Das Altpapier am 12. März 2019 Das Private ist politisch

#MitRechtenFeiern - oder: Wenn eine Geburtstagsparty zu einem Gegenstand politischer und medienkritischer Betrachtungen wird. Ein Altpapier von René Martens.

Zu den Themen, denen ich mich immer mal wieder auf verschiedenen Seitenwegen zu nähern versuche, gehören (Ex-)Medienbranchenleute, die ins rechte Milieu abwandern - und dann beispielsweise auf wichtigen Positionen in der AfD landen. Spiegel Online hat diesbezüglich mal vor drei Jahren einen Überblick geliefert. Im Altpapier kam das Thema bisher eher am Rande vor: hier mal ein Verweis auf Alexander Gaulands 14 Jahre lange Tätigkeit als Herausgeber der Märkischen Allgemeinen (da war er noch in der CDU, und die MAZ gehörte zum FAZ-Reich), dort mal ein Zitat aus einem Medienkorrespondenz-Artikel, der bemängelt, dass “in der kritischen Auseinandersetzung der Fernsehjournalisten mit der AfD fast aus der Sicht (gerät), dass überproportional viele frühere Journalisten in den Reihen dieser Partei mitwirken“. Vergleichsweise häufig kam ein komischer Kauz vor der früher für Radio Bremen wirkte, dann bei der AfD landete und dann bei einem Konkurrenzverein (siehe zuletzt dieses Altpapier).

Eine Frage, die ich mir in diesem Kontext immer mal wieder gestellt habe, lautet: Warum überschreitet jemand, der die Medien von innen bestens kennt, die Grenze zwischen dem Journalismus und jener Szene, die von 'Systemmedien‘ spricht - und die den Journalismus, wie wir ihn zu kennen glaubten, abzuschaffen gedenkt?

Der entscheidende Fehler bei dieser Überlegung: Es gibt diese Grenze gar nicht. Das ist vielleicht die entscheidende Erkenntnis, die wir Matthias Matusseks am Montag hier kurz erwähnter Geburtstagsparty und vielen Wortbeiträgen verdanken, die seit Sonntag unter #MitRechtenFeiern kursieren. Oder, pathetischer formuliert: Es gibt keine Grenze mehr zwischen “uns“ und “denen“.

Neben der rechtsextremen Kaderfigur Mario Müller und neben Michael Klonovsky, (24 Jahre lang Focus-Redakteur, jetzt Alexander Gaulands persönlicher Referent) waren bei der Sause zumindest drei Personen zugegen, über deren Erscheinen man verwundert sein konnte: Reinhold Beckmann (Moderator, Fernsehproduzent, Gelegenheits-Rock’n’Roller) sowie Martin U. Müller und Alexander Smoltczyk (beide Spiegel-Redakteure). Eine ausführliche Auflistung mit noch mehr Journalistennamen gibt es übrigens beim Neuen Deutschland.

Reinhold Beckmann hat sich schon am Sonntag auf dem Facebook-Account seiner Band dazu geäußert. Horizont hat’s aufgegriffen.

Ja, er habe Bedenken gehabt angesichts der politischen Entwicklung seines alten Freundes Matussek, schreibt Beckmann, er habe "lange überlegt“, aber

“dann beschlossen, meinen Gitarrenkoffer zu nehmen und ihm mein vergiftetes Geschenk mitzubringen, meine Version des Bob Dylan-Klassikers 'Things have changed’."

Abgesehen davon, dass es sich dabei um eine maximal freie Interpretation des Originaltextes handelte, ließe sich dazu mit Hanna Voß (taz) anmerken:

“Matussek aber hielt das für ein 'glänzendes Ständchen’ (…) Hinaus in die Welt von Twitter und Co. wanderten keine Bilder von einer Protestaktion auf dem Geburtstag eines früheren Freundes, sondern die eines fröhlichen Geplänkels. Und nach Spaß sieht es auch auf all den anderen Fotos aus, die Matussek in regelmäßigen Abständen auf Facebook postete, etwa auf dem, das ihn mit Alexander-Gauland-Gedächtniskrawatte neben Erika Steinbach zeigt. Während Beckmann sein Ständchen trällert, guckt ein Mann ihm freudig zu: Mario Müller von der rechten Gruppe 'Kontrakultur Halle‘, der 2012 zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, weil er einen Antifaschisten mit einem selbstgebastelten Totschläger schwer verletzt hatte. Matussek bezeichnet ihn als seinen 'identitären Freund‘. Mit der Identitären Bewegung, zu der Müller gehört, sympathisiert Matussek, auch das ist längst bekannt.“

Der Tatort der hier erwähnten Verletzung war übrigens Delmenhorst, auf dem dortigen Marktplatz hatte, wie die Nordwest-Zeitung seinerzeit berichtete, Müller einem Jugendlichen

“einen Totschläger, bestehend aus einem Socken und einem 200 Gramm schweren Metallstück, auf die Stirn (… ) geschleudert“.

