Bildausschnitt eines Smartphone-Displays mit einer eingegangenen Chatnachricht in der steht: "Du kleines Opfer".
Cybermobbing zählt zu den größten Gefahren im Netz. Für jüngere Menschen, die derart stark in ihr Online-Leben eingebunden sind, kann es äußerst schwer sein, sich solchen Übergriffen zu entziehen. Fast jede fünfte Schülerin beziehungsweise jeder fünfte Schüler zwischen acht und 21 Jahren gibt an, von Cybermobbing betroffen zu sein. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G & iStock

Schutz vor Cybermobbing – Hilfe für Eltern Tatort Internet – wenn das Kind von Cybermobbing betroffen ist

07. Juli 2023, 14:11 Uhr

Cybermobbing ist die moderne Version eines alten Problems, das sich im digitalen Zeitalter längst zu einer grausameren Variante des Mobbings entwickelt hat als sein Offline-Vorgänger. Die neue verschärfte Dimension des Psychoterrors stellt Eltern damit vor eine besondere Herausforderung, ihr Kind vor Cybermobbing-Attacken zu schützen.

Wird heute härter gemobbt als früher?

Vor der Zeit des stetig verfügbaren Internets endete das Schulmobbing, sobald man einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Situation verließ. Das Internet selbst war mehr so etwas wie ein Safe-Space – eine sichere Welt, fern der analogen Mobber auf dem Schulhof. Und der frühere digitale Raum mit Onlineplattformen wie MySpace und Chatrooms wie Knuddels und schülerVZ war längst nicht so toxisch.

Hinzu kommt, dass, wer ins Internet wollte, dies nur nach Schulschluss am PC Zuhause konnte. Und: Ins Internet zu gehen und dort etwas zu machen, galt noch als eine bewusste Aktivität, verbunden mit der Entscheidung: "Heute gehe ich ins Internet".

Porträt von Dr. Iren Schulz, Mediencoach bei der Initiative SCHAU HIN!
Dr. Iren Schulz von der Initiative SCHAU HIN!, bei der sie als Mediencoach ihr Wissen zur Mediennutzung von Kindern weitergibt und Eltern bei der Medienerziehung unterstützt. Bildrechte: SCHAU HIN!

Undenkbar für Kinder und Jugendliche, die als Digital Natives bereits damit aufgewachsen sind und nichts anderes kennen, als mit ihrem Smartphone heutzutage immer und überall online zu sein. Eine Flucht vor Social Media? Nicht möglich! Wer bei WhatsApp, TikTok, Snapchat, Instagram und Co. nicht mitreden kann, wird ausgeschlossen. Und wer an sich bereits auf dem Schulhof von seinen Mitschülern gemobbt wird, wird in weiterer Folge häufig auch online "fertiggemacht". "Was in der Klasse oder auf dem Schulhof beginnt, wird im Netz fortgesetzt", beschreibt Dr. Iren Schulz, Mediencoach bei der Initiative SCHAU HIN! das Wirkungsfeld der oft gleichaltrigen Mobbing-Täter und erklärt: "Gerade weil online die Hemmschwellen der Täter viel geringer sind, als wenn man sich in der Realität gegenübersteht, haben die digitalen Formen von Hass, Demütigung und Ausgrenzung einen verstärkenden Effekt." Cybermobbing sei vor allem deshalb so schlimm, "weil die Opfer nicht überblicken und kontrollieren können, wer alles schon davon weiß und wo die Inhalte schon überall verbreitet wurden."

Was ist SCHAU HIN!? Der Elternratgeber "SCHAU HIN!" informiert über Mediennutzung von Kindern und unterstützt Eltern bei der Medienerziehung.

"SCHAU HIN! Was dein Kind mit Medien macht" ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, von ARD und ZDF und der AOK.

Problematische Abwehr auf demütigende Cybermobbing-Attacken

Als besonders problematisch sieht Dr. Iren Schulz auch, "dass viele Opfer zu Tätern werden, wenn sie die Möglichkeit haben, sich zur Wehr zu setzen und 'zurückzuschlagen'." So waren, laut der Studie Cyberlife IV – Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern, knapp 20 Prozent der Täterinnen und Täter bereits selbst Opfer von Cybermobbing. Rund jeder fünfte Täter war also bereits selbst von Cybermobbing betroffen.

Kinder und Jugendliche, die von lang andauernden Mobbingattacken betroffen sind, sich niemandem anvertrauen und sich ausgeliefert und hilflos fühlen, spüren die Konsequenzen kurz- und langfristig auf physischer, psychischer und sozialer Ebene.

Dr. Iren Schulz | Medienpädagogin

Zudem sei bei diesem Thema, so die Medienexpertin, "neben den Opfern und Tätern auch noch die Rolle der sogenannten Bystander wichtig – also diejenigen Personen, die von den Mobbingattacken wissen. Das können Klassenkameraden, Freunde oder auch Unbekannte sein, die letztlich über ihr Handeln mitentscheiden, ob und wie den Opfern geholfen wird oder nicht."

Mobbing hat viele Gesichter

Der bereits benannten Studie Cybermobbing Life IV zufolge, gibt fast jede fünfte Schülerin beziehungsweise jeder fünfte Schüler zwischen acht und 21 Jahren an, von Cybermobbing betroffen zu sein. Das entspricht mehr als 1,8 Millionen jungen Menschen, die online unter anderem Beleidigungen, Beschimpfungen, offene Gewaltandrohungen, Identitätsmissbrauch und Ausgrenzung erfahren oder auch unerlaubt veröffentlichte Fotos von sich sowie von anderen in Umlauf gebrachte Lügen und Gerüchte ertragen müssen.

Eine Tastatur mit einer blauen Taste, auf der eine stilisierte Waage als Gesetzessymbol abgebildet ist.
Mobbing im Internet oder in Sozialen Medien kann zur Anzeige gebracht werden. Im Zusammenhang mit Cybermobbing begehen Täterinnen und Täter teilweise gleich mehrere Straftaten. Bildrechte: PantherMedia /ArtemSam

Zahlen, die auch Dr. Iren Schulz als alarmierend empfindet: "Das Phänomen Cybermobbing stagniert laut der Studie auf einem hohen Niveau und wurde durch die Corona-Pandemie noch verstärkt", verdeutlicht die Medienpädagogin und sieht vor allem die Wichtigkeit darin, so früh wie möglich zu handeln. Denn: "Kinder und Jugendliche, die von lang andauernden Mobbingattacken betroffen sind, sich niemandem anvertrauen und sich ausgeliefert und hilflos fühlen, spüren die Konsequenzen kurz- und langfristig auf physischer, psychischer und sozialer Ebene."

Ist mein Kind von (Cyber-)Mobbing betroffen?

"Um herauszufinden, ob mein Kind Opfer von Cybermobbing ist, sollte man sehr sensibel und behutsam agieren, Verständnis zeigen und Gesprächsbereitschaft signalisieren. Wichtig ist, dass die Betroffen sich sicher fühlen und in einer vertrauten Umgebung Hilfe und Unterstützung bekommen", rät SCHAU HIN!-Mediencoach Dr. Iren Schulz.

Da oftmals Schamgefühl und Angst mit den Mobbingattacken einhergehen und sich Betroffene hilflos fühlen und zudem oft das Gefühl haben, die Attacken "verdient" zu haben, holen sie sich von sich aus auch nur selten Hilfe. Umso entscheidender ist es für das Umfeld eines Kindes, insbesondere dessen Eltern, auf Anzeichen zu achten, die darauf hindeuten, dass ein Kind Opfer von Mobbing ist.

"Körperliche Reaktionen sind unter anderem Bauch- und Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit oder auch Schlafstörungen. Psychisch können sich Unsicherheit und Selbstzweifel, Ohnmacht und Angstzustände, bis hin zu Depressionen und selbstverletztendes Verhalten einstellen", benennt Dr. Iren Schulz mögliche Reaktionen auf erlebte Mobbingerfahrung. Weiter beschreibt sie: "In ihrem sozialen Handeln ziehen sich Opfer von Cybermobbing oftmals zurück, werden verschlossener und nehmen kaum noch an den Aktivitäten der Klasse oder Freunde teil. Sie verhalten sich misstrauisch, sind beschämt oder auch wütend und aggressiv, wenn sie auf mögliche Probleme oder Sorgen angesprochen werden."

Handlungsmöglichkeiten und Schutzmaßnahmen

Was können Eltern gegen Cybermobbing tun?

Vorbeugend:

  • Kinder bei ihren ersten Schritten in der Medienwelt und in Social Media Portalen, Games und Messenger-Programmen begleiten
  • gemeinsam die Profile sicher einrichten und besprechen, was nicht online geteilt oder gezeigt werden sollte
  • Reaktionsmöglichkeiten und Handlungsoptionen besprechen, wie sich Kinder verhalten können, wenn sie von anderen angegriffen werden
  • Eltern sollten jederzeit Ansprechpartner sein, wenn den Kindern etwas im Netz begegnet, was sie verunsichert oder verletzt


Handeln bei Cybermobbing-Attacken:

  • behutsam und angemessen reagieren
  • Angriffe dokumentieren und Beweise sichern im Falle einer Anzeigenerstattung
  • im Mobbingfall den Austausch mit der Klasse beziehungsweise der Schule oder mit dem Täter und dessen Familie suchen
  • zeitweiliger Rückzug betroffener Kinder aus den jeweiligen Kommunikationsplattformen
  • emotionale Sicherheit und Stabilität vermitteln

"Eltern können vorbeugend handeln und im Nachhinein reagieren, wenn sie von den Mobbingattacken erfahren, die bereits stattgefunden haben", äußert Dr. Iren Schulz und erklärt: "Vorbeugend ist es wichtig, die Kinder bei ihren ersten Schritten in der Medienwelt und in Social Media Portalen, Games und Messenger-Programmen gut zu begleiten, gemeinsam die Profile sicher einzurichten und zu besprechen, was nicht online geteilt oder gezeigt werden sollte. Eltern können auch mit ihren Kindern besprechen, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie von anderen angegriffen werden und welche Reaktionsmöglichkeiten und Handlungsoptionen es gibt. Und sie sollten ihren Kindern immer vermitteln, dass sie jederzeit als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen, wenn den Kindern etwas im Netz begegnet, was sie verunsichert oder verletzt."

Haben Eltern erfahren, dass ihr Kind von Cybermobbing betroffen, empfiehlt Dr. Iren Schulz, "dass Eltern behutsam und angemessen reagieren, damit die Situation nicht noch dramatischer für das Opfer ist."

Weiterhin kann das Dokumentieren der Attacken und Sichern von Beweisen im Falle einer Anzeigenerstattung bei der Polizei hilfreich sein. Da Mobbingattacken am häufigsten von Gleichaltrigen, insbesondere Mitschülern ausgeübt wird, sollten im Mobbingfall vor allem der Austausch mit der Klasse beziehungsweise der Schule oder mit dem Täter und dessen Familie gesucht werden.

Einen weiteren Handlungsbedarf sieht Dr. Iren Schulz darin, "Opferkinder aus der 'Schusslinie' zu nehmen und sie sich für eine gewisse Zeit aus den jeweiligen Kommunikationsplattformen zurückziehen zu lassen, damit sie zur Ruhe zu kommen. Wichtig ist auch, emotionale Sicherheit und Stabilität zu vermitteln, damit keine langfristigen Konsequenzen entstehen können."

Damit ein Kind lernen kann, gegebenenfalls auch Cybermobbing-Attacken gewachsen zu sein, nennt SCHAU HIN!-Mediencoach Dr. Iren Schulz Eltern das vielleicht beste Rezept: "Insgesamt und abschließend kann man sagen, dass die Familie zunächst die wichtigste Bezugswelt im Leben eines Kindes ist. Über das Familienleben und die sozialen Bindungen erhalten Heranwachsende einen Rucksack voll Sicherheit, Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenzen, die Stabilität und Resilienz vermitteln und auch in Situationen von Cybermobbing helfen können."

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