Notenheft des Deutschlandlied auf einer Fahne
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Einigkeit und Recht und Freiheit Wie Deutschland zu seiner Nationalhymne kam

02. Mai 2022, 05:00 Uhr

Seit dem 2. Mai 1952 ist die dritte Strophe des Deutschlandlieds offizielle Hymne der Bundesrepublik. Die Deutschen heute haben ein gespaltenes Verhältnis zu nationalem Pathos – und deshalb auch zu ihrer Hymne. Deren Geschichte erzählt viel darüber, wie Deutschland wurde, was es heute ist. Und wie die Deutschen mit dem Ergebnis ringen: ihre Hymne infrage stellen, sie oft nicht singen, weil sie nicht genau wissen, was sie bedeutet. Wie nationalistisch ist unsere Nationalhymne?

Der Autor der deutschen Hymne, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, hatte jedenfalls kein großdeutsches Reich im Sinn, als er am 26. August 1841 auf Helgoland den Text für "Das Lied der Deutschen" schrieb. Als Melodie nutzt er die 1797 von Joseph Haydn komponierte Hymne auf den österreichischen Kaiser Franz II. Beides zusammen spiegelt die Situation im Europa dieser Zeit. Das ist kaum bekannt, lange her und deutsche Identität hat heute eben auch immer etwas mit der Zeit des Nationalsozialismus zu tun. Doch eine Nationalhymne braucht es, es gibt kein Land ohne. Sie wird bei offiziellen Anlässen, Staatsbesuchen und internationalen Sportveranstaltungen gespielt.

Der Deutsche Bund im "Vormärz": Kleinstaaterei und Unterdrückung

Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es den Deutschen Bund (1815-1866), der aus einer großen Anzahl kleiner und größerer Staaten bestand: diverse Königreiche, das Kaiserreich Österreich, Fürstentümer, Großherzogtümer und dazwischen freie Städte. Trotz des Bundes herrscht Kleinstaaterei, geprägt von willkürlichen Gesetzen des herrschenden  Adels. Es ist aber auch die Zeit der Industrialisierung, das Proletariat entsteht, teils herrscht große Armut. Im Volk gibt es bereits erste Erfahrungen mit demokratischen Ideen. Napoleon Bonaparte hatte während seiner Herrschaft den Code Civil eingeführt. Erstmals hatte es Bürgerrechte gegeben, wie Gleichheit vor dem Gesetz, öffentliche Gerichtsverfahren und Religionsfreiheit. Nach der Vertreibung Napoleons versuchten die deutschen Fürsten, das Rad zurückzudrehen. Doch die aufstrebende Bürgerschaft ließ sich die frühliberalen Ideen nicht nehmen. Was öffentlich nun wieder verpönt war, wurde in den Burschenschaften diskutiert. Auch Hoffmann von Fallersleben, geboren 1798, gehörte dazu.

Demokratiebestrebungen und Revolution

1840 ist Fallersleben Professor für Deutsche Sprache und Literatur in Breslau und veröffentlicht seine Gedichtsammlung "Unpolitische Lieder". Darin kritisiert er die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Zustände in Preußen. Von da an wird er politisch verfolgt. Um mit Gleichgesinnten frei reden zu können, reist er nach Helgoland. Die Insel gehört damals zu Großbritannien und ist ein Wallfahrtsort für all jene, die endlich frei sprechen wollen und der Kleingeistigkeit in den Fürstentümern des Deutschen Bundes müde sind.

Es wird diskutiert, getrunken und sich Mut gemacht. Hoffmann von Fallersleben genießt die Atmosphäre und zieht sich immer wieder auch auf die Klippen der Insel zurück, um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Hier entsteht 1841 "Das Lied der Deutschen", ein Extrakt der Sehnsucht nach "Einigkeit und Recht und Freiheit" in der Heimat.

In der Folge verliert der Autor aufgrund seiner politischen Gesinnung seine Arbeit und seine preußische Staatsbürgerschaft. Damit wird er zum einen Ausgewiesenen. Eine Zeitlang findet er als Kuhhirte Unterschlupf. Damals schreibt er seine 550 Kinderlieder, viele davon werden immer noch gesungen.

Diese Zeit gilt als der "Vormärz", der der "Deutschen Revolution" 1848/1849 vorausgeht. Allerdings gelingt es den Aufständischen in der Revolution zunächst nicht, die erhofften liberalen und demokratischen Veränderungen herbei zu führen. Hoffmann von Fallersleben kann glaubhaft machen, nicht an der Revolution beteiligt gewesen zu sein und wird rehabilitiert. Das "Lied der Deutschen" steht in einer Reihe mit vielen ähnlichen Gesängen, die in Volk und Bürgertum damals eine große Rolle spielen und die Sehnsucht nach einer liberaleren, nationalen Identität beschreiben.

Deutschlandlied wird offiziell

Porträt des Dichters Hoffmann von Fallersleben
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874). Fallerslebenmuseum in Wolfsburg Bildrechte: imago/Werner Otto

Erstmals offiziell erklingt das Lied fast 50 Jahre nach seiner Entstehung und 16 Jahre nach dem Tod von Fallerslebens. Es wird gesungen, als 1890 die Insel Helgoland ans Deutsche Reich übergeben wird. Die Geschichte des Liedes ändert sich im Ersten Weltkrieg. 1914 sollen sich deutsche  Soldaten im Nebel durch das Singen des Liedes orientiert haben. Obwohl die Berichte zu widersprüchlich sind - das Lied bekommt Heldenpathos.

Nationalhymne in Weimarer Republik und NS-Zeit

Im Kaiserreich erklang die preußische Königshymne "Heil dir im Siegerkranz" bei offiziellen Anlässen. In der Weimarer Republik ernennt Reichspräsident und SPD-Mitglied Friedrich Ebert 1922 das "Lied der Deutschen" mit allen drei Strophen zur Nationalhymne. Es ist sein Versuch, linke und rechte Parteien miteinander zu versöhnen. Die Nationalsozialisten mögen das Lied aber nicht. Hoffmann von Fallersleben stellt die Idee der Einigkeit "über alles", sieht darin Stärke nach innen und außen und das Fundament eines Staates mit Bürgerrechten. Die Nationalsozialisten aber wollen Deutschland gegenüber den anderen Staaten erhöhen. Das Lied bleibt zwar deutsche Hymne, wird aber nur mit der ersten Strophe gesungen. Es schließt sich das "Horst-Wessel-Lied" an, welches deshalb inoffiziell die Funktion der Hymne übernimmt.

Die Hymne im Nachkriegsdeutschland

Nach Ende des Nationalsozialismus ist das "Lied der Deutschen" eng mit Diktatur und Gräuel verbunden. Bis 1949 ist es sogar ausdrücklich verboten, dieses Lied (wie auch andere Lieder, die von den Nationalsozialisten genutzt wurden), zu singen. Doch die Bundesrepublik braucht ein Hymne. Alternativen scheitern, insbesondere Bundeskanzler Konrad Adenauer hält am Deutschlandlied fest. Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss dagegen hält es nicht mehr für möglich, das ursprünglich so fortschrittliche Lied vom Geist des Dritten Reiches zu trennen. Auch international ist vor allem die erste Strophe verpönt: "Deutschland, Deutschland über alles...".

Adenauer schlägt 1950 vor, nur die dritte Strophe zu singen. Dem stimmt schließlich auch Heuss zu. Seit dem 2. Mai 1952 fungiert dieses Arrangement als deutsche Nationalhymne. Adenauer sagt zur Hymne: Sie sei "...ein heiliges Gelöbnis, dass wir ein einiges, ein freies Volk und ein friedliches Volk sein wollen."

Eisler und Becher schreiben die DDR-Hymne

Die DDR gibt mit ihrer Gründung 1949 eine Hymne in Auftrag, die dem Geist des neuen Landes entsprechen soll. Präsident Wilhelm Pieck möchte, dass Demokratie, Kultur, Arbeit, Wohlstand, Völkerfreundschaft, Frieden und die Einheit Deutschlands thematisiert werden. Nur wenige Tage später geben Johannes R. Becher und Hans Eisler ihre Vorschläge ab. Der Clou: der Text der DDR-Hymne hat zwar eine eigene Melodie, lässt aber auch auf die des "Liedes der Deutschen" singen.

Geeintes Deutschland

Auch mit der Wiedervereinigung gibt es Bemühungen um eine neue Hymne, die aber wieder nicht fruchten. 1991 wird das Lied, das bereits seit fast 40 Jahren in der Variante dritte Strophe als Nationalhymne fungiert, auch endlich offiziell Hymne der Deutschen. Und zwar genau in dieser Form. Wer die erste und/oder zweite Strophe singt, darf das, singt damit aber nicht die Nationalhymne. Künstlerische Interpretationen sind erlaubt. Die dritte Strophe aber ist geschützt.

Das Fußball-Sommermärchen

Beim "Sommermärchen" der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land wird der Umgang plötzlich entkrampfter, es ist ein lockerer Patriotismus, der während der WM 2006 aufkam. Die Nationalhymne zu singen, wurde einfacher. Auch im Ausland wurde der entspanntere Umgang der Deutschen mit sich selbst positiv aufgenommen. Eine Nationalhymne braucht es, es gibt kein Land ohne. Sie wird bei offiziellen Anlässen, Staatsbesuchen und internationalen Sportveranstaltungen gespielt - und gebraucht. Als ein Stück Identität, auch wenn es eines ist, mit dem man sich ersteinmal auseinandersetzen muss.