Teasergrafik Altpapier vom 24. November 2020: Porträt Autor Klaus Raab
Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Das Altpapier am 24. November 2020 Talks sind kein Universitätskolloquium

24. November 2020, 10:10 Uhr

“Die Debatte über Grundrechtsfragen hätte von Medien in der Coronakrise 'früher und deutlicher‘ aufgegriffen werden müssen“ – findet WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn. Zur bevorstehenden Rundfunkbeitragserhöhungsentscheidung in Magdeburg gibt es weitere Stimmen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Eine schöne Bescherung in Magdeburg

Allüberall auf den Tannenspitzen sieht man schon das Fest aufblitzen. DAS Fest ist die Medienstory dieser Tage, nachdem ausgewählte Politiker sich um den Christbaum drapiert haben. Es geht in ausgewählten Medienbeiträgen zum Beispiel darum, dass es “ein Fest der Anarchie werden“ könne, wie t-online.de glaubt. Oder darum, wie es die Länder “retten“ wollen, wie n-tv.de schreibt. Und bei taz.de geht es um die Frage, ob man es “feiern oder verschieben“ sollte. Wir dagegen, SEO hin oder her, kümmern uns hier erstmal weiter um den 15. Dezember. Dann geht es im Magdeburger Landesparlament um die Frage, ob Sachsen-Anhalt der Rundfunkbeitrags-Erhöhung um 86 Cent zustimmt. Was deshalb interessant wird, weil die CDU es bekanntlich nicht tun will.

Christian Bartels hat hier gestern umfassend den Stand der Dinge und die Positionen zusammengefasst. Aber das war gestern. Heute gibt es neue Stimmen. Die von Gunnar Schupelius in der BZ etwa, der exklusiv recherchiert hat: “Im gesetzlich festgelegten Auftrag der Sender ist die Versorgung der Bevölkerung mit Nachrichten vorgesehen, mehr nicht.“ Leider fehlt an dieser Stelle seines Texts ein Link zur Quelle, da wüsste man doch gerne mehr.

Frisch dabei im Konzert ist auch die Stimme der SPD-Bundestagsabgeordneten Katrin Budde, der Vorsitzenden des Medienausschusses, die den Koalitionspartner in Magdeburg warnt: “Ein Nein der CDU-Landtagsfraktion zum Staatsvertrag gemeinsam mit der AfD sei sowohl ein fatales Signal für die öffentlich-rechtlichen Sender als auch für die Koalition in Sachsen-Anhalt, sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. 'Die CDU in Sachsen-Anhalt begeht damit einen offenen Bruch des Koalitionsvertrags und bewegt sich einen weiteren Schritt nach rechts.’“

Tut sie das, die CDU? Michael Hanfeld findet die Argumentation, die CDU bewege sich “einen weiteren Schritt nach rechts“, also auf die AfD zu, in der FAZ (Abo) perfide: “Ist dies das ‚Argument‘, mit dem die Beitragsdebatte endet? Kritik am Rundfunkbeitrag ist gleich rechts, ist gleich AfD, ist gleich Nazi? Die Abstimmung im Landtag von Magdeburg Mitte Dezember verspricht eine schöne Bescherung zu werden.“

Womit wir dann durch die Hintertür Weihnachten doch noch in die Kolumne hineinzitiert und die politische Auseinandersetzung für heute hoffentlich ausreichend neutral und ausgewogen abgebildet hätten.

Jörg Schönenborn hat Fragen zur WDR-Coronaberichterstattung

Um öffentlich-rechtliche Ausgewogenheit geht es heute auch wieder. Heute allerdings mal nicht auf so alberne Art wie in einer dieser Kolumnistenkolumnen, für die sich ein reaktanter Hobbysatiriker drei “Tagesschau“-Ausgaben anschaut, um danach zu behaupten, dass “die Öffentlich-Rechtlichen“ links, grün oder beides seien. Sondern es geht um eine konkrete Diskussion, die innerhalb einer ARD-Anstalt geführt wird.

