Das Altpapier am 31. August 2023: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 31. August 2023 Die problematische Logik der Leitmedien

31. August 2023, 13:30 Uhr

Kurt Krömer findet die passende Antwort auf Harald Schmidts Behauptung, er sei aus Recherchegründen auf einer rechten Party gewesen. Und die Neuen Deutschen Medienmacher*innen kritisieren: In der Berichterstattung über die Positionen der AfD finden die Perspektiven der potenziellen Opfer der Partei viel zu wenig Beachtung. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Schmidts Schmerzen

Viereinhalb Jahre alt ist der Hashtag #MitRechtenFeiern mittlerweile. Er entstand anlässlich einer Geburtstagsparty von Matthias Matussek, und erfunden hat ihn höchstwahrscheinlich der TV-Journalist Silvio Duwe. Vier Jahre später ist der Hashtag wieder aktuell - aufgrund eines Fotos, das Matussek, Harald Schmidt und "Dr. Maaßen" (Schmidt) bei einer Sause der Schweizer "Weltwoche" zeigt.

"Die Zeit" (€) hat Schmidt nun unter anderem zu diesem Foto und zu dieser Party interviewt, aber natürlich auch zu allerlei Themen aus der Welt des Fernsehens. Gesprächsausschnitte haben unter anderem "Die Welt", BR24 und der "Tagesspiegel" im Angebot. Letzterer spricht von der "konservativen Schweizer Zeitung 'Weltwoche'". K-o-n-s-e-r-v-a-t-i-v?  Leute, ihr seid mir Scherzkekse!

Okay, warum also das Foto mit Matussek und Maaßen (der übrigens "trotz Hitze korrekt angezogen" war, wie Schmidt einfließen lässt?) "Die Zeit" bemerkt:

"In Hamburg konnte man Matthias Matussek mal bei einer Demo gegen die Flüchtlingspolitik auftreten sehen, wo er 'Merkel muss weg' rief und davon sprach, dass Deutschland von Millionen muslimischen Bodybuildern geflutet werde."

Die Information, dass Matussek dabei auf einer Bierkiste stand, sei hier gern nachgereicht. Schmidt sagt an dieser Stelle:

"Ich lasse mich ja nicht bei ungefähr 400 Gästen vorher briefen, was der und der vorher gemacht haben. Also, wenn Sie mit jedem nicht mehr gesehen werden wollen, der ein bisschen eine merkwürdige Entwicklung gemacht hat, dürfen Sie nicht mehr ins Fußballstadion gehen. Ich könnte Ihnen die Namen vieler anderer nennen, die auf dem Fest waren. Aber die herauszufinden, überlasse ich dem Rechercheverbund von NDR und Bäckerblume."

Man weiß gar nicht, wo man da anfangen soll. Über Recherchekooperationen wurde schon allerlei Sarkastisches und Hämisches gesagt und geschrieben, da wirkt der "Bäckerblume"-Gag dann doch recht platt. Und dass M&M "ein bisschen eine merkwürdige Entwicklung gemacht" haben (vielleicht meint Schmidt auch nur einen von beiden), ist eine bemerkenswert verdruckste Formulierung. In einer Hinsicht hat Schmidt natürlich Recht: Er muss nicht die Gästeliste prüfen. Nur: Wenn ein rechtes Wochenblatt einlädt, ist klar, dass rechte Leute kommen, und dann geht man da halt nicht hin.

Andererseits: Schmidt war ja auf der Party, weil, wie er sagt, erwartete, "Material" für ein Bühnenprogramm zu finden. Recherche und so. Kurt Krömer hat Schmidt bei Instagram wegen der "Recherche"-Volte angemessen verarztet. Ich vermute, dass man dem Gesagten einen Teil seiner Wirkung nimmt, wenn man es in Ausschnitten transkribiert, aber ich riskiere es mal. Krömer sagt:

"Alle Leute - dit ist dat goldene Gesetz der Comedy -, die man verarscht, muss man vorher treffen (…) Ick hab’ mich mal über Alice Weidel lustig gemacht, und (…) bevor ich den dicken Otto gezündet hab’ auf der Bühne, war ich mit der zwei Wochen auf Wanderurlaub im Harz."

