Kolumne: Das Altpapier am 27. Juni 2023 Medien-Traumberuf Moderator? Na ja
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27. Juni 2023, 11:10 Uhr
Content-Moderatoren werden von Auftraggebern wie Facebook zum Schweigen gezwungen. Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir macht Medienpolitik. Der Steuerzahlerbund nimmt die Landesmedienanstalten aufs Korn. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Content-Moderatoren mal im Blickpunkt
Moderator ist ein Medien-Traumberuf. Wer eine Quiz- oder besser noch eine politische Talkshow moderiert, kann sich regelmäßig wichtige Gäste aus Politik, Gesellschaft, Kultur, Pipapo einladen und dann neben interessanten Zeitgenossen wie, nur zum Beispiel, Harrison Ford oder Olaf Scholz glänzen. Und natürlich eine eigene Produktionsfirma gründen, die die eigenen Sendungen staffelweise über viele Jahre für öffentlich unbekannte, aber hohe Summen herstellt.
Allerdings gibt's auch noch einen völlig anderen Medienberuf mit ziemlich ähnlichem Namen, nämlich "etwa 5000 Content Moderatoren, die in Deutschland arbeiten". Dabei geht es darum, vor allem zu gewalthaltige Bilder möglichst schnell aus den unendlichen Inhalteströmen sog. sozialer Medien herauszufiltern. "Sie sind menschliche Filter", umschreibt die Gewerkschaft Verdi den Beruf, der auf Englisch, wohl treffender, auch "Internet Cleaner" heißt. Einer dieser Content-Moderatoren heißt Cengiz Haksöz und berichtete vor knapp zwei Wochen im Digitalausschuss des Bundestags von dieser "hässlichen, unbequemen Arbeit", die er für die Plattformen des Datenkraken Meta/Facebook leistet. Beziehungsweise leistete:
"Angestellt ist Haksöz ... nicht bei dem großen Social-Media-Anbieter, für den er Inhalte filtert, sondern bei Telus International, einem Anbieter für digitale Dienstleistungen. Telus International ist eine kanadische Firma, hat aber auch einen Standort in Essen, wo Haksöz arbeitet. Seit Dienstag darf er nun nicht mehr zur Arbeit kommen",
meldete tagesschau.de am Abend des vergangenen Donnerstags. Die Gewerkschaft sieht einen Zusammenhang mit einer im Juli geplanten Betriebsratswahl, netzpolitik.org sieht einen "Frontalangriff auf die Demokratie". Jeweils zitiert wird eine bemerkenswerte Telus International-Mitteilung ans ARD-Hauptstadtstudio: "Die kürzlich von unserem Teammitglied im Bundestag und in den Medien erhobenen Vorwürfe spiegeln nicht korrekt die Realität unseres Geschäfts wider". Tatsächlich bezeichnet Telus sich (auf der Plattform seines Auftraggebers Facebook) als "the #FeelGoodCompany" und schwadroniert im eigenen Internetauftritt von "Caring Culture" und "Customer Experience Excellence".
Tagesaktuell kann Michael Hanfeld im Aufmacher der "FAZ"-Medienseite aktualisieren, dass Telus inzwischen "mit Haksöz und seinem Anwalt im Gespräch darüber" sei, "dass er den Zugang zur Firma erhalte, den er für die Vorbereitung der für den 7. Juli geplanten Wahl eines Betriebsrats benötige". Was eher nach Einhalten des Betriebsverfassungsgesetzes als nach einer grundsätzlichen Lösung klingt.
Aufmerksamkeit verdient in dem Zusammenhang ein bisher wenig beachtetes, Mitte Juni auf englisch und deutsch veröffentlichtes Manifest der in Deutschland arbeitenden Content-Moderatoren. Diese fordern außer einer "Gefahrenprämie" und "angemessener psychologischer Betreuung" auch:
"Die Kultur der Geheimhaltung und der Einschüchterung muss ein Ende haben. Wir werden gezwungen, Geheimhaltungsvereinbarungen zu unterzeichnen, die uns zum Schweigen zwingen sollen. Keine Geheimhaltungsvereinbarung kann uns legitimerweise davon abhalten, Bedenken über die Bedingungen unserer Arbeit zu äußern"
Interessant ist überdies die Liste der vielen anonymen, manchmal wohl pseudonymen ("Orban Viktor") Unterzeichner. Die meisten arbeiten am Standort Essen und für Telus. Oft taucht auch die Firma Majorel auf. Falls die Ihnen gerade nichts sagt: Das ist eine Nicht-mehr-Bertelsmann-Firma, von der derzeit auch im Zusammenhang mit bei einem Cyberangriff gestohlenen Kundendaten einer Krankenkasse (golem.de), darunter Bankverbindungen, die Rede ist. Wobei der erfolgreiche Angriff dem "externen Dienstleister, der das Bonusprogramm des Unternehmens abwickle", Majorel (spiegel.de), galt.
