Altpapier vom 15. März 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier am 15. März 2022 Weiß bzw. leer

15. März 2022, 09:41 Uhr

Bilder vom Krieg in der Ukraine und seinem Verschweigen in Russland gehen viral. Bahnt sich zwischen ZDF und ARD Nachrichtensender-Streit an? Ist die Medienvielfalt in Bayern in Gefahr? Außerdem: Neues aus dem ZDF-Verwaltungsrat. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Bilder und Memes gegen Zensur und Krieg

Bilder zirkulieren und funktionieren schneller als Worte, als geschriebene zumal. Sehr viral geht gerade dieser Protest mitten in einer Nachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens. Und noch ein aktuelles Bildmotiv, das überall auf der Welt gesehen zu werden verdient (als Video wie z.B. in diesem Tweet oder als Foto/Screenshot wie in der "Berliner Zeitung") und auf Anhieb verstanden werden dürfte, obwohl auch da ein Schild eine wichtige Rolle spielt, das eine Frau während einer Demonstration hochhält, entstand im russischen Nischni Nowgorod.

Wenn es auf Dauer halbwegs gerecht zugeht, müsste dieses Bild ikonisch bleiben (und dass "Ikone" zumindest im Deutschen ein mit eher schönen Aspekten der russischen Kultur verbundener Begriff ist, darf gerne mitschwingen). Der Clou: Das Schild ist weiß, wenn man es als Bild betrachtet, bzw. leer, wenn man es als Text liest. Und dadurch, dass Polizisten die Frau abführen, wird es als Protest gegen Zensur universell verständlich. Natürlich können Bilder von unterschiedlichen Seiten zu unterschiedlichen Zwecken ge- oder missbraucht werden. Dieses dürfte als Protest gegen jegliche Zensur immer eindeutig bleiben.

Dass Bilder "durch ganz unterschiedliche politische Kontexte wandern", sagen zwei Forscherinnen von der TU Dresden im Interview, das die neue netzpolitik.org-Chefredakteurin Anna Biselli mit ihnen über ihr Forschungsprojekt zu memetischen Bilder führte. Darin geht es um Comicfiguren wie "Pepe the Frog", den etwa Trump-Anhänger und -Gegner sowie Demonstranten für die Demokratie in Hongkong verwandten, um Pinguine, die bei türkischen Demonstrationen zum Symbol wurden, oder um die "klassische David-gegen-Goliath-Bildformel". Solche positiven oder jeweils positiv gedeuteten Bild-Symbole können in Kriegen bestenfalls eine Seite der Medaille darstellen. Zerstörung, Verletzung und Tod sind die andere.

"Natürlich sollte man das Grauen des Krieges zeigen, auch mit drastischen Bildern, um die Dramatik zu dokumentieren. Aber das geht auch, wenn Gesichter nicht zu identifizieren sind. Meine Horrorvorstellung ist immer: Menschen, die Bilder von Angehörigen zum ersten Mal über die Medien sehen und vorher gar nicht wissen, was mit ihnen passiert ist",

sagt der Erlanger Medienethik-Professor Christian Schicha im Interview auf der "SZ"-Medienseite. Wozu Andrej Reisins anders argumentierende Abwägung "Warum wir zeigen sollten, was wir nicht sehen wollen", die gestern hier verlinkt wurde, ebenfalls lesenswert bleibt.

Zum Thema des ersten ausländischen Journalisten, der im Angriffskrieg gegen die Ukraine getötet worden ist (auch AP gestern), Brent Renaud, sprach Altpapier-Autorin Annika Schneider nun für Deutschlandfunks "@mediasres" mit Paul Ronzheimer, der in unmittelbarer Nähe war und die Evakuierung des verletzten Kollegen filmte. Ziel solcher Angriffe sei es, "für Panik zu sorgen nicht nur bei Zivilisten, sondern möglicherweise auch bei internationalen Berichterstattern", sagt der "Bild"-Reporter.

Öffentlich-Rechtlichen-Streit um Tagesschau 24?

Was immer man vom Springer und seinen Medien hält: "Bild"-Reporter Ronzheimer und sein Kriegsreporter-Gestus passen leider gut in den Krieg. "Ganz alleine würde ich glaube ich nicht hier bleiben", antwortet er auf die Frage, unter welchen Umständen er das scharf attackierte Kiew verlassen würde. Doch seien ja noch "viele internationale Berichterstatter, neben mir noch CNN, Fox News, BBC" dort.