Das Insta-Video endet so:

"Ich muss jetzt los, mein Flieger geht gleich, ich flieg jetzt mit Björn Höcke in den Robinson Club nach Ankara, weil: Über den Nazi wollte ich mich auch noch lustig machen."

Interviewer Martin Machowecz und Interviewerin Elisabeth Raether erwähnen gegenüber Schmidt des Weiteren:

"Jan Böhmermann (hat) für seine Show den Grimme-Preis mit folgender Begründung bekommen: 'In einer Welt, in der Politiker wie Clowns agieren, haben echte Clowns keine andere Wahl, als selbst politisch zu werden.' Früher haben Sie den Grimme- Preis gewonnen …"

Die Auszeichung, auf die sich die zitierte Begründung bezieht, hat allerdings nicht "Böhmermann für seine Show" bekommen. Den Preis bekam die Sendung "ZDF Magazin Royale" als Ganzes, er galt einem Konzept, nicht einer Person. Aber mit solchen Feinheiten kann man einer Wochenzeitung, die kein Medienressort hat, vielleicht nicht kommen.

Schmidt sagte jedenfalls:

"Es tut mir heute weh, daran zu denken, mit welchem Stolz ich den Preis damals nach Hause getragen habe. Der Fernsehdirektor vom WDR hatte recht – als ich ihm von meiner Nominierung erzählt habe, sagte er zu mir: Da musst du dir überlegen, was du falsch gemacht hast."

Schön, dass er sich noch daran erinnert, wie er sich vor 31 Jahren fühlte. Ob es ihm heute auch "weh" tut, dass er damals die Preisverleihung moderiert hat, erfahren wir leider nicht. Dass jemand die Veranstaltung moderiert, der dort selbst einen Preis bekommt, wäre heute übrigens nicht mehr denkbar.

Nach einer weiteren Frage ("Gibt es heute mehr Druck, all den Krisen etwas Sinnvolles, Sinnstiftendes entgegenzusetzen?") gibt’s noch mehr Branchenkritik von Schmidt:

"Wenn Sie was Sinnvolles machen wollen, müssen Sie als Arzt oder Bauingenieur in die Sahelzone, sich um Wasserversorgung und Krankenhäuser kümmern. Alles andere ist Katrin Göring-Eckardt. Man fliegt fürs Frühstücksfernsehen zu Flüchtlingen auf eine Insel nach Griechenland, zwei Tränchen, und ist abends wieder zu Hause. Folklore. Geschwafel. Geschwätz. Dann lieber Carola Rackete, die Kapitänin ist und ein Schiff fahren kann und Flüchtlinge aus dem Wasser rausholt."

Hm. Wie lange müssen Berichterstattende nach Schmidts Ansicht auf einer griechischen Insel bleiben, damit ihr Beitrag keine "Folklore" ist? Es liegt ja nun in der Natur der tagesaktuellen Berichterstattung, dass jemand am nächsten Tag vielleicht von einem anderen Ort berichten muss. Abgesehen davon: Anders als die Äußerung Schmidts suggeriert, fliegt kein Journalist aus Deutschland für einen Beitrag "fürs Frühstücksfernsehen" nach Griechenland, so etwas liefern in der Regel Korrespondentinnen und Korrespondenten. Immerhin: Es könnte sein, dass Schmidt Carola Rackete gut findet, damit sammelt er dann ein paar Karmapunkte.

Ein anderer früherer TV-Talk-Moderator wird heute ebenfalls ausführlich interviewt: Die SZ (€) hat mit Michel Friedman über sein neues Buch "Schlaraffenland abgebrannt" gesprochen, das sich als "kämpferischer politischer Essay" bezeichnen lasse, wie Interviewer Joachim Käppner meint. Einer von vielen Unterschieden: Während Schmidt im "Zeit"-Gespräch sagt "Ich finde Olaf Scholz gut" (ist vermutlich ernst gemeint), kritisiert Friedman Letzteren:

"Er (zeigt) eine erschreckende Konturlosigkeit bei essenziellen Konflikten (…) Es reicht nicht, sich für den Klügsten und Besten zu halten und Fragen von Journalisten auf arrogant ironisierende Weise eigentlich gar nicht zu beantworten."

In gewisser Weise "reicht" es dann aber leider doch, weil Journalistinnen und Journalisten noch keine adäquate Antwort auf Scholz’ Interview-Stil gefunden haben. Oder gibt es gute Interviews mit ihm, die ich verpasst habe?

Über besseren Journalismus

Instruktives zur Berichterstattung über die AfD liefern die Neuen Deutschen Medienmacher*innen in einer aktuellen "Stellungnahme": "Wie können Journalist*innen über die AfD berichten? Am besten diskriminierungskritisch!" lautet der Titel. Die NdM schreiben darin unter anderem:                                                   

"Menschen mit Einwanderungsgeschichte, Schwarze Menschen, queere Menschen, Menschen mit Behinderung, Muslim*innen und Jüd*innen und alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, werden von den Positionen der AfD angegriffen. Ihre Perspektiven erhalten aber viel zu wenig Beachtung im medialen Diskurs. Befragt man die AfD zu ihren Lieblingsthemen Asyl, Migration und Integration, sollte man auch die Perspektive derjenigen einbeziehen, die von diesen Themen direkt betroffen sind. Nur so kann ausgewogener Journalismus garantiert werden, der alle Gesellschaftsgruppen mit einbezieht."

Dass das nicht geschieht, liegt an einem Grundproblem: Die Leitmedien - und nicht zuletzt der ÖRR - verstehen Politikjournalismus vor allem als Journalismus über Politik, als Berichterstattung über Parteien. In diese "Logik" passt es dann halt auch, dass beim Thema AfD im Übermaß Vertreterinnen und Vertreter der Partei zu Wort kommen und deren potenzielle Opfer kaum.

Anders bzw. mit den NdM gesagt:

"Muss ich aus demokratischen Gründen auch rechtsradikale Parteien immer zitieren oder in meine Sendung einladen? Natürlich muss man nicht. Vielmehr sollten sich Journalist*innen fragen: Worüber will ich reden und wer ist hierfür der*die richtige Ansprechpartner*in?"

Dass sich "Journalismus neu erfinden muss", schreiben in einem anderen Kontext bzw. aus grundsätzlichen Gründen die Medienforscher Leif Kramp und Stephan Weichert in der taz. Es geht um Journalistinnen und Journalisten, deren Impetus lautet:

"Der Journalismus darf nicht das gesellschaftliche Gespräch moderieren, sondern er muss die Menschen auch aktivieren, ihr Verhalten ändern."

Kramp/Weichert fragen in diesem Zusammenhang:

"Ist ein Journalismus, der die Verhaltensänderung zu seiner (einzigen) Mission erklärt, der seine Arbeit dem normativen Anliegen unterordnet (manche sprechen von 'Haltung'), dass die Zivilisation nicht vor die Hunde geht, ein besserer Journalismus? Oder schießt der gute Wille übers Ziel hinaus?"

Eine Antwort, die das Duo auf die beiden von ihm in den Raum gestellten Fragen gibt, lautet:

"In einer Krisengesellschaft erscheint der Zeitgeist zumindest reif für Medien, die aktiv gegen Missstände angehen und mögliche Perspektiven aufzeigen."

"Erscheint der Zeitgeist zumindest reif" ist mir angesichts der Dringlichkeit der multiplen Krise dann aber doch ein bisschen zu schwammig.

Isch over?

Der Autor und Podcaster Chajm Guski hat in seinem Blog sprachkasse.de die Begründung von Hubert Aiwangers Bruder aufgegriffen, warum angeblich er, also der Bruder, 1988 das antisemitische Flugblatt verfasst habe, das jetzt in "Bayern ein politisches Erdbeben ausgelöst hat" ("Report München" am Dienstag). Der Bruder "war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war", und dazu schreibt Guski:

"Die Überzeugungen, die (in dem Flugblatt) zum Ausdruck kommen, sind keine Kennzeichen für Frust. Sie lassen Rückschlüsse darauf zu, wie über die Schoah und die Vernichtungsmaschinerie gedacht wurde. In dem Dokument wird deutlichst darauf Bezug genommen, was in den deutschen Lagern geschah ('Schornstein', 'Genickschuss') und sich letztendlich darüber lustig gemacht."

Zur Kritik an der SZ (siehe Altpapier) schreibt Guski:

"Es mag sein, dass die SZ den Zeitpunkt für die Veröffentlichung bewusst in den bayerischen Wahlkampf gelegt hat (….) Auf der anderen Seite könnte über nichts berichtet werden, wenn nicht jemand das Pamphlet verfasst hätte. Ohne Flugblatt keine Berichterstattung. Die Kampagne hätte dann also 1988 beginnen müssen?"

Einen ausführlichen Überblick über die aktuelle Entwicklung in Sachen Aiwanger gibt jene Zeitung, in der das Ganze los ging (also die besagte SZ), und natürlich ist dort auch das bizarre Interview erwähnt, das der stellvertretende Ministerpräsident gerade Welt-TV gegeben hat - und zu dem wiederum der für diesen Sender tätige Paul Ronzheimer Folgendes postet:

"Hubert Aiwanger hat mit dem Satz, er sei 'seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit', den er gerade in die Kameras gesagt hat, alle 25 Fragen von Söder auf einmal beantwortet. Isch over."


Altpapierkorb (Vernau-Riemen in der FAZ, Fußballmagazinmarkt, "Art")

+++ Der heutige Gastbeitrag auf der FAZ-Medienseite hat mit 15.000 Zeichen geradezu Altpapier-Länge. Die scheidende RBB-Intendantin Katrin Vernau zieht hier eine Bilanz ihres Schaffens in Berlin. Sie schreibt unter anderem: "Der RBB hat in der Vergangenheit ganz klar finanziell über seine Verhältnisse gewirtschaftet, und ohne ein entschiedenes Gegensteuern wären wir bereits in der laufenden Beitragsperiode nicht mehr ohne Weiteres zahlungsfähig gewesen. Der zwei Monate nach meinem Amtsantritt in der Belegschaftsversammlung vorgestellte Kassensturz ließ keine andere Schlussfolgerung zu. Diese Erkenntnis war eine bittere für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des RBB. Wir, und damit meine ich das gesamte Team der zweiten Führungsebene des Senders unter meiner Leitung, haben uns direkt darangemacht, ein Einsparpaket von rund 50 Millionen Euro zu schnüren (…) Es befindet sich aktuell in der Umsetzung, unter anderem müssen wir hierbei 100 Planstellen bis zum Ende des Jahres 2024, also dem Ende der laufenden Beitragsperiode, streichen."

+++ Anlässlich der Übernahme des "11 Freunde"-Mehrheitsanteils durch den "Spiegel" (Altpapier von Mittwoch) habe ich einen Text über den Fußballmagazinmarkt, der Ende Juli beim KNA-Mediendienst erschienen ist, in einer aktualisierten Fassung republiziert. Spoiler: Der Markt ist kleiner, als man denkt.

+++ Das Magazin "Art" wird weiterhin erscheinen, wider Erwarten bei RTL. Der Konzern wollte das Magazin eigentlich verkaufen (Altpapier), behält es nun aber. Darüber schreibt die SZ. Siehe auch dwdl.de. Was nach dieser Entscheidung auch klar ist, steht gleich zu Beginn des SZ-Artikels: "Der Zeitschriften-Abverkauf von RTL ist offiziell beendet."

Das Altpapier am Freitag schreibt Jenni Zylka.

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