Porträt von Ann Cathrin Riedel 12 min
Ann Cathrin Riedel ist Vorsitzende des LOAD e.V. - Verein für liberale Netzpolitik. Im Interview spricht sie über Memes als neue Kommunikationsform. Bildrechte: MEDIEN360G | Foto: Paul Alexander Probst

Das Interview zum Nachlesen Wie Memes unser Denken beeinflussen

10. Februar 2023, 01:00 Uhr

Memes sind aus der digitalen Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Sie unterhalten die Nutzenden, bringen sie zum Schmunzeln oder Nachdenken. Dabei gehen auch einige Probleme mit dem Internetphänomen einher, wie zum Beispiel die Verbreitung von Desinformation. Digitalpolitikerin Ann Cathrin Riedel vom LOAD e.V. spricht über den Einfluss von Memes und darüber, wie sie sich verbreiten.

MEDIEN360G: Was ist ein Meme?

Ann Cathrin Riedel: Ich glaube, ganz viele verstehen da so Bildchen drunter, vielleicht noch GIFs. Ich würde es sogar noch weiter fassen und auch Texte drunter sehen. „Okay Boomer“ kennen vielleicht auch viele – das würde ich als Meme sehen.  Es gibt auch viele – ich kenne es von Instagram hauptsächlich – aus Text, auch nur Text. Genauso wie Okay Boomer, nur mehr Text. Auch das würde ich als Meme sehen. Künstlerische Darstellung von irgendwelchen wiederkehrenden Sachen, wo sich Leute wieder drin finden.

MEDIEN360G: Was macht Memes erfolgreich?

Ann Cathrin Riedel: Ich glaube, die müssen einfach den Zahn der Zeit treffen, also irgendetwas, das gerade aktuell ist, aufgreifen, sodass es sich verbreitet. Es gibt aber natürlich Memes, die man vom Bild her kennt, wo sich häufig die Texte ähneln. Ich denke jetzt gerade an diese Pica Face Palm  oder an den Affen, der ein bisschen so guckt: Was ist da jetzt passiert? Das kann man ja häufig immer wieder einsetzen, teilweise mit unterschiedlichen Texten noch drüber. Das ist, glaube ich, eine Stimmung, die ich regelmäßig habe, wie so ein Face Palm, oder etwas, was geraden den Zahn der Zeit trifft. Oder auch etwas, wo klassische Vorurteile, die ja auch tief in Gesellschaften sitzen, getroffen werden, sodass sich das immer und immer wieder verbreitet, so ein Meme.

MEDIEN360G: Sind Memes harmlos?

Ann Cathrin Riedel: Ich glaube, manchmal ist das Problem mit Memes, dass da sehr häufig versteckte Botschaften drin sind. Wir haben das im mittlerweile vorletzten Präsidentschaftswahlkampf in den USA ganz extrem gesehen [Anm. d. Red.: Gemeint ist der Wahlkampf 2016]. Wir sehen das jetzt auch häufig mit Desinformation im Zuge des Krieges gegen die Ukraine. Dass da Botschaften drin versteckt sind, die – jetzt im Falle des Kriegs gegen die Ukraine – sehr pro-russisch sind. Und dass Menschen das teilen, obwohl sie eigentlich gar nicht diese Meinung hegen. Aber es gibt dieses Körnchen an Zweifel: Da kann ja vielleicht doch was dran sein. Leute denken, hm, das ist ja irgendwie witzig oder interessant, oder das stimmt doch. Dann verbreiten sie gerade mit Bild-Memes oder kleinen GIFs Desinformation. Super einfach, weil es super easy ist, so ein Meme mal eben in einem Messenger weiterzuleiten. Oder auch mit antisemitischen, rassistischen oder allgemein rechtsextremistischen Inhalten: Super leicht, super subtil. Häufig denken Menschen gar nicht so genau darüber nach. Was ist eigentlich die tieferliegende Botschaft dieses Memes und woher kommt das eigentlich? Wer verbreitet das Meme mit welcher Intention?

Eine stilisierte Person post und inszeniert sich vor der Selfie-Kamera ihres Handys. mit Video
Dance-Challenges von Soldaten, Lip-Sync-Videos von Familien: Die inszenierten TikTok-Clips sind roh, verwackelt, ohne Kontext - und eine neue Form des bürgerlichen Widerstands. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

MEDIEN360G: Warum benutzen wir Memes?

Ann Cathrin Riedel: Ich glaube, das ist eine Art der Kommunikation, die witzig ist, aber sie verbreitet natürlich auch viele Emotionen, die ich in einfachem Text gar nicht so verbreiten kann. Wir kommunizieren ja wahnsinnig viel digital. Gerade über Messenger: Mit Familie, Freunden, aber auch in der Arbeit beispielsweise. Mit diversen Plattformen, wo wir dann mit Kollegen von Homeoffice zu Homeoffice viel digital schriftlich kommunizieren. Wir haben Emojis, um unsere Stimmung zu vermitteln. Ein kleiner Zwinkersmiley oder ähnliches. Ein GIF oder ein Meme kann viel mehr Emotionen verbreiten, sodass ich vielleicht noch mal deutlich machen kann, dass ich etwas witzig meine. Dass das ein Joke sein soll. Es kann auch etwas Verbindendes sein, indem ich immer wieder einen Running Gag habe. Gerade bei digitaler Kommunikation, wo ich meinen Gegenüber ja nicht sehe, und wo ich auch im verbalen Ausdruck nicht noch eine Gestik machen kann, um zu zeigen, wie ich das eigentlich meine, was ich gerade sage, hilft ein Meme, um gewisse Stimmungen, Emotionen mit zu übertragen.

MEDIEN360G: Emotionalisieren Memes komplexe Zusammenhänge?

Ann Cathrin Riedel: Gerade bei internationalen Verschwörungen, die auch viel diese Meme-Kultur nutzen, um ihre Botschaften zu verbreiten, ist es häufig gar nicht notwendig, Text dabei zu haben. Ganz viel funktioniert über Bildsprache. Das heißt, ich habe gar nicht den Aufwand und die Kosten, Dinge zum Beispiel zu übersetzen. Sondern ich habe einfach Bilder, die allgemein verständlich sind, die ich international verbreiten kann. Das funktioniert dann rasend schnell. Das klickt einfach bei Menschen. Ich muss nicht viel Text lesen. So ein Bild kann ich viel schneller konsumieren, als erst einen Text lesen zu müssen. Und dann einfach weiterleiten. Und schon ist diese Botschaft verbreitet. Im schlechtesten Falle von Freundin zu Freundin, wo noch der Vertrauensfaktor da ist, weswegen sich solche Botschaften dann, gerade auch über Messenger, echt verfestigen in den Köpfen von Menschen.

MEDIEN360G: Sind rechte Memes erfolgreicher?

Ann Cathrin Riedel: Ich würde dem, wenn das jemand anderes sagt, nicht widersprechen. Das ist bei mir ein Bauchgefühl. Ich habe keine Empirie dafür. Es ist bei mir ein Bauchgefühl, dass ich das behaupte. Ich würde es behaupten, weil Rechtsextreme häufig rassistische, antisemitische, frauenfeindliche Memes benutzen. Ich glaube, die resonieren bei noch mehr Menschen als man häufig denkt. Die sagen dann: „Hmm. Na, das habe ich doch schon mal gehört.“ Gerade bei frauenfeindlichen Sachen: „Das ist doch irgendwie witzig.“ Auch bei antisemitischen, rassistischen Inhalten, wo Leute denken: „Na, irgendwie ist das doch witztig.“ Es ist aber nicht witzig. Das verbreitet sich dann ganz gut. Ich erinnere an den Präsidentschaftswahlkampf von vor vier oder fünf Jahren in Brasilien, wo ich eine Studie gelesen haben, wie dort, gerade auch auf Messengern, Stimmung gemacht wurde für die jeweiligen Kandidaten [Anm. d. Red.: Gemeint ist der Wahlkampf 2018]. Der, der damals gewählt wurde, Jair Bolsonaro, und der damalige linke Kandidat. Die konnten zeigen, dass gerade die Rechten deutlich, deutlich besser waren in gerade der Gestaltung von Memes, die aktuelle Themen aufgreifen und verbreiten. Die Linken hatten es auch gemacht, aber waren nicht so erfolgreich. Es ist auch die Frage: Was wäre ein linkes Meme? Was ist links? Mir fallen da keine ein. Was mir einfällt, ist aus dem linkeren Spektrum, darunter würde ich auch Sozialdemokratie sehen. Da denke ich an Martin Schulz und den Schulz-Zug, was ja auch ein Meme war. Martin Schulz wurde sehr viel als Meme verarbeitet, auch sehr erfolgreich am Anfang dieses Schulz-Zuges. Das wäre etwas, was ich total im linken Spektrum ansehen würde. Wo ich aber nicht einen klassisch typischen linken Inhalt, der über ein Meme transportiert würde und unglaublich erfolgreich ist, sehe. Das wäre nur ein Beispiel, wo ich sagen würde: Ich empfinde es so, dass Rechte häufig erfolgreich sind. Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren.

MEDIEN360G: Haben Memes Einfluss?

Ann Cathrin Riedel: Es gibt gewisse Akteure, und die sehe ich ganz besonders im rechtsextremen Milieu, die das Internet sehr gut verstanden haben. Die auch diese Meme-Kultur sehr gut verstanden haben. Die ganz genau wissen: Wie kriege ich eine Meme gestaltet, das wirklich gut funktioniert? Wir sehen es häufig anders herum in der „normalen“ politischen Kommunikation. Wo politische Akteure versuchen, ein Meme zu kreieren. Meistens wird das recht peinlich, wenn Leute, die nicht so wirklich im Internet zuhause sind, sagen: „Wir machen jetzt mal ein Meme.“ Dann merkt man das auch, das ist von Leuten, die damit nicht so Ahnung haben, gemacht worden. Das ist die Krux an der Sache, dass die Leute, die diese Kampagnen machen und steuern, da wirklich gut drin sind. Weil sie ihr Ohr nämlich am Netz haben; sie hören genau zu, was ist das, was Leute aufregt? Was triggert sie? Wie können wir da mit einem geeigneten Meme draufspringen? Die können das. Die machen das. Daher würde ich sagen: Gerade solche Memes, insbesondere die aus dem rechstextremen Spektrum, die sind platziert, und die wissen, wie etwas viral gehen kann.

MEDIEN360G: Erzeugen Memes Stress?

Ann Cathrin Riedel: Das ist es halt bei ganz viel von digitaler Kommunikation, wenn wir auf Twitter Tweets lesen, oder auch bei Instagram einfach durchscrollen. Wir konsumieren wahnsinnig viel in wahnsinnig kurzer Zeit und müssten da eigentlich relativ schnell einen Kontext finden und das einordnen. Wer sagt das? Warum sagt diese Person das? Dafür haben wir häufig nicht die Zeit, nicht die Kapazitäten. Die Finger sind dann doch schneller und haben es weitergeleitet, ge-retweetet oder in einer Direktnachricht verschickt. Das macht das Ganze ein bisschen diffizil, weil gerade, wenn ich solche Nachrichten von einem Familienmitglied oder einer guten Freundin bekomme, ist das so ein gewisses Vertrauen, dass da auch mitschwingt. Dass ich dann denke: Na, diese Freundin hat das ja vielleicht irgendwie überprüft, und die wird mir das ja nicht ohne Grund geschickt haben. Gerade Desinformationen, die in Memes versteckt sind, können sich so sehr sehr gut verbreiten.

MEDIEN360G: Gäbe es ohne Memes weniger Hass im Netz?

Ann Cathrin Riedel: Nein. Ich glaube, ohne Memes würden die Leute irgendetwas anderes finden, um Hass zu verbreiten. Den gab es schon immer, den wird es leider immer geben. Es ist natürlich eine andere Art und Weise, diesen mit Memes zu verbreiten. Aber ich würde auch immer wieder betonen: Ich glaube, das, was die meisten Menschen überwiegend sehen, sind echt schöne Memes. Die Spaß machen, die man gerne verbreitet, weil sie ein paar glückliche Sekunden oder Minuten zaubern, und es einfach auch Spaß macht, wenn man sich wiederfindet oder abgeholt fühlt. Ich glaube, das überwiegt dann doch im Internet.

MEDIEN360G: Sind Memes revolutionär?

Ann Cathrin Riedel: Was ich ganz spannend finde: Die Soziologin Zeynep Tufekci, die hat in einem Buch auch über den arabischen Frühling und was soziale Medien mit einer Demokratisierung zu tun haben geschrieben. Ich fand dort ganz spannend – vielleicht kann man das auf Memes übertragen – sie sagte, die Facebook-Veranstaltungen, die es damals in Ägypten gab, wo Leute gesagt haben: Ja, ich komme morgen auf den Tharir-Platz und gehe demonstrieren." Die haben dazu beigetragen, dass das deren Freunde sehen. Das ist ein Effekt, wie man das aus dem Kino kennt. Du sitzt im Kinosaal, es ist dunkel, und du denkst: Oh Gott, ist dieser Film schlecht. Ich würde super gerne aufstehen, aber ich traue mich nicht. Weil: Hier sitzen ja alle, und wahrscheinlich gefällt allen der Film. Aber wenn einer mutig ist, und aufsteht, und aus diesem Kinosaal rausgeht, dann gehen plötzlich auch andere, weil sie merken: Dieser Film ist echt schlecht, gottseidank steht da jemand auf und ist so mutig und geht raus. Jetzt brauche ich nicht mehr so viel Mut. Diesen Effekt hatten wohl auch diese Facebook-Veranstaltungen. Dass man gesehen hat, gerade in so einem repressiven Regime: Da gehen Leute auch hin, die kenne ich. Dann gehe ich mit denen zusammen hin. Ich glaube, wenn jemand so ein Meme beispielsweise teilt, auch mit einer systemkritischen Message dem Machthaber gegenüber, kann das auch so einen Effekt haben. Da traut sich jemand, was zu sagen – ich traue mich jetzt auch. Und dann zusammen aufzustehen, um so eine Welle zu machen, dann in der Hoffnung, dass du noch außerhalb Mechanismen hast, die auch helfen können ein Regime, wie beispielsweise in Iran, umzustürzen.

MEDIEN360G: Was bedeutet das für uns?

Ann Cathrin Riedel: Ich glaube, wir müssen viel mehr über Kommunikation sprechen. Über Dinge in der Netzkultur. Gerade Menschen, deren Beruf es ist, zu kommunizieren, müssen sehr viel mehr über ihre Kommunikation und ihre Art und Weise zu kommunizieren, nachdenken, sie reflektieren. Wir müssen auch über allgemeine Gefahren von Desinformation und gerade auch Kampagnen von Rechten, Rechtsextremisten reden, damit Menschen einfach gewahr sind, dass es so etwas gibt. Ich glaube, das fehlt noch ganz häufig. Dass es bewusst ist, dass es Desinformationskampagnen gibt, die den Zweck haben, Menschen zu spalten, Gesellschaften zu spalten, Gesellschaften zu destabilisieren. Wenn wir das schon mal wissen – ich glaube, dann gibt es auch mehr Chancen, zu reflektieren und besser zu kommunizieren. Auch besser mit Memes umzugehen.

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