Das Altpapier am 3. Februar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Autor Klaus Raab kommentiert im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 6. Februar 2023 Filzpyramide und Testosteronschuppen

06. Februar 2023, 10:01 Uhr

Es gibt ein Ende und eine Fortsetzung der Schlesinger-Affäre. Die "FAZ" schöpft ein Wort zur Beschreibung des RBB-Skandals. Funke-Verlegerin Julia Becker sieht die Gleichberechtigung noch nicht am Ziel. Und Günter Wallraff zeigt, womit er zuhaut. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Über Wallraff, Klamroth und Neubauer

Es gibt sie noch, die bunten Medienthemen, die auch Leute erreichen, die sich – aus welchen verrückten Gründen auch immer – nicht für Rundfunkgremientalk interessieren. Die "Süddeutsche Zeitung", zum Beispiel, spielte für die Wochenendausgabe eine Runde Tischtennis mit Investigativjournalist Günter Wallraff, der, wie sodann zu erfahren war, auch Mineralien sammle und gerade an seinen Memoiren arbeite. Literarisch bemerkenswert vor allem das Detail, dass er, Wallraff, beim Tischtennis keine Rückhand spiele, weil der Schläger dafür zu abgenutzt sei: "Da, wo früher mal ein Belag gewesen sein muss, ist ein rötlich-braunes Muster zu sehen, das an organische Formen erinnert, Flechten vielleicht, oder an ein unscharfes Satellitenfoto von der Mars-Oberfläche." Das Medienmuseumsstück des zurückliegenden Wochenendes: Das ist es.

Mit blattmacherischem Augenfunkeln weitergeführt wurde zudem eine Debatte über das Privatleben von "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth (Altpapier). Seine von ihm öffentlich gemachte Beziehung zu Klimaaktivistin Luisa Neubauer verunmöglicht ihn zwar immer noch nicht als Fernsehdiskussionsleiter. Und selbst die "Bild" hat ihre ausführliche Beschäftigung mit dem Thema mittlerweile vorübergehend eingestellt, seit Kolumnist Franz-Josef Wagner nach der letzten Sendung verfügt hat, Klamroth habe zwar als kleiner Junge besser ausgesehen, sei aber als Moderator zuletzt "wunderbar neutral" gewesen. Für das eine oder andere Pro und Contra zur Frage "Soll Louis Klamroth weiter ‚Hart aber fair‘ moderieren?" reichte es wochenends aber doch noch.

Dass man theoretisch auch anders, vor allem härter über "hart aber fair" selbst diskutieren könnte, wie Tobias Rüther in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" vorschlägt (nur mit Abo lesbar), sei als Gedanke hier aber zumindest noch festgehalten:

"‚hart aber fair‘ hatte mittwochabends im Dritten vielversprechend begonnen, dann über die Jahre und nach dem Wechsel ins Erste so stark abgebaut, was intellektuelle Komplexität angeht, dass es jetzt eigentlich naheliegender gewesen wäre, sich nach Plasbergs Abgang etwas ganz Neues zu überlegen für den Montagabend. Statt jetzt aber darüber zu diskutieren, warum die ARD in ihrem diversen Moderationsnachwuchs niemanden finden wollte, der oder dem man diese Chance auch hätte geben können, geht es seit Wochen um Klamroths Privatleben und die Frage, ob er befangen sein könnte."

"Zäsur" und Fortsetzung im Schlesinger-Skandal

Kommen wir aber nun zu einem Thema aus dem Bereich, den manche Redakteurinnen und Redakteure "Graubrot" nennen, weil man es manchmal einfach auftischen muss, obwohl der Zuckerguss fehlt. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg ist mal wieder in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Am Samstag stand sein Name gleich oben links in der ersten Meldung auf Seite 1 der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Und damit auch wirklich alle Leserinnen und Leser direkt wussten, mit wem sie es zu tun haben, wurde auch ein einordnendes Charakteristikum mitgeliefert: "der von einem Skandal erschütterte Rundfunk Berlin-Brandenburg" – so stand es im ersten Satz.

Aber worum ging es nun? Einerseits wurde die Agenturnachricht aufgegriffen, dass der RBB die Ära des Skandals nach eigener Darstellung quasi beendet haben könnte: Der RBB habe "die letzten beiden Direktoren entlassen, die zur Geschäftsführung der fristlos gekündigten Intendantin Patricia Schlesinger gehörten", hieß es. (Diese beiden Direktoren sind Verwaltungschef Hagen Brandstäter und Betriebsdirektor Christoph Augenstein, zuletzt im Altpapierkorb vom Donnerstag.) Und die neue interimsmäßige Intendantin, Katrin Vernau, wurde in dem Zusammenhang mit den Worten "Zäsur" und "Neuanfang" zitiert, aus denen wohl der Wunsch spricht, man möge an der Masurenallee mal wieder in ruhigere Fahrwasser zu schwimmen. Vielleicht hülfe dafür ja ein Neufang in der Zäsurenallee.

Andererseits wurde in der "FAZ" aber zugleich Material zitiert, mit dem der Skandal fortgeschrieben wird: Der ehemalige Lebensgefährte der ehemaligen Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen soll vom RBB einen Beratervertrag über 15.000 Euro erhalten haben, "um die damalige Intendantin Schlesinger auf dem politischen Parkett in Berlin einzuführen". Eingefädelt worden sei der Deal vom damaligen RBB-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf, dessen Namen man im Zug der Schlesinger-Affäre schon gehört hat (Altpapier-Jahresrückblick). Wolf wiederum sei von Ramona Pop kurz zuvor als neuer Aufsichtsratschef der landeseigenen Messe Berlin vorgeschlagen worden. (Die allerdings sagt, sie habe von dem Beratervertrag nichts gewusst und ihre politische Position also nicht ausgenutzt.)

Womit wir nun mal mitten reingehen in die "FAZ": auf Seite 16, dorthin, wo Medienredakteur Michael Hanfeld die knappen Meldungszeilen von Seite 1 zum Artikel ausbaut. Dort steht zum einen, wo die Sache mit Wolf, Pop und Schlesinger zuerst stand – in Springers "Business Insider" nämlich, also in dem Medium, das den Schlesinger-Skandal im Sommer ins Rollen brachte.

Zum anderen bietet Hanfeld eine Interpretation der Geschehnisse an, die sich nicht mit der von RBB-Intendantin Katrin Vernau deckt. Sein erster Satz lautet: "Die Geschichte des RBB-Skandals ist noch lange nicht ‚auserzählt‘. Wäre dies eine Serie, befänden wir uns am Beginn der zweiten Staffel mit dem Episodentitel: ‚Die Aufarbeitung’." Er setzt damit Vernaus "Zäsur" eine andere Deutung entgegen.

(Am Rande erwähnenswert: Hanfeld schöpft im Verlauf seines Texts für den RBB-Skandal das Wort Filzpyramide. Google kannte das bis zum Wochenende nur im Zusammenhang mit Weihnachtshandwerk.)

Wo man zwischen Zäsur und Aufarbeitung steht, erfährt man im Berliner "Tagesspiegel", der sich aus naheliegenden Gründen sehr regelmäßig mit den Vorgängen in der Berlin-Potsdamer Rundfunkanstalt beschäftigt. Er nahm den Stand der Dinge im kontrollierenden RBB-Rundfunkrat in den Blick, wo man demnach über die im RBB auflaufenden hohen Anwaltskosten (Altpapier) und die Aufarbeitungsdauer streitet. Mittendrin im Text steht eine Stellungnahme des Rundfunkratsmitglieds Dieter Pienkny, die sich zu zitieren lohnt: "Billige, schnelle und effektive Arbeit von den externen Juristen zu erwarten, sie angesichts der Herausforderungen weltfremd. ‚Wir machen uns als Gremium lächerlich, wenn als Ergebnis nur herauskommt, da wurden drei Abendessen widerrechtlich abgerechnet.‘"

So kann man es wahrscheinlich auch sehen: dass die juristische Aufarbeitung eines Skandals mit so vielen Facetten einfach so viel kostet, wie sie kosten muss. Vielleicht, so könnte man Pienknys Aussage unter Umständen deuten, sollte man im RBB doch lieber an anderer Stelle sparen als an dieser.

"Testosteronschuppen", das war einmal

Die "Süddeutsche" veröffentlichte am heutigen Montag, online nicht ohne den "SZ"-Plus-"Exklusiv"-Stempel, einen Text von Julia Becker, der Aufsichtsratsvorsitzenden, Gesellschafterin und Verlegerin der Funke-Mediengruppe. Funke, das ist die Gruppe, für die es bei "Übermedien" vor einiger Zeit einmal eine eigene Rubrik gab, die "Neues aus der Funke Schleichwerbegruppe" hieß. Aber darum geht es in dem Fall nicht. Und um die Yellow-Blätter der Funke-Mediengruppe, die noch nie Geschichten-an-den-Haaren-herbeizieh-Gruppe hieß, geht es auch nicht. Julia Becker schreibt vielmehr darüber, dass Verlage früher Männerunternehmen gewesen seien – es heute aber nicht mehr sind:

"Ein Testosteronschuppen ist Funke heute nicht mehr, und diese Entwicklung kann man in der gesamten deutschen Medienbranche erkennen. In den Redaktionen großer Zeitungen und Zeitschriften ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen deutlich gestiegen. (…) Das macht Mut. Aber wir sind noch nicht am Ziel."

Daneben, oder eigentlich vor allem, erinnert Becker in ihrem Text an den, neutral gesagt, Fall des mittlerweile ehemaligen "Bild"-Chefredakteurs Julian Reichelt, dessen Chef, Dr. Mathias Döpfner, dem Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger vorstand. Becker kommt daher auf den Umgang der deutschen Verleger mit dem Fall zu sprechen; und mit dem generischen Maskulinum sind sie in dem Fall in Beckers Sinn korrekt beschrieben. Sie meint nämlich:

"Wir haben im vergangenen Jahr den Versuch des kollektiven Beschweigens eines brutalen Machtmissbrauchs gegenüber Frauen in der Medienbranche erlebt. Es war unerträglich, weil es die Leiden der betroffenen Frauen noch vergrößert, das geschehene Unrecht verstärkt und auch weil es unsere Branche beschmutzt. Die Herren an der Spitze unseres Zeitungsverlegerverbandes wollten sich nicht so gerne in ihrer routinierten Tagesordnung stören lassen und schwiegen. Spätestens da ist klar geworden, dass der Verband dringend einer Erneuerung bedarf: einer Erneuerung vor allem der Kultur und führenden Köpfe, aber auch der Strukturen."

Funke hat den Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger im vergangenen Jahr bekanntlich verlassen (Altpapier).


Altpapierkorb: Vorwürfe gegen Tamedia-Vorgesetzten, Nähe von PR und Journalismus, Lineares und Streaming, RT, Radio multicult.fm

+++ Der "Spiegel" hat entschieden, einen Artikel von Anuschka Roshani zu veröffentlichen, in dem die ehemalige "Spiegel"-Mitarbeiterin und spätere Redakteurin des Schweizer "Magazins" (Tamedia) Vorwürfe des Sexismus, Machtmissbrauchs und Mobbings gegen ihren Schweizer Vorgesetzten erhebt, den sie auch namentlich nennt. Die Vorwürfe sind drastisch. Der "Spiegel" schreibt, er habe der journalistischen Sorgfalt "selbstverständlich entsprochen und sich nicht allein auf Roshanis Angaben verlassen". Der Anwalt des Tamedia-Vorgesetzten wird mit dem Satz "Die Vorwürfe treffen nicht zu und werden vehement bestritten" zitiert.

+++ Die "Süddeutsche" ergänzt am heutigen Montag, ihr liege eine interne Stellungnahme der Tamedia-Geschäftsleitung an die Belegschaft vom Sonntag vor. Darin würden Geschäftsführer Andreas Schaffner und Geschäftsleitungsmitglied Mathias Müller von Blumencron schreiben, "dass es in der Vergangenheit Versäumnisse gegeben hat und dass die Aufklärung in diesem Fall zu lange gedauert hat".

+++ Im Interview mit "Breitband" vom Deutschlandfunk Kultur sprach Altpapier-Kollege René Martens über die Nähe von Journalismus und politischer PR. Anlass waren etwa die Fälle des Kanzlerinterviews von Linda Zervakis, die vom Kanzleramt selbst als Interviewerin ausgesucht worden war (Altpapier) und der Wechsel von ARD-Hauptstadtstudio-Journalist Michael Stempfle ins Verteidigungsministerium (Altpapier).

+++ Ob schon bald eine Fernsehshow vom Linearen ins Streaming rübermacht, damit beschäftigt sich Peer Schader in seiner dwdl.de-Kolumne. Anlass dafür gibt es: Die US-Version von "Let's Dance" läuft jetzt bei Disney, wie Schader schreibt.

+++ "Die deutsche Firma hinter dem hiesigen Ableger des russischen Staatssenders RT (vormals: Russia Today) hat bekannt gegeben, ihre journalistische Tätigkeit zu beenden." Auf den Seiten des Redaktionsnetzwerks Deutschland stehen die nicht unkomplexen Hintergründe. Relevant im Ergebnis ist rnd.de zufolge dies: "Der Betrieb sowohl des Internet-Fernsehprogramms als auch der Website soll weitergehen. Das Angebot wird schon seit Längerem offiziell aus Moskau betrieben."

+++ Einige erinnern sich vielleicht daran, dass der Rundfunk Berlin-Brandenburg einst einen Hörfunksender namens Radio Multikulti betrieben hat, der regionale Musik aus aller Welt spielte und auch sonst nicht unoriginell war. 2008 wurde der Sender aus finanziellen Gründen abgewickelt. Der RBB musste 54 Millionen sparen; einen kleinen Teil davon brachte Radio Multikulti. Nachdem der öffentlich-rechtliche RBB seinerzeit also ausgerechnet ein Programm eingespart hatte, das kein privater Anbieter mit Gewinnabsicht auf die Beine stellen würde, kooperierten WDR, Radio Bremen und RBB und begannen als quasi gemeinsames Hörfunkprogramm Funkhaus Europa zu senden, heute Cosmo. Immerhin. In Berlin aber gründete sich ein kleines nichtkommerzielles Hörfunkprojekt, Radio Multicult.fm. Das wurde staatlich gefördert, ist aber nicht staatlich. Nun müsse Multicult.fm wohl Insolvenz anmelden, berichtet der Berliner "Tagesspiegel".

Das Altpapier vom Dienstag schreibt Christian Bartels.

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