Kolumne: Das Altpapier am 14. Juni 2023 Recherche ist überlebenswichtig
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14. Juni 2023, 12:50 Uhr
Verstehen zu viele Redakteure der ARD-Mediathek zu wenig von Journalismus und vom Filmemachen? Ist Verlinken jetzt doch wieder ein Verbrechen? Droht Drehbuchautoren Konkurrenz von Kollege KI? Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Ernst ist wieder in
Die Studie "Journalistische Grenzgänger: Wie die Reportage-Formate von "funk" Wirklichkeit konstruieren" kam im Altpapier bereits zweimal ausführlich vor - in diesem und diesem. Mehrmals auf die Untersuchung Bezug nimmt nun die aktuelle Episode von "Läuft", dem Podcast von "epd medien" und Grimme-Institut. "Georg Restle über unterhaltsamem Journalismus als Trend" lautet der Titel, und der Redaktionsleiter von "Monitor" spricht hier sowohl über Unterhaltungsformate mit journalistischen Inhalten ("ZDF Magazin Royale" und "Reschke Fernsehen"), als auch über journalistische Formate, die im weiteren Sinne Unterhaltsamkeit anstreben (also solche, die Thema der "Grenzgänger"-Studie der Otto-Brenner-Stiftung sind).
Restle sagt, sein "Journalismus-Verständnis" grenze sich "klar ab von Unterhaltung". Er habe einen Trend dahin beobachtet, dass "journalistische Inhalte in einer Art und Weise unterhaltsam oder unhaltend" so "verpackt" würden, dass Information, Seriosität (und) Ernsthaftigkeit" darunter "gelitten" hätten. "ZDF Magazin Royal" und "Reschke Fernsehen seien "wunderbare Formate", sie dürften "aber nicht zu einem Leitbild werden für einen Journalismus, der in dieser Gesellschaft ernst genommen werden will".
Und er habe auch kein Problem mit den "subjektiven", "emotionalen" und "protagonistengetriebenen" Formaten von "funk", so lange sie im Erfolgsfall nicht zum Maß aller Dinge erklärt werden. Eine Erkenntnis der "Grenzgänger"-Studie ist ja, dass in den untersuchten "funk"-Formaten politische, wirtschaftliche und internationale Themen unterrepräsentiert sind. Vermutlich ist das (unter anderem) so, weil diese Inhalte nicht zur Form passen.
Restle nennt in dem Podcast ein Beispiel für ein Thema, bei dem der Ansatz "anekdotische Evidenz über einzelne Protagonisten" nicht funktioniert:
"Das Flüchtlingsproblem im Mittelmeer, die Frage der Zusammenarbeit mit libyschen Küstenwachen und die Rolle der Europäer dabei - das lässt sich mal nicht so eben nebenbei mit einer Reportage vor Ort erklären, da hängen so viele Player dran, so viele Interessen (…), und die zu benennen, (…) ist uns auch wichtig. Und das dann eben auch immer ein Stück Abstraktion, und diese Abstraktion dann verständlich darzustellen, auch mit filmischen Mitteln, das ist die Kunst, und das nehmen wir uns vor."
Man kann an dieser Stelle noch ergänzen, dass die Redaktion von "Monitor" sich diesen Themenkomplex beständig widmet. Siehe dazu zum Beispiel den Altpapier-Jahresrückblick 2018. Und Sendungs-Beiträge aus dem April 2021, dem August 2021 und dem Juli 2022.
Es gebe "einen Trend zurück zur Ernsthaftigkeit", sagt Restle dann auch noch, und zwar mit Blick auf die Abrufzahlen für die eigenen Angebote. Die instruktivsten Passagen dieser "Läuft"-Ausgabe sind die, in denen Restle aus dem Nähkästchen plaudert:
"Wenn wir mit den Kollegen von der Mediathek in München sprechen, die sagen dann auch: Warum seid ihr nicht emotionaler, warum seid ihr nicht protagonistengetriebener, wozu braucht ihr so viel Text in euren Filmen?"
Ich hatte jetzt schon öfter - anhand von Gesprächen mit einigermaßen frustrierten Filmemachern und Redakteuren von Landesrundfunkanstalten - den Eindruck, dass wichtige Positionen in der ARD-Mediathek mit Leuten besetzt sind, die nicht wissen, was öffentlich-rechtlichen Journalismus und öffentlich-rechtliches Filmemachen ausmacht. Das scheint mir ein großes Problem zu sein.
Und dann stichelt Restle noch ein bisschen gegen die Landesrundfunkanstalt, bei der er beschäftigt ist:
"Wenn ich sehe, wie Formatentwicklungen beispielsweise im WDR stattfinden, nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Digitalen, habe ich schon die Sorge, dass dieser knochenharte Journalismus, für den wir stehen - investigativ, aufwändig, das macht man ja nicht von heute auf morgen, das kostet ja auch Geld -, dass (diese) Form von Journalismus (…) unter die Räder zu kommen (droht), weil man da ja auch nicht immer sofort den Erfolg sieht. Das sind ja sehr langwierige Prozesse. Wir recherchieren zum Teil Monate, manchmal Jahre."
