Das Altpapier am 8. Juni 2018 Unter Freunden

Ein Bunte-Mann führt ein Interview mit Freunden – nämlich dem neuen Botschafter der USA in Deutschland und seinem Partner. Alexander Gerst fliegt auf die ISS, und selbst das "heute-journal" nennt ihn "Astro-Alex". Und: Jessy Wellmer über das Verhältnis von Nähe und Distanz im Sportfernsehen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Am 17. Mai twitterte Daniel Funke, der Chef der Berlin-Redaktion der Illustrierten Bunte: "Dinner with friends". Die Friends, die auf dem mitgetwitterten Foto zu sehen sind, sind der neue US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, und sein Freund. Außerdem auf dem Bild: Funkes Mann, Jens Spahn von der CDU.

Nun kann der Mann eines Politikers natürlich einen Diplomaten und seinen Partner seine Friends nennen, auch wenn er Journalist ist. Schmierig wird es, wenn dieser Journalist anschließend eine Home-Story plus buntem Interview mit diesen Friends in der Zeitschrift platziert, deren Hauptstadtbüro er leitet – mit Fotos wie aus einem Luxuseinrichtungskatalog und mit Fragen, die sich die Pressesprecher der Friends kaum schöner hätten ausdenken können. Daniel Funke von der Bunten hat genau das gemacht. (Florian Gathmann twitterte "Interview with Friends" und einen Blick ins Heft.) Ist schmierig da noch das richtige Wort? Oder hat das Ganze schon einen leichten Einschlag ins Berlusconische bis Postberlusconische?

Berlusconismus, der: Georg Seeßlen schrieb 2011 im Freitag darüber einen Essay, der seinerzeit an Karl-Theodor zu Guttenberg anknüpfte (der, so Seeßlen, "eine Vorahnung" gewesen sein könnte). Berlusconismus ist demnach "nicht allein die Herrschaft von postdemokratischen Leicht-Diktatoren mit Hilfe der Medien, sondern auch die Herrschaft der Unterhaltungsindustrie über Regierung und Staat".

Was sehen wir in der Illustrierten? Wir sehen ein Interview mit einem Diplomaten, das auf den ersten Blick erst einmal Bunte-like ist: Von Rudolf Scharping im Pool zum neuen Botschafter in der US-Residenz in Berlin-Dahlem ist der Weg blattmacherisch nicht allzu weit. Aber auf den zweiten Blick ist das nicht nur irgendein weiterer Illustriertenscheiß: Der Freund des unionsinternen Merkel-Kritikers Jens Spahn gibt hier dem Merkel-kritischen US-Botschafter Richard Grenell Raum, sein Spiel weiterzutreiben.

"Postdiplomatie"

Dieses Spiel nennt die aktuelle Zeit "Postdiplomatie":

"Grenell hat am Wochenende der rechtsnationalen, antieuropäischen Website Breitbart ein Interview gegeben und dort angekündigt, er werde 'Konservative' unterstützen, die sich gegen die Eliten auflehnen." (Wörtlich heißt es im Interview: "I absolutely want to empower other conservatives throughout Europe, other leaders." Und später über den Merkel-Kritiker Sebastian Kurz: "Look, I think Sebastian Kurz is a rockstar. I’m a big fan.” Allerdings wurde wohl im Nachhinein vor dem Wort "conservatives" das Wort "anti-establishment" bei Breitbart entfernt: Die Rede wäre demnach nicht von Konservativen, sondern von Rechten.)

Die Zeit weiter:

"Grenell hat sich seine Taktik von Donald Trump abgeguckt: Mal sehen, wie weit man gehen kann, wie weit man die Normen in einer Demokratie verschieben kann. Immer einen kleinen Schritt weiter, sodass jeder Schritt im Einzelnen zwar Unruhe erzeugt, aber nie so viel, dass es zum totalen Eklat kommt."

Bemerkenswert ist am Bunte-Interview zweierlei. Erstens: Jens Spahn, der Freund des Interviewers, ist ein Konservativer, der mit der Anti-Eliten-Rhetorik schon hantiert hat – etwa als er monierte, dass "in manchen Berliner Restaurants die Bedienung nur englisch" spreche: "In den Biotopen unserer Großstädte", O-Ton Spahn, erlebe man eine neue Form einer "höfischen, elitären Kultur". Mit dem Interview in der Bunten wird – ohne jeden Transparenzhinweis – einem Botschafter zu Popularität verholfen, der dem Freund des Interviewers mindestens verbunden ist. (Siehe hierzu auch die Westfälischen Nachrichten: "Am Sonntag trafen sich beide wieder – diesmal im Rahmen eines Gesprächskreises namens 'Zukunftswerkstatt'. Dieser Kreis war vor einiger Zeit von Spahn ins Leben gerufen worden und gilt als Sammelbecken für junge Unionspolitiker, die eher konservativer ausgerichtet sind".)

Zweitens: Grenell tut genau das, was etwa Die Zeit unterstellt. Er prescht vor – und wenn er nicht einfach so damit durchkommt (siehe etwa den Kommentar der New York Times: "The Germans were furious"), dann sagt er, hey, das sei so nicht gemeint gewesen. Diese Message ging am Mittwochabend und Donnerstag etwa via dpa durch diverse Medien. Und für sein Bin-wohl-missverstanden-worden- und Dog-whistle-Spiel nutzt Grenell auch das Bunte-Interview.

Aufgegriffen wird es von Agenturen und darüber etwa von Süddeutscher Zeitung, Mitteldeutscher Zeitung, Mannheimer Morgen und taz. Im dpa-Text wird aus der Bunten zitiert, Grenell habe "Bewunderung für Merkels Politikstil" geäußert: "'Ich mag ihre Ernsthaftigkeit und ihre Herangehensweise an politische Dinge', sagte er. 'Sie erwartet Resultate und nicht Prunk oder Glamour.'"

Heile heile, Segen. Stress? Von wegen. – So klingt’s. Aber methodisch ist das eher eine #mausgerutscht-Nummer. Die Washington Post schrieb: "Hordes of social media enthusiasts (…) rose in Grenell’s defense: He wasn’t insulting Merkel! He meant no offense! But of course he was, and of course he did. These kinds of games are precisely how the radical right communicates with its supporters." Was dpa nicht weiterverbreitet, ist der vermeintlich inhaltsleere Grenell-Satz in der Bunten kurz darauf, der gleich wieder eine Absetzbewegung verdeutlicht und das Code-Wort "die Eliten" enthält: "Ich bin kein Botschafter, der auf Cocktailempfängen und Gartenpartys über die großen Fragen des transatlantischen Verhältnisses sinniert. Das können die Eliten gern unter sich ausmachen."

Eingeführt wird Grenell in der Illustrierten übrigens als "meinungsstarker Publizist und TV-Star bei Fox News" sowie "kein Berufsdiplomat". Wenn er sich selbst beschreiben dürfte, "kein Berufsdiplomat" wäre wahrscheinlich dabei. Es sieht so aus, als gehöre Die Bunte in jede Medienredaktion.

Neues aus dem ZDF-Shop

Gehen wir jetzt ein bisschen einkaufen! Im ZDF-Shop gibt es zum Beispiel bald eine "Mainzelmännchen Fußball Fan Figur Anton im Trikot", die sich "ins Fan-Outfit geworfen" hat und "sich schon riesig auf die Spiele der deutschen Mannschaft" freut (4,95 Euro).

Ebenfalls bald erhältlich: "Mainzelmännchen Figur, Astronaut – Conni als Astronaut". Der Fußball-Anton hat immerhin kein DFB-Logo auf dem Fan-Hemd, aber Astro-Conni trägt das Zeichen der Mission "Horizons", zu der gerade Alexander Gerst aufgebrochen ist. Gerst, Gerst? Sorry, "Astro-Alex" natürlich, wie ihn selbst das "heute-journal" (Minute 0:43 und 0:53) nennt.

Dazu zweierlei. Erstens: In den beiden Original-Mainzelmännchen-Produktbezeichnungen fehlen zahlreiche Bindestriche. Zweitens: Da werden zwei Hybride verkauft – zwei Maskottchen des Berichterstatters in Aufmachungen, die für die Berichterstattungsobjekte stehen. Das ist nicht skandalös, der Fanshop ist ja auch nicht deckungsgleich mit der Redaktion. Aber es führt auf die Spur des Verhältnisses von Nähe und Distanz im Sportfernsehen und der Weltallberichterstattung.

Fall 1: Astro-Alex-Journalismus

Eine spektakuläre Weltallberichterstattung braucht die Bilder von der ISS – weshalb es eine Reihe von Zusammenarbeiten gibt: Das ZDF bringt eine "Terra X"-Trilogie nicht etwa über, sondern explizit "mit Gerst". Die ARD schickte neben der Maus aus dem Kinderfernsehen diesmal auch den Elefanten hoch auf die Raumstation. Und in Geo schreibt Gerst manchmal selbst.

Gerst, dem man freilich ein gewisses Spezialwissen schwerlich absprechen kann, wird medial behandelt wie ein Experte beim Fußball: Er stellt seine Expertise zur Verfügung – an der wird dafür nicht groß gezweifelt. Das Problem ist nicht, dass man sie nicht für vertretbar halten dürfte. Sondern dass sie – im Vorfeld seines Starts zumindest weitgehend – behandelt wird, als wäre sie die einzig mögliche Perspektive auf den Komplex Weltraumforschung. Gegen die Interessen von Esa, Nasa und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, deren PR-Abteilungen sich einen wie Gerst nur wünschen können, wird er allerdings natürlich nichts sagen. Und natürlich gehört zu diesen Interessen auch die weitere öffentliche Finanzierung der Forschung. Durch die Personalisierung mit Alexander Gerst entsteht aber tendenziell ein vermischter Identifikationsfigur-People-Journalismus. Wie lautet – siehe Altpapier vom Mittwoch – dieses Wort der Woche? Framing.

Fall 2: Fußball-WM-Journalismus

Im Sportevent-Fernsehen ist das Verhältnis von Nähe und Distanz wohl deshalb nicht ganz einfach auszutarieren, weil man zugleich wie ein Conférencier durch die Show führen soll und als Journalist über die Show zu berichten hat. Jessy Wellmer, die zum WM-Team der ARD gehört, sagt es im Interview mit Übermedien (das ich mit ihr geführt habe, frei derzeit nur für Leute mit Abo) so:

"Ich zeige Empathie und habe viel Respekt vor sportlichen Leistungen, aber manche Leute wollen mehr. Die wollen kuscheln auf dem Sofa. Die wollen, dass man in die Medaille beißt, und dass alle heulen vor Glück. Ich kann und will diese gesunde Distanz aber nicht aufgeben. Der Spagat zwischen Nähe und Distanz ist das Schwierige im Sportfernsehen."

Wobei ich speziell den Spagat zwischen Nähe und Distanz zum Deutschen Fußball-Bund interessant finde, den die ARD bei der WM ohne echte Not vollführt. Es gibt ein Expertendilemma: Mit DFB-Botschafter und "Ehrenspielführer" Philipp Lahm, DFB-Vielfaltsbotschafter Thomas Hitzlsperger und DFB-U21-Trainer Stefan Kuntz gibt es gleich drei ARD-Experten, die "einerseits Journalisten zuliefern sollen – andererseits aber der Mannschaft verbunden sind oder sogar eine Funktion im DFB haben" (siehe auch dieses Altpapier).

Das finde ich zumindest bemerkenswert. Framing-technisch. Apropos: Gibt es frische Meinungen zu Talkshows? Logisch. Im…

Altpapierkorb

+++ Es wird munter herumgemeint zum Thema Talkshows. Deren Mitverantwortung für die unverhältnismäßige Wahrnehmung rechter Perspektiven wurde gestern hier schon verhandelt, die Diskussion wurde zuletzt auch schon rund um die Bundestagswahl geführt (Altpapier). Was gibt es also heute nachzutragen? Dies: "Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, findet, die Talkshows im Ersten und im ZDF sollten sich eine einjährige Auszeit nehmen und ihre Konzeptionen überarbeiten" (Tagesspiegel). Joachim Huber findet das unmöglich: "Talkshows zeugen vom zivilisatorischen Zuwachs einer Gesellschaft. Nicht lange her, da ging es in die Säle, auf die Straßen. Schädel wurden traktiert, es galt, den Gegner mundtot zu machen. Eine Talkshow ist eine Anstrengung: die Integration der Andersdenkenden." Das allerdings finde ich jetzt fast ärgerlich. Worum es in der Diskussion geht, ist doch nicht die Verhinderung bestimmter Positionen, sondern es geht darum, dass Talkshows auf die steilsten Positionen zurückgreifen, wie sehr sie manches Thema erst machen und wie man dort darüber spricht.

+++ Auch Michael Hanfeld tut in der FAZ so, als gehe es den Talkshowkritikern ums Verschweigen von Themen und nicht darum, dass es eine Talkshowrealität zu geben  scheint.

+++ "Die Debatte um eine Reform des Auftrags und der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender nimmt Fahrt auf", berichtet die Medienkorrespondenz: "Sechs Bundesländer – Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Hamburg, Sachsen und Thüringen – haben dazu jetzt einen Plan vorgelegt. Nach MK-Informationen schlägt die Ländergruppe unter anderem vor, den allgemeinen Rundfunkbeitrag zur Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio künftig in regelmäßigen Abständen auf Basis der jährlichen Inflationsrate anzuheben. Das heutige System, bei dem eine Expertenkommission (KEF) den Finanzbedarf der Anstalten ermittelt und darauf basierend eine bedarfsgerechte Rundfunkbeitragshöhe für die Dauer von vier Jahren vorschlägt, würde dann abgeschafft."

+++ Jürgen von der Lippe wird 70 und kriegt am Samstag seine Geburtstagsshow in der ARD, "diese überflüssigste aller Gruselsendungen, in der sich Fernseh-Promis in Nostalgie ergehen und garantiert ein großer Chor 'Guten Morgen, liebe Sorgen' trällert" (ahnt die FAZ). Dazu auch: der Tagesspiegel.

+++ Über den Abgang des Chefredakteurs der britischen Daily Mail ("Ihr Einfluss auf das Brexit-Referendum ist kaum zu überschätzen") berichtet die Süddeutsche Zeitung.

+++ Altpapier-Kollegin Juliane Wiedemeier ärgert sich im "Medientagebuch" des Freitag (für das ich auch schreibe) über halbgare Versuche von Redaktionen, mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen und sich ggf. zu erklären.

Neues Altpapier kommt am Montag.