Was zum Medienmedien-Thema führt, wer aus der Ukraine (wo Krieg tobt und weiter eskaliert wird) und aus Russland (wo kein Krieg tobt, aber neue Gesetze alle scharf bedrohen, die den Krieg als "Krieg" benennen) berichtet. Zum uebermedien.de-Überblick dazu vom Donnerstag gab es den Nachtrag, dass ARD und ZDF ihre Berichterstattung aus Moskau wieder aufgenommen haben. Bei einer Fernsehrats-Sitzung sprach ZDF-Chefredakteur Peter Frey von russischen "Signalen", denen zufolge "eine Präsenz westlicher Sender ... weiterhin erwünscht" sei (RND).

Überhaupt ist im ZDF Einiges los. Die Anstalt hat mit Norbert Himmler ja einen neuen Intendanten, und der gab zum Amtsantritt ein breit zitiertes dpa-Gespräch (ausführlich z.B. bei meedia.de und kress.de). Unter anderem sagt Himmler darin:

"Analysen und Einordnungen macht man besser mit kühlem Kopf aus Mainz oder Berlin."

Worüber sich natürlich streiten lassen wird... Zumindest in der Medienmedien-Nische verdient noch etwas, das Himmler und sein Vorgänger Thomas Bellut bei der Fernsehrats-Sitzung dezidiert ansprachen, Erwähnung. Zur ARD-Ankündigung, den digitalen Nebenbei-Sender Tagesschau24 zu einem vollwertigen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal auszubauen (Altpapier), gab es bislang wenig scharfe Kritik. Bertelsmann-Chef Rabe etwa verzichtete neulich ausdrücklich darauf, das Thema zu problematisieren. Wer das nun tut: das ebenfalls öffentlich-rechtliche ZDF.

"'Das ist zunächst mal eine Initiative der ARD. Irritiert hat uns der damit verbundene Hinweis auf Phoenix.' Himmler sagte: 'Der Auftrag des gemeinsamen Ereignis- und Dokumentationskanals darf nicht einseitig eingeschränkt werden'",

heißt es etwa in der meedia.de-Aufbereitung des dpa-Gesprächs. Zufällig sehr ähnlich zum selben Thema äußert sich gerade eine größere Nummer der Medienpolitik, der nordrhein-westfälische Staatskanzleichef Nathanael Liminski (der eine noch größere Nummer geworden wäre, wenn Armin Laschet die Bundestagswahl gewonnen hätte ...). Der "FAZ" gegenüber nennt er die Präsentation der ARD-Idee "unglücklich" und formuliert die Befürchtung, so ein Nachrichtensender könne  als "Feigenblatt" dienen, um in mehr eingeschalteten Sendern weniger zu informieren.

Zugleich läuft der Tagesschau 24-Ausbau bereits. Der "Tagesspiegel" hat festgestellt, dass ankündigungsgemäß tagsüber bereits ein eigenständiges, aktuelles Nachrichtenprogramm läuft:

"Stunde um Stunde hält Moderator Gerrit Derkowski die Zuschauer auf dem Laufenden, schaltet zu Georg Restle nach Lwiw oder zu Robert Kempe zum Flughafen von Winnyzja oder zum Frankfurter Börsenparkett ..."

Weshalb ebd. Joachim Huber per Kommentar "Informationskampf wird Informationskrampf" zum sich anbahnenden Öffentlich-Rechtlichen-Streit fordert,

"dass ARD und ZDF, beiderseits über den Rundfunkbeitrag finanziert, ihre Ressourcen nicht für den Kampf zwischen ihren Programmen, sondern für den Kampf um die beste Information investieren."

Schön formuliert. Andererseits, mit ihrem irrem Ausstoß an reihenweisen und seriellen Krimis konkurrieren ARD und ZDF ja seit Jahrzehnten vor allem gegeneinander um dasselbe Publikum, das sich so etwas anschaut. Das ist eine der wesentlichen Säulen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie er sich nun mal entwickelt hat. Sollten ARD und ZDF ohne medienpolitischen Druck von allein zu einer sinnvolleren Ausgestaltung ihrer insgesamt sehr zahlreichen, ziemlich oft vor allem aneinander orientierten Angebote kommen, wäre das eine Überraschung.

