Das Altpapier am 12. März 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 3 min
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Kolumne: Das Altpapier am 12. März 2024 von Christian Bartels Medienpolitische Mustöpfe

Kolumne: Das Altpapier am 12. März 2024 – Medienpolitische Mustöpfe

Die EU-Kommission hat nicht nur ein Problem mit Microsoft. Online-Werber dürften frische Probleme bekommen. Die Kommission KEF soll neunzehn Fragen zu Einspar-Ideen bei den Öffentlich-Rechtlichen beantworten.

Di 12.03.2024 12:42Uhr 03:07 min

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Kolumne: Das Altpapier am 12. März 2024 Medienpolitische Mustöpfe

12. März 2024, 10:24 Uhr

Die EU-Kommission hat nicht nur ein Problem mit Microsoft. Online-Werber dürften frische Probleme bekommen. Die Kommission KEF soll neunzehn Fragen zu Einspar-Ideen bei den Öffentlich-Rechtlichen beantworten. Freude löst aus, dass der Bertelsmann-Chef übernächstes Jahr aufhören will. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

DMA, DSGVO (EU oh je)

Die Europäische Union ist kompliziert. Alles, was sie so plant, dauert auch unabhängig von der Frage, ob es überhaupt funktionieren wird, schon deshalb ziemlich lange, weil sehr viele mitreden.

Wenn nun das Digitale-Märkte-Gesetz (Digital Markets Act/ DMA) in Kraft tritt (Altpapier), geschieht das vor allem wohl in der Form, dass Abteilungen der EU-Kommission zu prüfen beginnen, ob von den als "Gatekeepern" eingestuften Plattformkonzernen im langen Vorfeld verlangte und eingeführte Änderungen "wirklich im Sinne des DMA" sind. Das schreibt der socialmediawatchblog.de in einer guten Übersicht. Und betont da noch mal, dass

"das Team, das diesen Prozess überprüfen soll, heillos überfordert ist. Bei der EU-Kommission arbeiten rund 80 Personen daran, vor zwei Jahren hatte die zuständige Kommissarin Margrethe Vestager fast dreimal so viel Personal gefordert (Politico)".

Bei diesen "Gatekeepern" handelt es sich um die sechs, allesamt nicht-europäischen Konzerne Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance/Tiktok, Meta, Microsoft, bzw. um 22 ihrer Angebote. Zum Teil laufen noch Klagen gegen diese Einstufung. Die "sehr großen Online-Plattformen" laut dem ebenfalls neuen Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) der EU sind etwas anderes. Auch wenn die Plattformen naturgemäß großenteils dieselben sind ...

In dieser Gemengelage kommt ein relativer Hammer gegen einen der Gatekeeper bzw gegen einen ihrer großen europäischen Kunden: die EU-Kommission. "EU-Kommission darf keine Daten mehr in USA übertragen", titelt netzpolitik.org, weil der Europäische Datenschutzbeauftragte, der Pole Wojciech Wiewiórowski, entschied, dass die Kommission "mit der Nutzung von Microsoft 365, der Office-Suite des Tech-Riesens, gegen geltende Datenschutzbestimmungen" verstieß. Auch hier wird's schnell kompliziert. Unter vielem anderen habe "die Kommission in ihrer Lizenzvereinbarung mit Microsoft nicht festgelegt, dass bestimmte Daten nur unter bestimmten Gründen verarbeitet werden dürfen".

Das kam kurz nachdem der Europäische Gerichtshof in einem belgischen Fall ein Urteil "zu einem zentralen Baustein bei der personalisierten Online-Werbung" fällte, wie sie im ersten größeren Digital-Gesetz der EU, der Datenschutzgrundverordnung, festgeschrieben wurde, Bei diesem Baustein handelt es sich um "den sogenannten TC-String, das TC steht für 'Transparency and Consent'", erklärt ebenfalls netzpolitik.org. Es geht also um "die flächendeckende Belästigung mit den manipulativen, sinnlosen und nervigen Einwilligungs-Bannern", formuliert es der Datenschützer Wolfie Christl. Ein irischer Datenschützer spricht von einer "tödlichen Wunde" für "die auf Tracking basierende Online-Werbebranche". Offenbar müssen die Regeln, wie sie sich seit Einführung des im Rückblick gesehen missglückten EU-Gesetzes DSGVO durchsetzten, auch wieder verändert werden.

Zwar funktionieren viele Gesetze gerade im Digitalen nicht so, wie die gewiss oft idealistischen Europa-Politiker sich das während der stets jahrelangen Diskussionen ausmalten. Aber immerhin scheint die Gewaltenteilung im EU-Europa zu funktionieren.

19 Fragen, Naturdokus, neue Podcasts (ÖRR)

In den eben verlinkten Artikeln wurden Polen, Iren und der Österreicher Christl zitiert. Deutsche Stimmen und Debatten spielen bei EU-Gesetzen zu digitalen Themen keine großen Rollen. Hierzulande kreisen medienpolitische Diskussionen um die speziell deutsche Variante des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – bei dem ja auch nichts schnell geht. Hier müssen sich zwar nicht 27 Mitgliedstaaten, die Kommission und das EU-Parlament einigen, aber sechzehn deutsche Bundesländer.

"Es ist einfacher, Medienstaatsverträge zu kündigen, als Medienstaatsverträge zu schließen", schrieb der MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker in einem Beitrag für die Deutsche Akademie für Fernsehen (der eigentlich der Frage "Wenn die AfD an die Macht kommt – was passiert dann mit den Medienschaffenden?" gilt, die etwa hier auch schon vorkam). Weil die Medienpolitiker der sechzehn Bundesländer sich längst nicht mehr einig genug sind, um einen Staatsvertrag zu schließen, der den Auftrag für die Öffentlich-Rechtlichen neu definiert und festlegt, was nicht mehr dazu gehören soll und also eingespart werden kann, gibt es so viele Dilemmata.

Nun hat die Rundfunkkommission der Bundesländer unter der prickelnden Überschrift "Sondergutachten zur Beitragsrelevanz möglicher Reformansätze" die neunzehn Fragen, die die Finanzbedarfs-Ermittlungs-Kommission KEF bald beantworten soll, veröffentlicht. Hier gibt es sie als fünfseitiges PDF. Schriftlich zusammengefasst hat sie dwdl.de, zum Hören der Deutschlandfunk (mit der guten Frage von Altpapier-Autorin Annika Schneider, welche Empfehlungen des auch von der Rundfunkkommission beauftragten, schon wieder eher vergessenen Zukunftsrats denn nicht zu den 19 Fragen gehören ...).

Die Fragen gelten allesamt Einsparpotenzialen. Sie reichen von der, was da eine Zusammenlegung der beiden Deutschlandradio-Standorte Köln und Berlin bringen würde, bis zu der, was die Zusammenlegung ähnlicher linearer "Spartenprogramme" wie Tagesschau24, ZDFinfo, Phoenix und ARD-Alpha sparen würde. Dazu passt sozusagen das dwdl.de-Interview mit dem ARD-aktuell-Chefredakteur, der auch Tagesschau24 verantwortet. "Wir programmieren sogar ganz bewusst gegen größere Reichweiten", sagt Marcus Bornheim und meint, dass dieser Sender "gerade am Wochenende, wo das Publikum erfahrungsgemäß lieber Naturdokumentationen sehen möchte, um auf andere Gedanken zu kommen", offenbar keine Naturdokumentationen zeigt. Schöner Zug. Allerdings zirkulieren die zahlreichen Naturdokus zum Einschaltquoten-Pimpen ja außer in den Dritten und bei Phoenix an Wochenenden auch auf den Kultursendern 3sat und Arte ... Weniger, dafür trennschärfere statt umso mehr Alles-mögliche-Programme zu beauftragen, bliebe eine gute Idee.

Die Rundfunkkommissions-Frage, was eine "klare Aufteilung der audiovisuellen Berichterstattung zu Groß-/Sportereignissen außerhalb der politischen Berichterstattung" wie z.B. zu Fußball-Europameisterschaften bringen würde, beantwortet ZDF-Intendant Norbert Himmler im "FAZ"-Interview schon mal deutlich:

"Das brächte keine Einsparung. ... Ein Event wie die Olympischen Spiele und die Paralympics könnten weder das ZDF noch die ARD allein stemmen.  ... Die gemeinsame Arbeit spart Ressourcen beim Personal von Produktion, Kamera und Technik und zum Teil auch in redaktionellen Bereichen."