Beim WDR nämlich gibt es, Übermediens Boris Rosenkranz zufolge, eine Debatte über die Corona-Berichterstattung des Hauses. Fernsehdirektor Jörg Schönenborn habe sie selbst angestoßen, nach “zwei Begegnungen mit Menschen“, die er, Schönenborn, persönlich kenne, und “die kritisierten, wie der Sender über die Corona-Pandemie berichtet. Was Schönenborn nicht nachvollziehen konnte.“ Es folgten Fragen an die Belegschaft. Etwa diese:

“Haben wir in der Lockerungsdebatte dieses Sommers nur die Perspektive derer eingenommen, denen die Öffnungen Sorgen machen? Und nicht derjenigen, die erleichtert sind und glauben, dass wir mit diesem Risiko umgehen können? Spürt das Publikum, dass unsere Empathie für Demos von Fridays for Future größer ist als die von Querdenkern – obwohl doch unsere Berichterstattung gleichermaßen sachlich sein müsste?“

Und nachdem in einer Publikumspetition nun eine Talkshow gefordert wird (in der “u.a. folgende Experten zu Wort kommen: Dr. Sucharit Bhakdi, Dr. Wolfgang Wodarg, Prof. Homburg, Dr. Drosten, Dr. Wieler, Dr. Karl Lauterbach“), sei der nächste Schritt nun eine Videokonferenz, “an der fünf Personen der ARD teilnehmen sollen, unter anderem WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni und Tom Schneider aus dem Hauptstadtstudio. Auf der anderen Seite treten unter anderem an: der Petent Bastian Barucker, nach eigenen Angaben 'ausgebildeter Überlebenstrainer, Wildnispädagoge und Wilderness Guide‘, der Rechtswissenschaftler Martin Schwab, der Medienwissenschaftler Michael Meyen und der Autor Paul Schreyer – allesamt keine Unbekannten, wenn es um Kritik am Umgang mit Corona geht.“

Ist das devot? Oder ist das angemessen? Es ist nicht unkompliziert. Im Gespräch mit Übermedien, so Übermedien, sagt Jörg Schönenborn unter anderem, “die Debatte um Grundrechtsfragen hätte von Medien 'früher und deutlicher‘ aufgegriffen werden müssen. Es habe anfangs eine 'gesellschaftliche Schockstarre‘ gegeben, in der auch Medien unreflektiert angenommen hätten, was von der Politik entschieden wurde.“

Wenn er das so sieht – und das kann man, wenn es um die Berichterstattung des Frühjahrs geht, sicher so sehen – kann eine interne Diskussion und Aufarbeitung der eigenen Berichterstattung kein Fehler sein. Zumal Redaktionen aus solchen Selbstreflexionsprozessen erfahrungsgemäß immer irgendwas für nächste Mal mitnehmen. Stimmen von außen zu hören schadet auch eher selten. Die Frage ist aber, ob man sich aus Angst vor der “Kritik bestimmter Kreise“ (Schönenborn), die “unsere Glaubwürdigkeit und damit Existenzberechtigung öffentlich in Frage“ stellen, zu einer Berichterstattung bewegen ließe, die eine ziemlich laute Minderheit größer, relevanter und/oder argumentativ sattelfester wirken lässt, als sie ist.

Eines kann man wohl ausschließen, wie auch Jörg Schönenborn in seinem WDR-Rundschreiben andeutet (“Ich glaube nicht, dass eine Talkshow der beste Ort für wissenschaftliche Diskussionen ist“): Die geforderte Talkshow mit Dr. Sucharit Bhakdi, Dr. Wolfgang Wodarg, Prof. Homburg, Dr. Drosten, Dr. Wieler, Dr. Karl Lauterbach dürfte es nicht geben. Da werden schon einige der drei Letztgenannten kaum mitspielen.

Karl Dall und Geert Müller-Gerbes sind gestorben

Die deutsche Talkshowgeschichte hat zwei Verluste zu verzeichnen. Mit Geert Müller-Gerbes und Karl Dall sind gleich zwei Männer gestorben sind, die unter anderem bei RTL Talkshows moderiert haben. Die könnten das vielleicht wie Jörg Schönenborn gesehen haben: “Ich glaube nicht, dass eine Talkshow der beste Ort für wissenschaftliche Diskussionen ist“. Der Satz durchläuft wohl jeden Faktencheck. Talks sind kein Universitätskolloquium.

Geert Müller-Gerbes war als “Journalist und Talkshowpionier“ (dpa via stern.de) für die Talkgeschichte wichtiger, aber längst nicht so bekannt war wie Dall. Der hat in den Achtzigern bei RTL “Dall-As“ moderiert. Ein ausgewählter Nachruf kommt von Alexander Kühn, Spiegel, der dem Eindruck widerspricht, Dall sei gewesen, was er dargestellt hat:

"Dall war kein Frauenfeind, überhaupt kein Menschenfeind. Sondern ein hochprofessioneller Künstler, der seine Rolle gefunden hatte: Sie bestand darin, aus der Rolle zu fallen. Er sagte, was man nicht sagt. Tat, was sich nicht gehört. Dall, also der öffentliche, war ein Meister der Peinlichkeiten, ein König der Ferkeleien. Stellt man sich Deutschland als große Familie vor, war er der Onkel, für den man sich bei jeder Feier schämt. So gesehen war die Figur Karl Dall nicht viel blamabler als viele Männer ihrer Zeit, deren Verhalten sie spiegelte.“


Altpapierkorb (Krautreporter, RTL und Tanit Koch, Stephan Russ-Mohl, Reporter ohne Grenzen in Frankreich, Diversität bei Netflix und Amazon, “Yellowstone“ mit Kevin Costner)

+++ Um die wirtschaftlichen Sorgen der Krautreporter, die von den Corona-Abonnements, die größere Häuser verzeichnen, nicht viele abgekriegt hätten, geht es in der FAZ (mittlerweile frei lesbar): “Im Kampf um die Aufmerksamkeit der Leser hat das kleine Medienhaus mit seiner kleinen Redaktion, die sich auf Hintergrundgeschichten und Erklärstücke spezialisiert hat, ganz offensichtlich einen Wettbewerbsnachteil.“ Update 10 Uhr: Die Krautreporter sind, wie gestern vermutet, nun tatsächlich gerettet. 

+++ Dass sich Kai-Hinrich Renner in der Berliner Zeitung über die Krautreporter geärgert habe, stand am Montag an dieser Stelle. Sebastian Esser hat auf  Renners Text in der Berliner Zeitung geantwortet.

+++ Nicht wenig beachtet werden News, die RTL betreffen. Vorne dran ist DWDL. Die Süddeutsche schreibt: Tanit Koch verlässt die RTL-Mediengruppe, in der sie als Chefredakteurin der RTL-Zentralredaktion und Geschäftsführerin von n-tv gewirkt hat.“ Auch Teil dieser Geschichte: “Die Mediengruppe RTL Deutschland bündelt zum 1. Februar 2021 ihre journalistischen Aktivitäten. In der RTL News GmbH werden dann von Nachrichten für die unterschiedlichen Ausspielwege wie Fernsehen oder Internet über investigativen Journalismus, Dokutainment bis Infotainment alle Bereiche in einer Einheit zusammengefasst.“ (Tagesspiegel)

+++ Der Tagesspiegel veröffentlicht einen gekürzten Auszug aus einem Buch des emeritierten Professors für Journalistik und Medienmanagement an der Università della Svizzera italiana in Lugano/Schweiz, Stephan Russ-Mohl, und der empfiehlt, “vermeintlich gesicherte Wahrheiten, gelegentlich sogar die 'wissenschaftlichen’, in Frage zu stellen“. Sind damit auch die gemeint, die in Büchern emeritierter Journalistikprofessoren stehen?

+++ Der Regelfall ist es nicht, dass ein Medienthema, noch dazu ein nicht mit einer prominenten Person bebilderbares, ganz oben auf einer Startseite steht. Bei taz.de hat es ein Interview mit der Frankreich-Chefin von Reporter ohne Grenzen, Pauline Adès-Mével, am Montagnachmittag geschafft. Sie kommentiert das neue Sicherheitsgesetz, das “die malträtierte Pressefreiheit in Frankreich“ beeinträchtige.

+++ “Netflix und Amazon gelten als Erneuerer des Fernsehens, die nun endlich ein buntes, diverses Programm machen“, schreibt die SZ. Stimmt aber nicht ganz, zumindest nicht einer neuen Studie zufolge: “In den deutschen Produktionen etwa seien rund 89 Prozent der Figuren weiß. Menschen mit Migrationshintergrund, die rund ein Viertel der bundesdeutschen Bevölkerung bilden, sind laut Studie deutlich unterrepräsentiert.“

+++ “Darf man mögen, was Trump-Wähler mögen?“, fragt die FAZ auf der Medienseite. So geht Unterzeile. Der zugehörige Text ist eine Rezension der Neo-Western-Serie “Yellowstone“ mit Kevin Costner. Die Serie, “offenbar besonders beliebt in republikanischen Hochburgen (derzeit entsteht die vierte Staffel), ist konservatives, melodramatisches Pokerface-Fernsehen für Menschen, die 'High Noon’ für den Gipfel alles Cineastischen, den Männlichkeitsapostel Jordan B. Peterson für einen Philosophen und das Leben für einen einzigen Kampf halten“, schreibt Oliver Jungen. Der die Ausgangsfrage – Darf man mögen, was Trump-Wähler mögen? – zu guter letzt bejaht: “Als Western“ funktioniere die Serie halt. “Was soll denn bitte Komplexität bei diesem Genre?“

Neues Altpapier erscheint am Mittwoch.

0 Kommentare