Wobei, eine bemerkenswerte Neuigkeit von der erwähnten ZDF-Fernsehrats-Sitzung muss unbedingt noch erwähnt werden: Fernsehratsmitglied Leonhard Dobusch, der durch bislang 83 Folgen der netzpolitik.org-Rubrik "Neues aus dem Fernsehrat" zu Transparenz und relativer Zukunftsfähigkeit des überkommenen Rundfunkgremien-Systems mehr beitrug als wohl sonst jemand, sitzt nun nicht mehr im Fernsehrat – weil er aus diesem Rat in den deutlich kleineren, deutlich einflussreicheren Verwaltungsrat gewählt wurde. Die Reihe "Neues aus dem Fernsehrat" kann und wird er dennoch fortführen, schreibt er in der 84. Folge.

Medienvielfalt auf russisch – und in Bayern

Sicherung der Medienvielfalt bzw. sogar der "Unabhängigkeit und Vielfalt" von Medien stand in letzter Zeit weniger im Zentrum der deutschen Was-mit-Medien-Gesetzgebung und der Umsetzung der komplexen Rechtslagen. Schließlich sind es ja längst eher die Fülle der Medienangebote und Fragen, ob welche davon, zum Beispiel staatlich russische Medien, Gesetze oder Plattformen-AGBs verletzen (Micha Hanfeld begrüßte just, dass "Youtube der russischen Kriegspropaganda den Stecker gezogen hat" ...). Aber jetzt!

Am vorigem Donnerstag wurde die "Novelle des Bayerischen Mediengesetzes zur langfristigen Sicherung der Unabhängigkeit und Vielfalt des privaten Rundfunks" beschlossen, um "die Vielfalt des Informationsangebotes in Bayern ab[zu]sichern", wie zunächst Springers businessinsider.de berichtete. So rasch beschlossen wurde das aus einem offenkundig sehr akuten Anlass. Es

"richtet sich gegen die Pläne von Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi, der mit seinem Konzern Media for Europe planen soll, die Mehrheit an ProSiebenSat.1 zu übernehmen."

Genau der Fall ist just gestern eingetreten. Also noch nicht die mehrheitliche Übernahme des börsennotierten P7S1-Konzerns, sondern bloß die von "mehr als einem Viertel der Aktien". Doch genau diese 25-Prozent-Schwelle wird in der Gesetzesnovelle ausdrücklich erwähnt. Von da an können die bayerischen Medienwächter solch einen Anteilskauf nun verbieten, "falls eine Gefährdung der Informationsvielfalt damit einherginge". Tatsächlich hat die BLM "ein bundesweites Prüfverfahren" eingeleitet (welt.de).

Angesichts der überschaubaren und insbesondere im Informationsbereich alles andere als steigenden Bedeutung der ProSiebenSat.1-Medien mutet das etwas grotesk an (und businessinsider.de meint dann auch, dass es um "viele Jobs" ginge, die im Zweifel von Unterföhring nach Mailand wandern könnten). Es zeigt aber, dass Bundesländer, wenn ihnen medienpolitisch auf einmal irgendetwas tatsächlich wichtig erscheint, zügig handeln können.

Aktuell wichtiger bleibt Medienvielfalt auf russisch und in Russland.

"The Kremlin blocked Meduza for telling the truth. But we continue to resist. Stand up for independent journalism!",

fordert der russischsprachige, aus Lettland betriebene Sender Meduza in einem viel beachteten europäischen Crowdfunding-Aufruf, den auf deutsch etwa krautreporter.de und die "Berliner Zeitung" unterstützen. Bei der BLZ heißt es:

"Kann man auf Meduza in Russland überhaupt noch zugreifen? Ja. Viele Russen haben Methoden entwickelt, um die Zensur zu umgehen. Sie nutzen Technologien, um zu verschleiern, dass ihre Online-Anfragen auf den Meduza-Inhalt aus Russland kommt, also VPN-Services oder Tor-Browser zum Beispiel."