Da wird interessant, was die KEF dazu meint. Die ist ja auch dafür bekannt, nicht alle Eigeneinschätzungen der Anstalten für bare Münze zu nehmen. Auch sonst vertritt Himmler selbstbewusst die gewohnte ZDF-Position, dass das ZDF sowieso alles richtig mache und von den ganzen Öffentlich-Rechtlichen-Diskussionen kaum berührt werde. Deutlich Position bezieht er in einem Punkt: Eine Reduzierung seines Intendanten-Gehalts, wie diverse ARD-Anstalten es inzwischen praktizieren, käme beim ZDF nicht in Frage ("Wir haben eine große Verantwortung und die sollte angemessen honoriert werden").

Härtere News vom ZDF hat indes Volker Nünning für "epd medien" zutage gefördert, nämlich dass die Anstalt ihr Podcast-Angebot erweitern will. Da gehe es um weitere "sendungsbegleitende" Podcasts, von denen einige sehr erfolgreich seien:

"Die Podcasts 'Lanz & Precht' und 'Aktenzeichen XY... - Unvergessene Verbrechen' gehören nach ZDF-Angaben zu den Top 20 der meistgehörten Podcasts in Deutschland. Das gehe aus der bisher nicht veröffentlichten 'ARD/ZDF Podcast Basisstudie 2023' hervor. Diese beiden Produktionen seien 'die erfolgreichsten öffentlich-rechtlichen Podcasts'."

Ob es überall Freude auslöst, wenn die Gesamtanzahl öffentlich-rechtlicher Podcasts weiter steigt, selbst bei Fernsehsendern, zu denen gar keine Radioprogramme gehören, wird sich sicher bald erweisen.

Was wird aus Bertelsmann?

Auch kein enger Freund der deutschen wie der EU-europäischen Medienpolitik ist Noch-Bertelsmann-Chef Thomas Rabe.

"... ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass es mehr Dialog über unsere Vorstellungen von nationalen Medienchampions und der Zukunft der Medien im Wettbewerb mit den amerikanischen Techunternehmen gibt. Wir hatten ja die Fusion unserer Fernsehsender in den Niederlanden und Frankreich vorbereitet und hatten die Idee, nach solchen Vorbildern auch in Deutschland einen nationalen Medienchampion zu bilden. So weit kam es gar nicht, weil die Kartellbehörden unsere Vorhaben abgelehnt haben. Natürlich müssen die Kartellbehörden unabhängig von der Politik sein. Aber die Politik hat sich mit dem Thema gar nicht befasst."

sagt er im Verlauf eines großen, vom Wortzähler auf "30–36 Minuten" Lesezeit geschätzten "FAS"-Interviews (Abo). Tatsächlich sind allerhand von Rabe ersonnene Fusions-Ideen am Medienkartellrecht gescheitert, das (wie auch ich fand), in Deutschland wie Europa im sprichwörtlichen medienpolitischen Mustopf steckt und immer noch lineares werbefinanziertes Fernsehen als Maßstab nimmt wie im 20. Jahrhundert. Auch deshalb konnten nicht-europäische Plattformkonzerne derart groß werden, dass die EU mit ihnen kaum zu Rande kommt.

Im "FAZ"-Interview geht es zunächst um aktuelle Trendthemen, zu denen alle was sagen, KI ("Wir müssen die KI umarmen, dann wird sie einen Wachstums- und Effizienzschub auslösen") und die AfD. Dann schildert Rabe seine aus seiner Sicht trotz allem erreichten Geschäftserfolge ("Aktuell gibt es in Deutschland 27 Streamingdienste. Das ist viel zu viel. Es wird zu einer Marktbereinigung kommen. Wir sind mit unserem Angebot RTL+ in Deutschland etwa gleichauf mit Disney+ auf Platz drei ..."). Abschließend kündigt er seinen Abschied 2026 an, um dann gute Bücher zu lesen und seine "alte Bassgitarre [zu] entstauben". Schließlich war Rabe einst Punkrocker.

Diese Nachricht setzte allerhand Reaktionen frei. Rabe "hat Bertelsmann kleingespart", fasst die "SZ" (Abo) zusammen. Gregory Lipinski vermutet bei meedia.de, dass "die Eigentümerfamilie Mohn Konzernchef Thomas Rabe eher austauschen wird", und überkandidelt:

"Die Familie Mohn muss ... dringend einen Nachfolger an die Spitze setzen, der das Unternehmen mit der klaren Vorgabe versieht, zum Weltmarktführer aufzusteigen. Vorbild hierfür ist Springer-Chef Mathias Döpfner, der den Berliner Konzern zumindest im digitalen Rubrikengeschäft und digitalen Journalismus an die Weltspitze führen will."

Das dürfte ein Hallo auslösen bei den Mohns in Gütersloh, die sich einst im 20. Jahrhundert ja als Gegenpol zu Springer betrachteten. (Und dass inzwischen zwei Enkel des Firmen-Neugründers Reinhard Mohn in den Startlöchern für noch größere Management-Aufgaben stehen, wird überall erwähnt). Noch schärfer keilt der DJV und dichtet:

"Für die Beschäftigten des Bertelsmann-Imperiums sieht [der DJAV-Bundesvorsitzende Mika] Beuster in dem angekündigten Abgang Rabes eine 'große Erleichterung'. Der CEO habe stets darauf geachtet, die schwarzen Zahlen der Konzernbilanzen noch schwärzer leuchten zu lassen."

Ein "journalistischer Neuanfang" sei dringend nötig, "wenn Bertelsmann je wieder publizistische Bedeutung erlangen will". Hm. Ob solche "publizistische Bedeutung" sich für leuchtend schwarze Zahlen eignet, im Wettbewerb mit 27 überwiegend internationalen Streamingdiensten und mit den beitragsfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen, oder ob das eher ein rückwärtsgewandter Traum von Journalistengewerkschaften ist – das zählt zu den großen Medienzukunfts-Fragen.


Altpapierkorb (MDR Thüringen/ Faeser-Kritik/ Royals-Foto/ LED-Shows/ KI, Sprecher & Lokführer)

+++ Das MDR-Landesfunkhaus Thüringen, in dem auch das Altpapier erscheint, hat ab April eine neue Direktorin. Die vormalige Kika-Chefin Astrid Plenk folgt auf Boris Lochthofen, der Ende Dezember ging (Altpapier). "Gleich in einem spannenden Wahljahr in so eine neue Position zu starten, macht es umso reizvoller", sagt sie in der MDR-Pressemitteilung unter anderem. Die Thüringer Landtagswahlen am 1. September sind es ja vor allem, die die erwähnten "Wenn die AfD an die Macht kommt"-Fragen aufwerfen ... +++

+++ Grundsätzliche Regierungs-Kritik im öffentlich-rechtlichen Fernsehen fällt schon deshalb auf, weil so was sich nicht sehr oft ereignet. (Okay, wenn die FDP an Regierungen beteiligt ist, ereignet sich Detailkritik doch oft). Der Vierminüter "Nancy Faeser und die Meinungsfreiheit" aus der ZDF-Sendung "Berlin direkt" verdient definitiv Beachtung, auch wegen der scharfen Kritik von Verfassungsrechtlern etwa am "schwammigen", vom Verfassungsschutz geprägten Begriff "Delegitimierung des Staates". Schriftlich fasst "Telepolis" zusammen. +++

+++ "Frau Brüggemeier, was für eine Aufregung um ein Bild!" fragt der "Tagesspiegel" die dpa-Fotochefin Silke Brüggemeier zur Medien-Aufregung um ein Royals-Foto. +++

+++ "Eine zunehmende Zahl von Unterhaltungsshows besteht fast nur noch aus LED-Bildschirmflächen", und das leuchtet zwar ganz schön, verbraucht aber auch viel Energie, wägt Peer Schader bei dwdl.de "die Vor- und Nachteile des ausufernden Einsatzes der bespielbaren Studiotapeten" ab. +++

+++ Künstliche Intelligenz "bringt nicht nur", aber besonders auch "den Berufsstand der Sprecherinnen und Sprecher in Bedrängnis", schreibt Andrian Kreye auf der "SZ"-Medienseite (Abo). Wofür auch die KI-Wiederbelebung der Stimme des lang schon verstorbenen Hans Clarin für RTLs "Pumuckl"-Neuauflage spricht, die Thomas Rabe im oben verlinkten Interview erwähnt. +++ Mit der aktuell naheliegenden Frage, ob KI nicht auch Lokführer ersetzen könnte, befasst sich netzpolitik.org-Kolumnistin Bianca Kastl. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Annika Schneider.

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