Die Investigativ-Journalisten Monique Junker und Axel Hemmerling. 32 min
Monique Junker und Axel Hemmerling sprechen über ihre Arbeit als investigative Journalisten in den Recherche-Redaktionen des MDR. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Die MDR-Investigativjournalisten Monique Junker und Axel Hemmerling berichten über die Standards ihrer Arbeit und deren Wert für die Gesellschaft.

31:47 min

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Jenseits der Schlagzeilen Investigative Recherche im MDR

13. September 2023, 16:36 Uhr

Investigativer Journalismus spielt eine entscheidende Rolle in einer informierten Gesellschaft. Indem er Missstände aufdeckt, trägt er dazu bei, das Bewusstsein für Probleme zu schärfen, die ansonsten unbemerkt bleiben könnten. Ein zentraler Punkt der Arbeit ist der Aufbau und die Pflege von Quellen und Informationsnetzwerken. Auch im MDR arbeiten investigative Recherche-Teams. Doch wie sieht ihre Arbeitsweise aus?

Monique Junker ist Koordinatorin der Recherchen des MDR: "Wir arbeiten mit Quellen und Informationen, die nicht unmittelbar auf der Hand liegen, die den Journalisten durch Termine oder Pressemitteilungen nicht geliefert werden. Uns geht es um die Informationen, die Organisationen oder Personen eigentlich nicht an die Öffentlichkeit bringen wollen und sie deshalb verstecken."

Kommissarischer Leiter der Redaktion Recherche und Hintergrund in Erfurt ist Axel Hemmerling. Er sieht die Aufgabe von investigativen Journalisten als Vierte Gewalt im Staat: "Wir sollen kontrollieren, das ist unsere ehrenhafte Aufgabe. Kein Ministerium, keine Behörde sagt etwas, das niemand wissen soll", so Hemmerling.

Uns geht es um die Informationen, die Organisationen oder Personen eigentlich nicht an die Öffentlichkeit bringen wollen und sie deshalb verstecken.

Monique Junker | Koordinatorin Recherche MDR

Hemmerling selbst hat in Thüringen viele "heiße" Themen angefasst. Und das auch gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion. Zum Beispiel mit Ludwig Kendzia verfolgt er die Machenschaften der italienischen Mafia. Für dieses Thema beziehen sie regelmäßig auch andere Redaktionen und Journalisten ein. Mit David Klaubert von der FAZ berichteten sie über die Spuren der Mafiagruppe 'Ndrangheta.

Mehr Expertise, mehr Schlagkraft

"Es gibt viele Themen, die wir alleine nicht bearbeiten können, wo wir uns zusammentun und Netzwerke bilden, um eine größere Schlagkraft zu entwickeln", so Junker. Am Ende entstehen häufig Beiträge, die einen Blick hinter offizielle Zahlen und Statements werfen und einen Mehrwert für die Gesellschaft bieten. Auch mit dem Bayerischen Rundfunk, dem SWR und dem RBB arbeiten die Journalistinnen und Journalisten des MDR eng zusammen. Die Redaktion Recherche und Hintergrund in Erfurt versucht dadurch, neue Impulse zu erhalten und die Themen zu erweitern. "Wir wären bei den Recherchen nie so weit gekommen, wenn wir gesagt hätten, wir sind uns selbst genug", sagt Axel Hemmerling.

Wenn die Journalistinnen und Journalisten an einem Thema wie der organisierten Kriminalität recherchierten, kämen sie nicht umhin, auch andere Recherchen anzustoßen, so Junker: "Irgendwann haben wir gemerkt, dass verschiedene Expertisen in anderen Häusern und Redaktionen vorhanden sind". Es sind Expertinnen und Experten auf verschiedenen Gebieten, die bestmögliche und lückenlose Themen veröffentlichen möchten. Vom fertigen Produkt profitieren dann alle. Die Zeitung bringt eine mehrseitige Geschichte und der MDR produziert einen umfassenden Film. Genau das sei das "Pfund" des investigativen Journalismus, erwähnt Hemmerling.

Aufwand und Wertschätzung

Die Arbeit von investigativen Journalistinnen und Journalisten ist sehr aufwändig und finanziell kostspielig. Axel Hemmerling berichtet aus seiner Anfangszeit, dass er jede Demonstration genutzt habe, um Vertrauen zu den Behörden aufzubauen. "Ich bin jahrelang auf verschiedenen Demos herumgelaufen, habe dort mit den Polizisten gesprochen, mit den Leuten, die vor Ort waren. So beginnt der Kontakt", sagt Hemmerling im Gespräch. Dies koste dann viel Zeit und Geld, aber es sei eine Investition in die Zukunft. Denn so würden Kontakte und Vertrauen aufgebaut. Seltener seien es CDs oder Daten, auf denen Informationen gespeichert sind. Vor allem dann müssten Journalistinnen und Journalisten hinterfragen und auch skeptisch werden. Denn meist stecke eine Motivation hinter solchen Datenleaks.

Diese Art der Vertrauensbildung ist sehr zeitaufwendig. Die Zeit ist häufig nicht abschätzbar, bis es zu einer Veröffentlichung kommt. Das mache es für Kollegen schwer messbar und sorge auch für Unmut. Doch durch diese umfangreichen Recherchen entstünden Expertisen und eine Quellenlage, auf die auch andere Redaktionen zurückgreifen können. "Wie wichtig das ist, wissen alle, aber das bedeutet nicht, dass Verlage und Medienhäuser genug Geld zur Verfügung stellen", sagt Hemmerling weiter. "Ich kenne Lokaljournalisten, die das auch einfach machen, weil es ihnen wichtig ist und weil es sie interessiert, aber sie bekommen keinen Cent dafür."

Klagen werden zu Ressourcenfressern

Neben zeitaufwendigen Recherchen wird ein weiterer Punkt immer mehr zum Zeitfresser. Sich eine Recherche-Redaktion zu leisten wird laut Axel Hemmerling immer kostspieliger "weil mehr Leute denken, uns verklagen zu müssen". Journalisten, die sich auf diese Art von Arbeit einlassen, sehen sich oft mit Widerstand von Parteien, Unternehmen oder anderen Institutionen konfrontiert, die die Veröffentlichung unangenehmer Fakten verhindern möchten. Gegen unbequeme Schlagzeilen und Veröffentlichungen wird dann juristisch vorgegangen. "Fakten werden angegriffen, noch bevor sie veröffentlicht werden", sagt Hemmerling.

"Wir gehen natürlich an die mutmaßlichen Gangster, an die Rechtsextremisten, an die knallharten Neonazis immer mit einem Fragenkatalog ran", so Axel Hemmerling. So erhalten die Personen immer wieder die Möglichkeit, sich dazu zu äußern. Das sei journalistischer Standard. "Wenn sie dann anfangen, mit Anwälten zu klagen, wird es zeit- und kostenaufwendig", so Hemmerling. In der Regel sind die Klagen nicht erfolgreich, aber sie binden zunächst viele Kapazitäten. Die Redaktion muss dann Stellungnahmen schreiben und ihre Recherche für die Gerichte darlegen. Wenn bereits vor einer Veröffentlichung versucht wird die Berichterstattung zu unterbinden, dann ist die Rede von Einschüchterungsklagen oder auch SLAPP-Klagen.

Was sind SLAPP-Klagen?

SLAPP steht für "strategic lawsuit against public participation", das heißt: Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung. Das Ziel der Klagen ist, die Veröffentlichung unliebsamer Informationen zu verhindern und Kritiker einzuschüchtern.

Wenn der MDR gegen die Mafiaorganisation 'Ndrangheta recherchiert, so geht Hemmerling davon aus, dass die Anwälte Klagen einreichen werden. Die Journalistinnen und Journalisten ließen sich jedoch nicht einschüchtern und auch der Mitteldeutsche Rundfunk stünde hinter der Recherche. In enger Absprache mit der juristischen Direktion würden dann Stellungnahmen verfasst.

Dennoch sei es wichtig, dass auch die andere Seite, die Beklagten, ihre Rechte haben und vertreten würden, so Monique Junker. Wichtig sei immer maximale Transparenz. "Weniger Anwaltsschreiben, mehr Lob", das wünscht sich Axel Hemmerling zum Abschluss unseres Gesprächs für sein Handwerk."

Offenlegung: Ich arbeite auch für die Redaktion Recherche und Hintergrund.

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