Wobei die gut gemeinten, in ihren Auswirkungen ambivalenten Rückzüge westlicher Konzerne und russische Pläne, eigenständig "eine digitale Mauer" aufzubauen, perfekt ineinandergreifen – im Sinne des Putin-Regimes. Das beschreibt in der "taz" Fabian Kretschmer, etwa anhand solcher VPN-Dienste (die Identität und Standort verschleiern):

Kretschmer ist übrigens der China-Korrespondent der "taz" und schreibt darüber deshalb, weil genau solch eine digitale Mauer in China technisch gut funktioniert – wiederum im Sinne des Regimes und häufig ja mit Unterstützung westlicher Konzerne, die dort nur die Geschäfte machen, die ihnen gestattet sind.

Altpapierkorb (Medienkompetenz, neues Instituts-Konstrukt, Chefredakteur in den Vatikan, Netflix in Japan, Philippinen, "galoppierender Konsens", Digitalstrategie)

+++ Medienkompetenz ist "Der Schlüssel zur Welt", heißt es im neuen MEDIEN360G-Dossier hier nebenan unter der pfiffigen URL Lesen, Schreiben, Rechnen, Medien. +++

+++ Wie schafft man Medienkompetenz, außer durch Portale wie MEDIEN360G? Durch was-mit-Medien-Institute! Ein ganz neues ist das "Bonn Institute für Journalismus und konstruktiven Dialog", das eine größere Anzahl Partner gerade mit "Anschubfinanzierung" der (vom oben erwähnten Nathanael Liminski geleiteten) Staatskanzlei NRW ins Leben rief. Eine Projektbeschreibung etwa beim beteiligten RTL weckt mit viel Geblurbe ("Wenn es etwas gibt, das unser Publikum weltweit schätzt und von uns erwartet, dann ist es: Qualitätsjournalismus"/ "In einer Zeit, in der großartiger Journalismus mehr denn je gebraucht wird ...") Vorfreude. +++

+++ Ludwig Ring-Eifel kam als Chefredakteur der Katholische Nachrichten-Agentur KNA im November, anlässlich der Einstellung der "Medienkorrespondenz", im November hier vor. Nun gibt er in einem "überraschenden Wechsel" diesen Posten auf "und geht zum 15. August als Chefreporter und Leiter der Vatikan-Redaktion nach Rom", berichtet der "Kölner Stadt-Anzeiger". Ist so was in der katholischen Publizistik der ultimative Karrieresprung? Na ja, "Differenzen zwischen Chefredakteur und Geschäftsführung" gab es wohl auch. +++

+++ Das ist im "Informationskrampf" der ÖR-Sender mal sinnvolle lineare Sendeplanung: Die von der "FAZ"-Medienseite große  empfohlene Dokumentation "Selenskyj – Ein Präsident im Krieg" läuft heute um 22.50 Uhr im ARD-Programm und bereits um 20.15 auf Arte. +++ Außerdem berichtet in der "FAZ" Nina Rehfeld vom russischer Kriegs-Propaganda auf Tiktok ("... wirkt plump, ist aber vielleicht wirksam"). +++

+++ "Voraus galoppierender Konsens" sei "eine Schwäche von Paar-Podcasts", analysiert die "taz" aus dem neuen Ehepaar-Lobo-Podcast heraus ("Als Zu­hö­re­r:in wird man zur dritten Person am Tisch, auf die das Ehepaar einredet, bis man aufgibt"). +++ Auch noch lesenswert ebd.: Steffen Grimbergs Einschätzung zu den Presseverleger-Verbände-Querelen. +++

+++ Die vor allem englischsprachigen Philippinen als "eine Art Testlabor" für die "Informationskultur" sieht David Pfeifer auf der "SZ"-Medienseite. Da die sehr junge Bevölkerung "mehr als zehn Stunden am Tag" an Bildschirmen hänge (womit weniger Fernsehgeräte als Displays gemeint sind), könne Diktatoren-Sohn Ferdinand Marcos jr. die nächste Wahl gewinnen. +++

+++ Die japanische Netflix-Serie "The Journalist", in der es um eine Journalistin geht, erinnert Tina Stadlmayer an die Herablassung gegenüber Journalistinnen, die sie als Auslandskorrespondentin in den 90er Jahren dort auch spürte ("epd medien"). +++

+++ Und holla, die Digitalstrategie der neuen Bundesregierung wird bereits "zwischen den betroffenen Ministerien abgestimmt" und soll "bis zum Sommer stehen" (heise.de). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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