Voß schreibt in der taz weiter:

“Nun muss man nicht vor jeder Feier die Gästeliste seines Gastgebers überprüfen, um zu entscheiden, ob man hingeht oder nicht. Bei einer Einladung von Matthias Matussek wäre das zum Beispiel nicht nötig. Denn man kann ziemlich sicher davon ausgehen, dass Rechte kommen, wenn ein Rechter einlädt. Und schon dann kann man entscheiden, nicht hinzugehen. Und sollte es auch.“

Das gilt natürlich auch für die Spiegel-Leute. Ein weiterer taz-Beitrag zur Party kommt von Juri Sternburg:

Das ist die logische Fortführung von journalistischen Beiträgen, in denen man gedankenversunken mit Höcke durch den Wald marschiert oder Gauland einen Gastbeitrag schreiben lässt, in dem er barbarische Rassentheorien verbreitet. Jene, welche gestern mit Rechten reden, sind die, die heute mit Rechten feiern und morgen mit ihnen marschieren.“

Der Spiegel selbst twitterte am gestrigen Nachmittag kurz nach 17 Uhr:

“Die Einladung zur Geburtstagsfeier von Matthias Matussek an einzelne Kollegen war privater Natur und der Chefredaktion deshalb nicht bekannt. Selbstverständlich distanzieren sich @DerSPIEGEL und alle seine MitarbeiterInnen ausdrücklich von rechtsextremen Gesinnungen.“

Das ist aber gar nicht der Punkt. Den Slogan “Das Private ist politisch“ sollte man beim Spiegel eigentlich kennen, wenn auch aus anderen Zusammenhängen. Die Sache ist einfach: Mann/Frau geht nicht zu Geburtstagen von Leuten, die bei Nazidemos auf Bierkisten steigen (siehe auch Altpapier). Und da von Musik ja heute schon die Rede war: Der beste Kommentar zur Sache ist musikalischer Natur, es ist ein Klassiker des politischen Liedes (das 35 Jahre alt ist, also jünger als der eben zitierte Slogan):

“If you have a racist friend / Now is the time, now is the time for your friendship to end“,

sangen The Special AKA seinerzeit. Für eine andere Kohorte: Es gibt auch eine Coverversion von Tocotronic.

Thomas Blum greift im bereits verlinkten ND-Artikel ebenfalls musikalische Motive auf:

“Es weht (…) erkennbar der Wind Of Change durchs Land, und wenn morgen die ersten CDU/AfD-Koalitionen vereinbart werden oder ein deutscher Trump den Laden übernimmt, will man keineswegs den Anschluss verpassen bzw. bei Pressekonferenzen gern auch künftig in der ersten Reihe sitzen.“

Interessant ist noch der von @tiniDo stammende Hinweis auf die habituellen Gemeinsamkeiten zwischen den politisch zumindest teilweise unterschiedlich tickenden Gästen - man werfe in diesem Zusammenhang einen Blick auf die von Matussek geposteten Bilder, die Friedensdemo-Watch gescreenshottet hat.

Vom Stern-Cartoonisten Til Mette bis zum Theaterregisseur Falk Richter reicht nun die Bandbreite jener, die sich zu Wort gemeldet haben, und einen hübschen Fake-Account (@BeckmanReinhold) hat uns die Angelegenheit auch beschert.

Belltower News bemerken noch, dass es “ungewöhnlich“ sei, “eine private Geburtstagsparty zu so einer öffentlich politischen Party umzukodieren“, wie Matussek es getan habe. Er stelle “eine Gemeinschaft dar, in der sich mutmaßlich nicht alles Anwesenden heimisch fühlen – spätestens, wenn es um den Rechtsextremen Mario Müller geht“.

Auf den allerersten Blick kann man es natürlich auch für kindsköpfig halten, wenn eine 65-jährige Person des öffentlichen Lebens einen privaten Geburtstag derart öffentlich macht (inclusive Bilder der Geschenke). Viel spricht aber dafür, dass er all den Wirbel vorausgesehen hat - und es dürfte ihm ein nicht geringes Vergnügen bereiten, dass sein Ex-Arbeitgeber Spiegel wegen ihm nun ein bisschen Ärger hat.

Auch wenn das jetzt eine tendenziell ungerechte Überleitung sein mag: Man kann sich anlässlich der aktuellen Partyberichterstattung auch mal wieder die Frage stellen, wann der Spiegel eigentlich links war. Willi Winkler schreibt in dem im Altpapier bereits erwähnten Buch "Das braune Netz". Wie die Bundesrepublik von früheren Nazis zum Erfolg geführt wurde“ sarkastisch, “den Nimbus eines linksoppositionellen Blattes“ habe das Blatt ja allein der Spiegel-Affäre zu verdanken - also Franz-Josef Strauß, der “während der Kubakrise ein Kommando in die Spiegel-Redaktion schickte“. Dem besagten “Nimbus zu entsprechen“, habe sich der Spiegel “in den folgenden fünfundzwanzig Jahren redlich bemüht“. Schon vor der Wiedervereinigung hat der Spiegel demnach seine “linksoppositionelle“ Haltung abgelegt.