"Recherche", sagt Restle schließlich, sei "die Überlebensgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der neuen Unübersichtlichkeit", und das ist mir dann vielleicht doch ein bisschen zu sonntagsredenhaft.
Umbenennung in Mainz
"Der zentrale Platz vor dem ZDF-Sendegebäude braucht einen neuen Namen" - so lautete eine Zwischenüberschrift im Februar im Altpapier. Das bezog sich auf eine vom ZDF publik gemachte Untersuchung, die ergeben hatte, dass der Gründungsintendant Karl Holzamer falsche Angaben unter anderen zu seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und der SA gemacht hatte. Jener Intendant also, nach dem man 17 Jahre zuvor noch einen Platz auf dem Sendegelände benannt hatte. Unter anderem schrieb ich damals:
"Die Frage, warum die Sache mit der NSDAP-Mitgliedschaft nicht schon früher jemand überprüft hat, liegt hier natürlich nicht fern (…) Nun wird man ihn halt schleunigst umtaufen müssen, denn es sollte Grundkonsens sein, dass Straßen und Plätze nicht nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern benannt sein können. Einen würdigen Namensgeber zu finden, kann ja nicht so schwer sein."
Nun hat das ZDF laut "Tagesspiegel" reagiert - auf den Missstand der verunglückten Benennung, vermutlich nicht auf unsere damalige Zwischenüberschrift - und dem Platz wieder den Namen gegeben, den er vorher hatte: "Platz der Köpfe". Etwas mehr Gehirnschmalz hätten die Verantwortlichen da schon investieren können. Den Platz nach einer Antifaschistin oder einem Antifaschisten zu benennen - das wäre ein Signal gewesen.
In der in der vergangenen Woche erschienen Ausgabe des "Freitag" bin ich bereits auf das posthume Platzbenennungsgeschenk von 2006 eingegangen:
"Heute bleibt als Bilanz des Geschenks: Zu Zeiten, in denen es langsam normal geworden war, darüber zu diskutieren, ob nach NSDAP-Mitgliedern benannte Straßen und Plätze umbenannt werden sollten, hatte sich das ZDF noch entschieden, einen Platz nach einem NSDAP-Mittglied zu benennen."
Ein genereller Ausgangspunkt meines "Freitag"-Textes ist, dass in der Diskussion über "Kontinuitäten und Diskontinuitäten von Personen, Weltbildern, gesellschaftlichen Strömungen, öffentlichem Denken und politischen Entwicklungen von der Zeit des Nationalsozialismus bis in die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik (…) eigenständige Forschungsprojekte zu bedeutenden Medien und deren 'Machern‘" fehlten. Das hatte das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) im Vorfeld einer Tagung festgestellt, die im April in Berlin stattfand.
Skandal in Stuttgart
"Der hat sein Examen wohl auf dem Dom gewonnen", lautet eine in Hamburg halbwegs verbreitete Redensart, die sich auf nur schwer nachvollziehbar handelnde Juristen bezieht. In Stuttgart gibt es sie offenbar auch, jedenfalls scheint das dortige Oberlandesgericht der Auffassung zu sein, dass - um eine im Altpapier schon öfter gefallene Formulierung aufzugreifen - Verlinken ein Verbrechen sein kann.
Es geht um das staatliche Vorgehen gegen den Sender Radio Dreyeckland (RDL) und insbesondere dessen Mitarbeiter Fabian Kienert. Die taz bringt einen dpa-Text zur aktuellen Entwicklung:
"Dem Journalisten wird vorgeworfen, durch die Verlinkung einer Internetseite weiteres Handeln einer verbotenen Vereinigung unterstützt zu haben. Angeklagt ist er wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot, wie das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) am Montag mitteilte. Die Anklage der Staatsanwaltschaft war in erster Instanz vom Landgericht Karlsruhe nicht zugelassen worden. Gegen den Beschluss hatte die Anklagebehörde Beschwerde eingereicht."
RDL berichtete über die Stuttgarter "Skandalentscheidung" am Dienstag in der Sendung "Punkt12". Und in einem Thread der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) äußert sich deren Jurist David Werdermann:
"Die Verlinkung der Archivseite ist keine Propaganda, sondern gehört zu den Aufgaben der digitalen Presse. Nur so können Leser*innen sich selbst informieren und eine Meinung bilden."
Der betroffene Redakteur Fabian Kienert schließlich meint:
"Die baden-württembergische Justiz braucht offenbar Nachhilfe in Sachen Pressefreiheit."
64 Wiederholungen nützen einem Autor nix
Heute ist "Screenwriters Solidarity Day". Weltweit veranstalten Drehbuchautorenverbände Aktionen zur Unterstützung der streikenden Kolleginnen und Kollegen und den USA (Hintergrund: Zeit Online). Die SZ hat das zum Anlass genommen, mit Annette Hess und Volker A. Zahn vom Deutschen Drehbuchverband (DDV) zu sprechen.
Erst einmal geht es um die finanziellen Verhältnisse hiesiger Drehbuchautoren. Zahn sagt:
"Für einen Tatort sind das derzeit etwa 86 000 Euro, für einen Mittwochsfilm etwa 66 000 Euro. Das klingt erst mal nach viel Geld, aber es ist der Ertrag für zwei, drei und manchmal noch mehr Jahre Arbeit. Da landet man schnell bei einem Stundensatz, der unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt."
Und nachdem Hess erwähnt hat, dass sie für die Ausstrahlung der von ihr geschriebenen ARD-Serie "Weißensee" bei Netflix "keinen Cent" sieht, sagt er:
"Generell sichern sich die Sender mit Buy-out-Verträgen fast sämtliche Rechte an unseren Stoffen (…) Eine Kollegin hat sage und schreibe 64 Wiederholungen ihres ARD-Films gezählt, ohne dafür auch nur einen einzigen Cent bekommen zu haben."
Mit düsteren Aussichten wartet Zahn auch auf:
"Es klingt wie Zukunftsmusik, aber dieses Szenario ist durchaus realistisch: Annette denkt sich eine neue Serie aus, entwirft den Staffelbogen, arbeitet die Charaktere aus - und dann bezahlt der Produzent lediglich das Konzept und lässt durch eine KI die Bücher ausformulieren. Es ist kein Wunder, dass beim Streik unserer amerikanischen Kolleginnen und Kollegen auch die Frage, wie wir unsere Urheberrechte gegen einen unkontrollierten Missbrauch durch KI schützen können, eine große Rolle spielt."
Altpapierkorb (unseriöse Umfrage unter RBB-Mitarbeitenden, Juliane Leopold zieht zurück, anwaltliches Hü und Hott in Sachen Rammstein)
+++ Stefan Niggemeier geht für "Übermedien" auf einen am Dienstag hier kurz erwähnten "Tagesspiegel"-Artikel ein, der das zu Gunsten von Jan Weyrauch ausgefallenen Ergebnis einer Umfrage unter RBB-Mitarbeitenden zu den Kandidaten für das Intendantenamt feiert - obwohl die Umstände der Umfrage fragwürdig waren und die Zahl der Teilnehmenden gering. Bei einer Versammlung via Teams, bei der sich die Kandidatinnen der Kandidat vorgestellt hatten, habe, so Niggemeier, "ein Mitarbeiter auf eigene Faust eine Umfrage angelegt: 'Welcher Kandidat/Welche Kandidatin für die Intendanz hat sie [sic!] in der heutigen BV überzeugt?' (…) Während einige schnell abstimmten, äußerten andere Bedenken – prinzipiell, aber auch was die Technik angeht: Es blieb unklar, ob es möglich war, mehrfach abzustimmen. Niggemeier zitiert darüber hinaus einen Chat-Teilnehmer ("Ich finde das unseriös. Im Programm würden wir eine Umfrage auf so einer Basis nicht verwenden") und labt sich am Stilblütenhonig des "Tagesspiegel"-Autors Joachim Huber.
+++ Eine der Kandidatinnen, die bei der Vorstellung via Teams noch dabei war, hat schon in den Sack gehauen. Juliane Leopold teilt bei Linkedin mit: "Der Kern meines Angebots für den RBB ist die digitale Transformation des Journalismus des RBB und seine konsequente Ausrichtung auf die starke regionale Verankerung in Berlin und Brandenburg (…) Zumal der Umbau zu digitalen Medienhäusern andernorts längst Gegenwart ist (…) Aber - und das ist ein Aspekt, den ich erst in den vergangenen Tagen verstanden habe - ich glaube, dass es im RBB gerade Fragen gibt, die mit größerer Priorität im Fokus stehen." Der RBB-Rundfunkratsvorsitzende Oliver Bürgel "bedauert sehr", dass sich Leopold zurückzieht (Pressemitteilung)
+++ Ein anwaltliches "Hü und Hott" in Sachen Rammstein beschreibt Johannes Eisenberg, der Anwalt der taz: "Die taz hat am 11.6.2023 eine 'presserechtliche Abmahnung' von Hamburger Anwälten erhalten. Sie wollen im Namen der Band Rammstein der taz gewisse Aussagen verbieten. Bei den Anwälten handelt es sich jedoch um andere als die medial präsenten juristischen Vertreter des Sängers Till Lindemann, die rechtliche Schritte angekündigt haben. Die unterschiedlichen Abmahnungen, die bisher vorliegen, widersprechen sich teilweise."
Das Altpapier am Donnerstag kommt vom Autor der heutigen Kolumne.