt sie regionale Pressevielfalt vor, die es aber seit mehr als fünf Jahren nicht mehr gibt". Zum "Nachrichtenbrei aus fünf verschiedenen Verlagen" trägt wesentlich das schon erwähnte Madsack-RND bei, das sich aktuell übrigens über noch eine Kooperation, in einer ganz anderen Ecke Westfalens freut: "Mit der Siegener Zeitung kommt künftig die auflagenstärkste Tageszeitung (46.865 Exemplare) im südöstlichen Nordrhein-Westfalen hinzu" zu den schon jetzt "mehr als 60 Tageszeitungen mit einer täglichen Gesamtauflage von mehr als zwei Mio. Exemplaren und einer Reichweite von sechs Millionen Lesern" von RND-Inhalten.

+++ "Es war durchaus ein irritierender Moment", als am Sonntag nach der Bekanntgabe erster Hamburger Wahlergebnis-Prognosen und des vermeintlichen Nichteinzugs der AfD ins Parlament "im ARD-Wahlstudio Applaus, wenn nicht Jubel" erklang (Tagesspiegel). +++ Vorm Hintergrund, dass Jörg Schönenborn ja häufig Formulierungen wie "Mit aller Vorsicht bei einer Prognose" verwandte, hält Jürn Kruse (uebermedien.de) die "Hol-fünf-Prozent-sonst-kommst-du-hier-nicht-rein-Praxis" bei Wahlabend-Diskussionsrunden für nicht sehr sinnvoll.

+++ "Die Zerstörung der CDU betreibt die Partei selbst, wenn sie es nicht schafft, den medialen Suggestiv- und Dead-Line-Formeln zu entkommen. Wie will man einen zeitgemäßen Konservatismus begründen, wenn man mit dem Geländewagen zum Traualtar fährt?", schreibt Torsten Körner in einem neuen Kurzepos im Tagesspiegel (das man gern als Podcast vorgetragen hören würde).  Titel: "In der Männer-Republik/ Wie Frauen die Politik eroberten".

+++ Die dpa hat zur gestern hier erwähnten, weil in der FAZ scharf kritisierten Amazon-Serie "Hunters" mit Al Pacino bei der Gedenkstätte in Auschwitz nachgefragt und zitiert deren Sprecher Pawel Sawicki mit "Auschwitz ist ein authentischer Ort. Und wir haben das Gefühl, dass das Schaffen einer Geschichte, die nicht stattgefunden hat, ein gefährlicher Missbrauch und ein Schlag gegen das Gedenken an die Opfer ist." +++ "Der Serienautor David Weil verteidigte seine Produktion laut dem Branchenblatt Variety als 'keine Dokumentation, sondern lediglich von historischen Ereignissen inspiriert'", meldet die SZ.

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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