Medienpolitik des Landwirtschaftsministers
Was all das auch zeigt: Die Plattform-Unternehmen, die die größten Profite aus Medienmärkten wie dem deutschen ziehen, und ihre international verschachtelten Dienstleister müssen sich um die eher hilflosen Bemühungen des Bundestags nicht groß scheren.
In der Bundespolitik geht vieles nicht schnell, im Medien-Bereich schon gar nicht. Das hängt einerseits damit zusammen, dass Medien oft Ländersache sind, andererseits damit, dass viele Bundesministerien mit vielen Abteilungen mitreden und alle Regierungsfraktionen sich einigen müssen. Aktuell befasst sich mit einem Medien-Thema das Bundeslandwirtschaftsministerium, zu dem traditionell die Ernährung gehört. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will Werbung für "Produkte mit zu viel Zucker, Salz oder Fett" in Medien, die sich an Kinder richten, einschränken bis verbieten. Und hat seinen ersten Gesetzentwurf nach viel erwartbarer Kritik verändert:
"Wir konzentrieren uns bei den Sendezeiten nun auf die Kinder-Primetime – also auf die Zeitfenster, in denen besonders viele Kinder sehr viel schauen. Unser Vorschlag: Die Werbeeinschränkung für ungesunde Lebensmittel soll wochentags von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr gelten. Im ersten Entwurf war 6 bis 23 Uhr an allen Tagen vorgesehen. Im Hörfunk verzichten wir auf eine Sendezeit-Regelung. Was Angebote im Internet angeht, sind alle gängigen Kanäle betroffen und auch Influencer, deren Inhalte zunehmend von Kindern konsumiert werden",
sagt Özdemir im Interview der "Rheinischen Post" (Zusammenfassung bei dwdl.de). Die Veränderungen des grünen Ministers reichen dem Koalitionspartner FDP aber weiterhin nicht aus, meldet die Agentur epd und zitiert den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki – nicht unbedingt ein Medien-Experte, aber ein beliebter Talkshow-Gast – mit der Aussage, das sei "politischer Aktionismus".
Die FDP ist aber nicht der einzige Akteur, der die "Werbeeinschränkung" (Özdemir) als "Verbot" bezeichnete und protestierte. Die Landesmedienanstalten taten es auch, wegen "potenziell erheblichen negativen Auswirkungen auf die Finanzierung privater Rundfunkanbieter". Wobei Özdemirs neuer Entwurf den Einwänden dieser Anstalten, etwa was "Umfang und Reichweite" der Verbote/ Einschränkungen angeht, entgegenkommt. Wahrscheinlich wird dieses Gesetz also kommen. "Politischer Aktionismus" ist der FDP ja auch nicht fremd – sondern ein wichtiger Treibstoff für privatwirtschaftliche wie für öffentlich-rechtliche Medien.
Wie werden eigentlich Medienwächter gewählt?
A propos Medienanstalten: Für "epd medien" hat Karsten Packeiser die Umstände der kürzlich (Altpapierkorb) erfolgten, auch per Livestream ins Netz gesendeten Wiederwahl des rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalts-Direktors Marc Jan Eumann unter die Lupe genommen. Zwar gab es, wie bei Wahlen stets sinnvoll, mehrere Kandidaten. Doch
"... selbst Mitglieder der Versammlung erhielten erst wenige Tage vor dem Wahltermin einen Bericht der Findungskommission mit den Namen. ...Wie die Findungskommission zu ihrem Ergebnis gekommen war, den amtierenden Direktor zur Wiederwahl zu empfehlen, blieb ebenfalls undurchsichtig. Der Versammlungsvorsitzende, der pfälzische Diakoniepfarrer Albrecht Bähr, handelte den Tagesordnungspunkt 'Bericht der Findungskommission' mit dem kurzen Hinweis ab, alles stehe in dem internen Papier. Ob Eumanns Gegenkandidaten die Chance bekommen würden, sich in der Versammlung zu präsentieren, wussten im Vorfeld nicht einmal sie selbst. Die von der Medienpolitik oft beschworene Gremientransparenz sieht anders aus."
Wobei auch bemerkenswert ist, dass da ein evangelischer Mediendienst einen Vertreter der Evangelischen Kirche kritisiert, die in sehr vielen Medienanstalten- wie auch Rundfunkanstalten-Aufsichtsgremien seit jeher stark und oft führend vertreten ist.
Beiderlei Anstalten werden ja aus dem Rundfunkbeitrag finanziert und funktionieren, was die Aufsichtsstrukturen angeht, ähnlich. Wer tiefer einsteigen möchte, könnte sich hier das 16-seitige PDF "Auftrag und Struktur der Landesmedienanstalten" runterladen, das das "Deutsche Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler e. V." im Juni veröffentlichte und das Heiko Hilker heute in seine Newsletter verlinkte. Wer lieber die größeren Turbulenzen bei der ersten Wahl des damals recht bekannten SPD-Medienpolitikers Marc Jan Eumann Revue passieren lassen möchte, kann das in diesem Juliane-Wiedemeier-Altpapier von 2017 tun.
Medienpolitik der CDU (u.a. aktuelle ÖRR-Kritik)
Gestern an dieser Stelle wog Klaus Raab ab, ob das öffentlich-rechtliche Fernsehen bei vermutlich wichtigen, zugleich schwer einschätzbaren Ereignissen wie dem mutmaßlichen Putschversuch im kriegsführenden Russland live auf Sondersendung gehen sollte. Woraufhin bei uebermedien.de Redaktionsleiter Frederik von Castell mit weiteren Einschätzungen und weiteren Belegen aus den tatsächlich gesendeten Programmen weiter abwog, um zum ernüchterten Fazit zu gelangen:
"Man kann die mitunter aufgeheizte Kritik an den fehlenden Live-Sendungen ... ebenso wie Gegenkritik daran aber auch einfach mal beiseite lassen. Weil beides den NDR offensichtlich sowieso nicht erreicht. Denn von dort heißt es auf unsere Anfrage, was man auf die Kritik antworte, weiterhin unbeirrt: die 'Tagesschau' habe 'bereits ab 9 Uhr über die Ereignisse berichtet'. Und im Programm des Ersten sei ja auf den Crawls 'auf tagesschau24 verwiesen' worden. Nur dass man dort eben mit größerer Wahrscheinlichkeit animierte Dinos als Wladimir Putin zu sehen bekam."
In einem spiegel.de-Interview breitet ARD-Chefredakteur recht ausgiebig seine Ansicht "Es geht nicht darum, der Erste zu sein, der auf Sendung geht. Sondern der Erste, der es vernünftig macht" aus.
Klar konnte auch in dieser "Lage" wieder jeder, der sich medial informieren wollte, sobald Nachrichten durchdrangen, es auf sehr vielen Kanälen tun – bewegtbildbasiert oder schriftbasiert oder einfach mit allem in Timelines dieser oder jener (sog.) sozialer Medien. An Mediengattungen und Anbietern herrscht ja kein Mangel, eher im Gegenteil. Auch gerade deshalb stehen die deutschen Öffentlich-Rechtlichen wegen der Vielzahl ihrer linearen Kanäle (bei gleichzeitig laufender und oft offensiv angekündigter Umorientierung auf nichtlineare Mediatheken) in der Kritik.
"Der Kernauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Grundversorgung mit Information, Bildung, Beratung und Kultur könne auch mit 'weniger linearen Fernseh-Programmen, weniger Hörfunksendern, weniger Mediatheken, weniger Websites und weniger Social-Media-Kanälen als bisher gewährleistet werden'",
zitiert die "FAZ"-Medienseite heute aus einer Resolution, die die CDU-/CSU-Fraktionschefs aller Landtage sowie des Bundestages beschließen wollen.
Heißt für die Öffentlich-Rechtlichen: Eine schnelle und verbindliche Einigung, idealerweise von ARD und ZDF gemeinsam, auf einen ihren weiterhin über 20 linearen Fernsehkanäle, der so bald, wie es seriös möglich ist, möglichst viel von überraschenden, wichtigen Ereignissen berichtet, und auf den dann auch die gern zitierten "Crawls", also die am unteren Bildschirmrand laufenden Textbänder in Hauptprogrammen hinweisen, wäre dringend nötig. Erst recht, wenn die Öffentlich-Rechtlichen ernsthaft auf eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags bauen sollten.
Für die Medienpolitik bedeutet das neue CDU-Papier natürlich eine weitere Unterminierung der rhetorisch stets hochgehaltenen Staats- und Regierungsferne. Doch mit manchen Punkten hat die Partei auch einfach recht, z.B. mit diesem:
"Eine funktionierende Aufsicht, die Einhaltung anerkannter Compliance-Regeln und der wirtschaftliche Umgang mit Beitragsmitteln seien noch längst keine Reform. Das seien Selbstverständlichkeiten, die die Bürger von öffentlich finanzierten Anstalten erwarten könnten."
Wobei sich fragt, ob die seit jeher nicht wenigen CDU/CSU-Mitglieder in den zahlreichen Rundfunkanstalten-Aufsichtsgremien das auch so sehen.
Altpapierkorb (Sonneberg, Abhören, Ulrike Demmer, Kika & Funk, ChatGPT)
+++ Die breite Mitte der deutschen Medienlandschaft war sich wieder sehr, sehr einig. In Südthüringen hat das nicht geholfen. "Dass Beiträge überregionaler Medien, die schlaglichtartig dann berichteten, wenn es rechtsradikale Angriffe auf Flüchtlinge gibt oder eben nun der erste AfD-Landrat gewählt wird, oftmals von großer Ahnungslosigkeit gekennzeichnet seien", sagt Sozialwissenschaftler Daniel Kubiak von der Berliner Humboldt-Uni in Andrej Reisins uebermedien.de-Artikel "Wie Berichterstattung Vorurteile auf beiden Seiten verstärkt" zur bundesweit vielbeachteten Landrats-Stichwahl in Sonneberg. Exemplarisch ärgert sich Reisin über einen "Spiegel TV"-Beitrag. +++
+++ "Dass die Ermittelnden keinen Gedanken an die Pressefreiheit verschwendet haben, ist skandalös", findet Reporter ohne Grenzen-Geschäftsführer Christian Mihr zur in Bayern offenbar grundsätzlich fehlenden Abwägung vor Abhör-Beschlüssen (AP gestern). +++
+++ "In unserer Gesellschaft gilt es als sozialer Abstieg, auf Geld zu verzichten, weil es auch sonst niemand tut (schon gar nicht Berufspolitiker) ...". Daher sei es auch jenseits des Symbolischen viel Wert, dass die künftige RBB-Intendantin Ulrike Demmer im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen auf viel Geld verzichtet, schreibt Christian Meier in der "Welt". +++ Wie Demmer noch kurz vor ihrer Wahl eine Diskussion unter dem Titel "Das wird man wohl noch sagen dürfen!?", bei der sich Kabarettist Dieter Nuhr und Verfassungsrichter Peter Müller (CDU) wohl recht einig waren, moderierte, beschreibt Timo Rieg bei "Telepolis". +++
+++ Der Kinderkanal und Funk starten "erstmals ein gemeinsames Angebot". "Damit tragen wir zu unserem Auftrag bei, die gesamte Gesellschaft mit öffentlich-rechtlichen Inhalten zu erreichen und schaffen mit unserem gemeinsamen TikTok-Projekt zudem die bei Jugendlichen dringend benötigte Medienkompetenz", zitiert dwdl.de einen Funk-Geschäftsführer. Hoffentlich klingt wenigstens an, dass die chinesische Plattform Tiktok selbst auch Skepsis verdient. +++
+++ Und kaum, dass Heribert Prantl die Trend-KI ChatGPT urheberrechtlich "unlauter" nannte, startet die "Welt" "als erste deutsche Medienmarke ... ein News Plugin für Chat GPT". +++
Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Annika Schneider.