Für die Medienkorrespondenz habe ich mich etwas intensiver mit "Das braune Netz“ beschäftigt - und noch intensiver mit den medienhistorisch signifikanten Passagen des ebenfalls im Altpapier bereits vorgekommenen Buchs “Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen 1946-1953“. Die Lektüre der  in dem MK-Text aufgegriffenen Passagen, so viel sei verraten, ist auch aus aktueller Perspektive gewinnbringend.


Altpapierkorb (Selbstversuch mit polnischem Fernsehen, intransparentes Intendanten-Wahlverfahren in Stuttgart, Hanfelds Kritik an der Bundesregierung)

+++ Beckmanns Reinhold ist aktuell auch Protagonist der klassischen Medienberichterstattung. Nach Informationen der SZ soll seine Firma Beckground TV ein von Ingo Zamperoni präsentiertes Talk- und/oder “Hintergrundformat“ zum Thema Sport für die ARD produzieren. “Sechs Sendungen sollen zunächst geplant sein, angeblich in der Kulisse der Hamburger Elbphilharmonie“, schreibt Ralf Wiegand. Ich gehe mal davon aus, dass es Beckmann sehr recht ist, dass dieser Artikel heute erscheint.

+++ Wo gibt’s denn eigentlich das von diversen Nichtsmerkern gern herbeihallunzinierte  “Staatsfernsehen“? Na, in Polen zum Beispiel! Emilia Smechowski hat dort für Übermedien einen dreiwöchigen Selbstversuch gewagt. Sie schreibt: “Die Sprache im polnischen Fernsehen ist hart, zum Teil brutal, sie macht Angst, und sie ist immer etwas militärisch. Sie ist zur Hassrede verkommen, zu einem probaten Mittel im polnischen Kulturkampf. Ständig ist von einem Feind die Rede, den man 'beseitigen‘, 'eliminieren‘ oder 'fertigmachen‘ muss. Wer anderer Meinung ist, ist automatisch ein Verräter Polens, ein Agent des Feindes. Es gibt keine Kritik, nur Verrat.“

+++ Der Stuttgarter Zeitung missfällt, dass die derzeit beim SWR schwer schuftende “Arbeitsgruppe Intendantenwahl“ sich auf zwei Kandidat*innen - Kai Gniffke und Stefanie Schneider (siehe Altpapier) -festgelegt zu haben scheint. “Senderintern war gestern bis in die aktuelle Führungsspitze hinein von einem 'enttäuschend intransparenten Verfahren‘ die Rede“, konstatiert Tim Schleider.

“Auf der Strecke blieben damit schon jetzt, wie dieser Zeitung aus mehreren Quellen bestätigt wird, mindestens drei weitere interessante Bewerber: der NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz, der SWR-Verwaltungsdirektor Jan Büttner und Clemens Bratzler, derzeit Chef der SWR-Abteilung Multimediale Aktualität – alle so illuster, dass ihr Misserfolg in der Vorauswahl ganz sicher nicht sang- und klanglos über die Bühne gehen kann.“ Michael Hanfelds Quellen stimmen zumindest zu einem Drittel mit denen Schleiders überein. Ersterer schreibt heute in der FAZ: “Bevor das Los auf (die) beiden Kandidaten fiel, waren in den rundfunkpolitischen Kreisen im Südwesten noch drei andere Namen gehandelt worden: die WDR-Hörfunkdirektorin Valerie Weber, der SWR-Verwaltungsdirektor Jan Büttner und der ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler, der im Angebot der ZDF-Kanäle in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Akzente gesetzt hat.“

+++ Vorn im FAZ-Feuilleton steht ein weiterer Artikel Hanfelds. Im Zusammenhang mit der Entscheidung der Türkei, deutschen Korrespondenten die Akkreditierung zu entziehen (siehe Altpapier von Montag), kritisiert er die Bundesregierung: “Dass Erdogan auch ausländische Berichterstatter spüren lässt, dass seine Macht keine Grenzen kennt, kann, nachdem er den Welt-Korrespondenten Deniz Yücel ein Jahr lang in Geiselhaft hielt, eigentlich niemanden verwundern. Wundern freilich darf man sich über den Stoizismus, mit dem die Bundesregierung noch jeden weiteren Schlag Erdogans einsteckt. Zuerst drückt Außenminister Heiko Maas scharfe Kritik aus und lässt eine Reisewarnung für die Türkei verbreiten. Dann sagt der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, man nehme die verweigerte Akkreditierung der Journalisten mit Bedauern und Unverständnis zur Kenntnis. Das Thema sei nicht erledigt. Das klingt nach: Wir nehmen es zu den Akten.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch!