Das Altpapier am 26. November 2018 Es ist alles relativ

Der Fünf-Punkte-Plan der Verlage für "mehr Qualität" sorgt für die Frage: Wo ist Punkt sechs? Verwendet die ARD wirklich keine real existierenden Parteinamen in fiktionalen Formaten? (Spoiler: doch.) Und hat die Rundfunkkommission die Absicht, eine Mauer zu errichten? Ein Altpapier von Klaus Raab.

Qualität ist immer gut, mehr Qualität ist aber noch besser. Insofern ist es an sich nur begrüßenswert, dass "fünf deutsche Verlage ein Zeichen für mehr Qualität" setzen, wie nun etwa auch Der Standard berichtet: "Springer, Bauer, G+J, Funke und Burda bekunden ihr gemeinsames Interesse an 'True Media‘."

Die Tatsache, dass zu den fünf Verlagen auch welche zählen, die – worauf Bildblogger Moritz Tschermak noch einmal im Deutschlandfunk/@mediasres-Interview hinwies – "selbst Dutzende Regenbogenhefte (…) wie 'Echo der Frau‘, 'Freizeitrevue‘ und 'Das neue Blatt‘" im Portfolio haben, die "mit Wahrheit oder dem Versuch wahrhaftiger Berichterstattung nun wirklich so überhaupt nichts zu tun" hätten, sorgte schon am Mittwoch auch an dieser Stelle für Verwunderung. Es geht da schon eher um relative Qualität.

Wir wollen aber nochmal eine kleine Schleife drehen. Es geht nämlich bei dem Fünf-Punkte-Plan, den die besagten Verlage herausgegeben haben, nicht nur um publizistische Aspekte, sondern vor allem auch um wirtschaftliche.

Sie verpflichten sich, wie der Deutschlandfunk online schreibt, "der Demokratie, der publizistischen Verantwortung, dem Presserecht und dem verantwortungsvollen Umgang mit Daten" verpflichten. Wer nachzählt, kommt in dieser Reihe aber nur auf vier Punkte. Besonders bemerkenswert ist der fünfte: "Wir machen Marken begehrenswert." (Den Wortlaut hat etwa W&V). Präsentiert wurde die Fünf-Punkte-Agenda auch nicht bei einer der vielen Journalismuskonferenzen, bei denen Journalismusvertreter weitgehend unter sich sind; sondern "bei Best4 Das Event (…) – unmittelbar vor der OWM-Fachtagung der wichtigsten Werbekunden". Es geht also "um den Wert von Qualität im Werbeumfeld".

Wer hinter der Veröffentlichung hinlänglich bekannter Prinzipien des Journalismus die Sorge vor der (weiteren) Abwanderung der Werbeetats von Print zu Facebook und Google vermutet, könnte  somit auf dem passenden Gleis sein. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung etwa zitiert in der Medienseitenrubrik "Die lieben Kollegen" nicht ohne Ironie aus dem entsprechenden Punkt 5:

"'Als journalistischer Teil der Medienindustrie‘, so sagte Burda-Vorstand Philipp Welte, 'sind wir der wertegebundene Gegenentwurf zu der nicht enden wollenden Flut an manipulativem Content, mit dem die Menschen heute in den sozialen Netzen konfrontiert sind.‘ Wie das genau gemeint ist, darüber ließ die Wahrheitsagenda auch keine Missver­ständnisse aufkommen: (…) Schließlich gehe es ja auch darum, dass nachhaltige Kommunikation in gedruckten Zeitschriften und Zeitungen sich auszahlt – nicht nur im Sinne von Markenbekanntheit und Sympathie, sondern sehr konkret in der Kauf-Aktivierung‘."

Was ist mit Punkt sechs?

Tja. Man könnte natürlich sagen: Solange Journalismus und Anzeigenabteilungen getrennt sind – go ahead. Es kam aber auch noch ein Print-Horizont-Interview mit dem ehemaligen Stern-Chefredakteur Dominik Wichmann hereingeflattert, das über Twitter auszugsweise weitere Verbreitung fand (und mehr als diese Auszüge habe ich nicht gelesen). Wichmann, nicht mehr als Journalist tätig, wird zitiert:

"Wenn eine Frauenzeitschrift fünf Handtaschen empfiehlt und jede dieser Handtaschen von einem Anzeigenkunden stammt, stört das niemanden. Wenn eine Bloggerin das Gleiche tut, ist es Werbung. Den Unterschied muss man mir erst noch erklären. Ebenso inakzeptabel ist es, dass die Einflussnahmen der Anzeigenabteilungen auf die Redaktionen immer mehr zunehmen."

Die Abteilungen welcher Verlage Wichmann konkret im Kopf hatte, weiß ich nicht. Und doch fällt auf, dass der Fünf-Punkte-Plan kein Sechs-Punkte-Plan ist. Ein relativ schöner Punkt 6 hätte sein können: "Wir trennen klar zwischen journalistischer Berichterstattung und den wirtschaftlichen Interessen des Verlags und machen mögliche Konflikte deutlich transparent."

Die "schlechteste öffentlich-rechtliche Sendung"

Die  Einstellung der ewigen Fernsehserie der Herzen, der "Lindenstraße" (Altpapier vom 19.11. und 20.11.), erregt noch immer die Gemüter. Dieter Anschlag von der Medienkorrespondenz etwa schreibt darüber. Er hat nicht nur einen Vorschlag parat, welches "die derzeit wohl schlechteste Sendung des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens" sei – nämlich "Live nach Neun". (Wobei diese Konkurrenz von ZDFinfo relativ konkurrenzfähig ist.) Er findet auch, dass die "Lindenstraße" zum guten Programm gehört(e):

"Eine Serie wie die "Lindenstraße" schafft man nicht ab, man modernisiert sie. Das wäre der Ehrgeiz, den ARD und WDR hätten zeigen müssen. Und natürlich ist das Argument, dass die Produktionskosten für die 'Lindenstraße‘ zu hoch sind, so vorgeschoben wie lächerlich."

Wobei es, aber das ist jetzt meine Meinung, eine sehr einschneidende Modernisierung hätte sein müssen. Die Serie atmet meines Erachtens schon eine leichte Muffigkeit. "Vielleicht kein Zufall", schreibt Dieter Anschlag,

"dass die ‚Lindenstraße‘ in der Kohl-Ära startete, sozusagen ein Gegenangriff von links war auf die Regierung von halbrechts, die die anständigen Leute für sich reklamierte – ein Anspruch, den ihr die 'Lindenstraße‘ bestritt. Würde man die 'Lindenstraße‘ einmal daraufhin untersuchen, käme man vermutlich zu der Einsicht, dass die meisten Sympathieträger der Serie ein grün-sozialdemokratisches Herz in der Brust tragen oder gelernt haben, dass es besser wäre, das Herz von den Giften schwarzer Ideologie zu reinigen. Aber die 'Lindenstraße‘ war und ist wohl eine Serie, in der auch rechts denkende Figuren Sympathien beanspruchen dürfen und nicht aus dem Diskurs ausgeschlossen werden."

Real existierende Parteinamen in der ARD

Da wären wir bei einem anderen Punkt, nämlich der Frage, ob es stimmt, was der NDR vergangene Woche behauptet hat: "In Filmen mit einer frei erfundenen Handlung ist es üblich, keine real existierenden Parteinamen zu verwenden", hatte es geheißen, nachdem ein Anti-AFD-Aufkleber – im linearen Fernsehen in einem Krimi zu sehen – online nach Protesten entfernt worden war.

Ralf Heimann hat hier im Altpapier vergangene Woche dazu geschrieben, er halte es für klüger, "den Vorwurf zu entkräften, man versuche den Zuschauern unterschwellig Anti-AfD-Botschaften unterzujubeln, (…) als sich in einem Fall, in dem man offenbar gegen eigene Prinzipien verstoßen hat, auf die Kunstfreiheit zu berufen". Ich stimme ihm da zu. Nur gibt es Neues zur Frage, ob die ARD sich an dieses Prinzip hält. In der "Lindenstraße" jedenfalls nicht. Ich habe für eine Print-taz-Kolumne vom Samstag eine nur wenige Minuten dauernde Google-Recherche angestellt und drei Beispiele dafür gefunden, dass real existierende Parteinamen verwendet werden:

"Zum Beispiel sagte Harry Rennep, gespielt von Harry Rowohlt, in der Serie einmal: 'So’n Kanzler Schröder lässt unsereinen doch fallen wie ne heiße Kartoffel. Und die Grünen hauen dem auch nich’ anständig aufn Deckel.’ Nach einer Minute Internetrecherche findet man in einer 'Lindenstraße’-Folge den Satz 'Unsere Super-FDP steckt’s den Hoteliers und den Ärzten vorn und hinten nei‘."

Die Kritik an der FDP gab damals auch Ärger. Damals, 2010, hieß es aber aus dem WDR:

"Seit fast 25 Jahren ist die 'Lindenstraße' dem Realismus verbunden", sagte eine Sendersprecherin. In der Serie sei es Tradition, dass die Figuren zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen Meinungen äußern."

Einen "FCK AFD"-Aufkleber, an dem nun Anstoß genommen wurde, gab es 2017 in der "Lindenstraße" übrigens auch schon einmal, wenn auch relativ schwer zu erkennen. Und auch Welt-Medienjournalist Christian Meier wurde bei einer ähnlichen Suche schnell fündig, wie er sagt, in "Lindenstraße"-Folge 82 (Podcast, Minute 10:15). Insofern wäre es, falls es eine ARD-Üblichkeit gibt, keine real existierenden Parteinamen in fiktionalen Programmen zu verwenden, gut, wenn die Üblichkeit nicht nur dann eingehalten würde, wenn die AfD (und, wie im aktuellen Fall, die Junge Union München) sich beschwert. Alexander von Streit sagt es im Tagesspiegel-Fragebogen so: "Etwas mehr Souveränität würde den Programmverantwortlichen sicherlich nicht schaden."

Endlich mal ein DDR-Vergleich

Der DDR-Vergleich der Woche kommt von Michael Hanfeld und stand auf der Medienseite der FAZ vom Samstag. Er schreibt, "angelehnt an Walter Ulbricht: 'Niemand hat die Absicht, den Rundfunkbeitrag zu erhöhen!‘" Hanfeld will also sagen, dass die Beitragserhöhung natürlich sehr wohl kommen wird. Und zwecks Schärfung des FAZ-Medienseitenprofils sagt er es, indem er Öffentlich-Rechtliche und DDR in einem Gedankengang unterbringt. Das Sachproblem an dem Ulbricht-Vergleich ist, dass eine Rundfunkbeitragserhöhung auf Dauer eigentlich doch kaum jemand ausschließt. Auch nicht die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, (SPD), die der Rundfunkkommission der Länder vorsitzt und in dieser Funktion die entsprechenden Interviews gibt. Kürzlich etwa promedia. Dabei hat sie – der Anlass für den Ulbricht-Spaß – von einer "relativen Beitragsstabilität" gesprochen, was natürlich tatsächlich sehr albern klingt:

"Der für die Auftragserfüllung notwendige Finanzbedarf bestimmt (mittelbar) über die Beitragshöhe und nicht umgekehrt. Wenn wir also von Beitragsstabilität reden, dürfen wir nicht vergessen, dass sich einerseits die Rahmenbedingungen der Auftragserfüllung weiterentwickeln und andererseits auch bei gleichbleibenden Bedingungen der Kostenaufwand für ein Angebot steigt. Deshalb geht es letztlich um die Frage einer relativen Beitragsstabilität."

Von Ulbrichts Lüge ist diese Fachsprachenumschiffung des Satzes "Beitragserhöhung nicht ausgeschlossen" meines Erachtens aber schon ein Stück weg. Vielleicht bin ich aber nur mancher mit dem Hammer beschlagener Witze langsam müde. (Wie immer an solchen Stellen: der obligatorische Hinweis, dass diese Kolumne im ARD-Kosmos erscheint.) Vorschlag zur Güte: Vielleicht wäre es gut, für die Verkaufe der im Dezember (Altpapier) zu beschließenden medienpolitischen Vorhaben jemanden wie Familienministerin Franziska "Gute-Kita-Gesetz" Giffey einzubeziehen. Gäbe es ein "Dinge-kosten-leider-immer-mehr-Geld-Gesetz" statt einer "relativen Beitragsstabilität", würde das wohl an anderer Stelle Ulbricht-Pointen sparen.

Altpapierkorb ("Hannibal"-Recherche, "Spreewaldkrimi", Charlotte Roche, Armin Wolf, Baha Güngör)

+++ Warum ist die Resonanz auf die Recherchen von taz und Focus so gering, denen zufolge es ein rechtsextremes Netzwerk ("Hannibal") in der Bundeswehr gibt und Gruppen am Aufbau eines Staats im Staat arbeiten? Warum wird das Thema "weder in den überregionalen Zeitungen noch auf der großen Bühne der Politiktalkshows" weiterverhandelt? Das fragte die DLF-Sendung "Breitband". Einige der Erklärungsversuche: mediale Ermüdung, die "schon im Zuge des großen NSU-Komplexes" eingesetzt habe. Die AfD überlagert jegliche Beschäftigung mit Phänomenen, die mit der politischen Rechten zu tun haben. "Erfordert langwierige und langfristige Recherche" und ist auch deshalb nicht mal eben Talkshowthema. Oder liegt es daran, dass die taz ein Medium ist, "das als eher links eingeordnet wird"?

+++ Der "Spreewaldkrimi" des ZDF wird viel besprochen (etwa in Tagesspiegel, Print-FAZ und SZ).

+++ In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wird Charlotte Roches NDR-Format "Die Geschichte eines Abends" verarztet: "Roche befragt die geplagten Seelen der Unterhaltungsindustrie mit zärtlichstem Timbre über ihren Kummer, eine merkwürdige Mischung aus Beichte und Selbsthilfegruppe entwickelt sich da. Roche scheint in dieser Rolle der umsorgenden Mutter aufzugehen. Zu Beginn spricht sie aus dem Off: 'In der Stadt vergammeln meine Gefühle’".

+++ "Es gibt eine essenzielle Krise der Fakten" – sagt Armin Wolf vom ORF im SRF-Interview, das man als Ergänzung zu anderen Wolf-Analysen sehen kann.

+++ Der Journalist Baha Güngür ist gestorben, taz-gazete hat einen Nachruf.

Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag.