Nach Auslieferung an Ungarn Kritik an Haftbedingungen: Maja T. "wird dort systematisch gefoltert und erniedrigt"
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26. September 2024, 09:07 Uhr
Im Sommer wurde die mutmaßlich linksextreme, non-binäre Person Maja von deutschen Behörden nach Budapest ausgeliefert – innerhalb weniger Stunden. Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen, auch weil das Bundesverfassungsgericht überrumpelt wurde. Nun sprach MDR Investigativ erstmals mit Maja über diese Nacht.
- Seit Ende Juni ist Maja T. wegen gewalttätiger Übergriffe auf Rechtsextremisten in Ungarn inhaftiert.
- Maja T. kritisiert die Haftbedingungen in Budapest: Die Hygiene sei mangelhaft, es herrsche konstante Videoüberwachung in der Zelle.
- Majas Vater erhebt den Vorwurf der Folter.
Wolfram Jarosch ist rastlos. Seit Ende Januar kämpft er für "Maja". Erst darum, dass sein Kind nicht nach Ungarn ausgeliefert wird, nun darum, dass "Maja" in Budapest bessere Haftbedingungen hat. Der 23-jährigen non-binären Maja werden gewalttätige Überfälle auf Rechtsextremisten vorgeworfen, die sie im Rahmen des "Tag der Ehre" im Februar 2023 in Budapest begangen haben soll. Die ungarische Justiz hat dafür ihre Auslieferung beantragt.
Das monatelange juristische Tauziehen zwischen den deutschen Behörden und Majas Anwälten um diese Auslieferung kulminierte in den frühen Morgenstunden des 28. Juni: Beamte des LKA Sachsen holten Maja aus der Zelle in der JVA Dresden. Erst am Nachmittag zuvor hat das Kammergericht Berlin entschieden, dass Maja ausgeliefert werden darf. Und dann geht alles ganz schnell. Nur wenige Stunden später ist Maja in der Obhut der ungarischen Behörden.
Auslieferung begleitet von schwer bewaffneter Eskorte
Wolfram Jarosch will das nicht hinnehmen. Also hat er knapp drei Monate später für den MDR ein Interview organisiert. Per Telefon spricht Maja mit dem MDR und berichtet, dass sie damit gerechnet habe, dass das Kammergericht für die Auslieferung entscheide. Überraschend empfand Maja jedoch "die Art und Weise" der Auslieferung: "Noch am Abend davor war ich so naiv gewesen, zu glauben, dass die sächsischen Behörden eine Prüfung seitens des Bundesverfassungsgericht abwarten würden".
In Dresden sei Maja jedoch in den Morgenstunden von acht schwer bewaffneten Beamten in einem Polizeiwagen zum Flughafen gebracht worden, wo ein Helikopter bereitgestanden habe. Begleitet worden sei der Wagen von einer Eskorte von "mindestens zehn" Mannschaftswagen der Polizei. Straßen auf dem Weg seien abgesperrt gewesen. Beamte des LKA hätten Maja im Hubschrauber begleitet.
Auch der Landeplatz in Passau sei schwer bewacht gewesen: "Der Flughafen war umstellt von vermummten Polizisten, die Maschinenpistolen im Anschlag hatten, um das abzusichern", erinnert sich Maja. Auf MDR-Nachfrage erklärt das LKA Sachsen, dass es "zu einsatztaktisch- und technischen Maßnahmen, sowie zu taktischen Verhalten der Einsatzkräfte" keine Auskunft erteilen dürfe.
Österreich verschärft die Sicherungsmaßnahmen bei Überstellung
Mit der Überstellung an die österreichischen Behörden wurden die Sicherungsmaßnahmen Maja zufolge noch einmal verschärft. "Da habe ich die kalte Brutalität der Polizei kennengelernt. Ich wurde behandelt wie ein verschnürtes Paket. […] Das war wirklich ein Horrortrip", erzählt Maja dem MDR. Ihr seien Hand- und Fußfesseln angelegt, eine Haube, wie man sie aus dem Boxsport kennt, angelegt sowie ein Sack über den Kopf gezogen worden, führt Maja das Erlebte aus. In einer winzigen Zelle im Gefangenentransport sei sie dann mehrere Stunden ohne Pause und die Möglichkeit zu trinken an die ungarische Grenze gebracht und an die dortigen Beamten übergeben worden.
Ich wurde behandelt wie ein verschnürtes Paket. […] Das war wirklich ein Horrortrip.
Das österreichische Innenministerium verweist nach Fragen zur Überlieferung von Maja T. zunächst an das Justizministerium in Wien. Das wiederum antwortet dem MDR, dass "die praktische Durchführung der Durchlieferung den Sicherheitsbehörden obliegt". Erneute Nachfragen des MDR im österreichischen Innenministerium zum Transport an die ungarische Grenze werden mit dem Hinweis beantwortet, "dass zu polizeilichen Amtshandlungen betreffend Einzelpersonen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft gegeben werden kann."
Kurz vor 10 Uhr ist die Überstellung vollzogen und Maja in der Obhut der ungarischen Behörden. Beim Transport in Ungarn erlebt sie dann einen großen Unterschied: "Im Kontrast zu der deutschen und österreichischen Auslieferung war das ganz anders. […] Da bin ich mit wenigen Beamten nach Budapest gebracht worden, auch in keinster Weise mehr so martialisch."
Majas Anwälte legten während des laufenden Vorgangs noch Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Überlieferung ein. Das Gericht untersagte dann auch im Eilverfahren um 10:50 Uhr die Überstellung nach Ungarn: "Die Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden wird bis zur Entscheidung über die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Wochen, einstweilen untersagt." Das war aber knapp eine Stunde nachdem die Auslieferung nach Ungarn bereits abgeschlossen war.
Noch am Abend davor war ich so naiv gewesen, zu glauben, dass die sächsischen Behörden eine Prüfung seitens des Bundesverfassungsgericht abwarten würden.
Majas Anwalt Sven Richwin und seine Kollegen wussten während der Überstellung nach Ungarn zu keinem Zeitpunkt, wo sich Maja befindet oder wie die Maßnahme überhaupt durchgeführt wird. Auskünfte bei der federführenden Generalstaatsanwaltschaft Berlin seien ihnen aus "Sicherheitsgründen" verwehrt worden. "Letztlich haben wir das dann erst kurz vor Mittag mitbekommen, nachdem die Auslieferung schon abgeschlossen war", erzählt Richwin dem MDR. Er ergänzt: "Die ganzen Einzelheiten haben wir erst im Nachhinein erfahren, natürlich durch eine Akteneinsicht und auch parlamentarische Anfragen, die dazu stattgefunden haben."
Seitdem ist Maja in einem Budapester Gefängnis inhaftiert. Zu den juristischen Vorwürfen selbst will Maja nichts sagen, hofft aber nach wie vor auf ein rechtsstaatliches Verfahren in Deutschland.
Kritik an Haftbedingungen in Budapest
Auch über die Haftbedingungen vor Ort spricht Maja im Telefonat mit dem MDR. Im Vorfeld habe sie sich bereits mit den Haftbedingungen beispielsweise der ebenfalls für die Überfälle beschuldigten Ilaria Salis auseinandergesetzt. Diese waren auch Thema umfangreicher Berichterstattung, vor allem in den italienischen Medien. Majas Befürchtungen diesbezüglich hätten sich bestätigt: "Es gibt aus meinen Augen eine mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln. Hygienische Produkte wurden mir vorenthalten. Es ist teilweise dreckig, es gibt unzählige Bettwanzen und Kakerlaken."
Es gibt aus meinen Augen eine mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln. Hygienische Produkte wurden mir vorenthalten. Es ist teilweise dreckig, es gibt unzählige Bettwanzen und Kakerlaken.
Maja hebt ihre konstante Überwachung und besondere Sicherungsmaßnahmen hervor: "In meiner Zelle ist eine Videokamera, die ununterbrochen angeschaltet ist." Und weitere Kontrollen, welche sie als Schikane empfindet: "Ich musste mich eigentlich jeden Tag komplett vor Beamten entkleiden, also Intimdurchsuchung. Obwohl ich nur physischen Kontakt zu Beamten habe."
Den Rest des Haftalltags beschreibt Maja als eintönig und isoliert: "Ich bin 23 Stunden in der Zelle, eine Stunde auf dem Hof und immer alleine. Ich habe kurz am Tag Kontakt zu den Beamten und einen sehr begrenzten Kontakt zu meiner Familie telefonisch."
Maja wartet derzeit darauf, dass Bewegung in das Verfahren kommt. Bislang ist die Untersuchungshaft bis Oktober festgesetzt. Maja wünscht sich, dass sich die Haftbedingungen nach den Europäischen Gefängnisregeln richteten und die Haft bis zum Verfahren entweder zurück nach Deutschland oder in den Hausarrest gelegt werde. Besonders aber, dass die Isolationshaft endlich aufhöre.
Isolationshaft für Maja T.: Vater erhebt Vorwurf der Folter
Wolfram Jarosch, Majas Vater, erhebt unterdessen wegen der Haftbedingungen schwere Vorwürfe gegen die ungarischen Behörden: "Maja ist seit zweieinhalb Monaten in Einzelhaft. Das ist Isolationshaft. Und das wird zu Recht auch als psychische Folter, als sogenannte weiße Folter bezeichnet. Dazu kommen verschiedene andere Erniedrigungen. Für mich stellt sich das dar, als ob Maja dort offensichtlich systematisch gefoltert und erniedrigt wird, um dort Aussagen zu erpressen."
Auch das Urteil des Kammergerichts Berlin kritisiert Jarosch: "Vor der Auslieferung war ja dem Kammergericht Berlin vom Justizministerium der Republik Ungarn mit einer Verbalnote am 29. April zugesichert worden, dass die europäische Menschenrechtskonvention, das die europäischen Strafvollzugsregeln, das die sogenannten Nelson-Mandela-Regeln der Vereinten Nationen eingehalten werden, dass also menschenwürdige Haftbedingungen dort herrschen. Und das ist leider von vorne bis hinten überhaupt nicht der Fall."
Für mich stellt sich das dar, als ob Maja dort offensichtlich systematisch gefoltert und erniedrigt wird, um Aussagen zu erpressen.
Eine Sprecherin des Berliner Kammergerichts erklärte dem MDR auf Nachfrage, dass es sich zu dem Fall nicht mehr äußern könne, da das Auslieferungsverfahren abgeschlossen sei. Die Sprecherin betont aber, dass dieses in einem rechtsstaatlichen Rahmen abgelaufen sei.
Majas Vater hat mittlerweile eine weitere Petition initiiert, die sich an Justizminister Marco Buschmann und Außenministerin Annalena Baerbock richtet. Mit dem Ziel, dass sein Kind aus Ungarn zurückgeholt wird oder zumindest dort angemessene Haft Bedingungen hat. In Jena ist für Sonntag eine weitere Demonstration für die Freilassung Majas geplant.
MDR (el, smk)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 26. September 2024 | 16:47 Uhr